Aktenzeichen 6 CE 16.1095
VwGO VwGO § 80, § 88, § 123
Leitsatz
Ob der Antragsgegner auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO analog oder auf der Grundlage des § 123 VwGO zur (vorläufigen) Weiterbeschäftigung eines wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzten Beamten zu verpflichten ist, kann dahinstehen, wenn nach beiden Rechtsgrundlagen der Antrag überwiegend erfolgreich und nach § 88 VwGO entsprechend auslegbar ist. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Behörde hat während der Dauer der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO alle Maßnahmen zu unterlassen, die als Vollziehung zu qualifizieren sind, d.h. der Verwirklichung der mit dem Verwaltungsakt ausgesprochenen Rechtsfolge und der sich aus ihr ergebenden weiteren Nebenfolgen dienen, soweit gesetzlich nichts anderes vorgesehen ist (stRspr BVerwG BeckRS 2016, 43785). (redaktioneller Leitsatz)
Allein die Schwerbehinderung eines Beamten zieht keine Ermessensreduzierung auf Seiten des Dienstherrn nach sich, die zu einem Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf seinem früheren Dienstposten führt. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 1 E 16.595 2016-05-18 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. Mai 2016 – RN 1 E 16.595 – wird die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller vorläufig amtsangemessen weiter zu beschäftigen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen der Antragsteller zu einem Viertel und die Antragsgegnerin zu drei Viertel.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller steht als Beamter des gehobenen Dienstes im Dienst der Antragsgegnerin bei der Zollverwaltung.
Mit Bescheid vom 21. August 2015 versetzte die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen dauernder Dienstunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 BBG in den Ruhestand. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid der Generalzolldirektion vom 8. Februar 2016) hat der Antragsteller am 4. März 2016 Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg gegen die Versetzung in den Ruhestand erhoben (RN 1 K 16.346), über die noch nicht entschieden ist.
Der Antragsteller hat am 18. April 2016 beim Verwaltungsgericht Regensburg beantragt, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verurteilen, ihn weiterhin an der ursprünglich ausgeübten Wirkungsstätte beim Sachgebiet Agrardieselstelle im Dienstgebäude S. in P. weiter zu beschäftigen und die Ausübung seiner Diensttätigkeit im bisherigen Umfang sowie in gleicher Art und Weise zu ermöglichen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18. Mai 2016 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag nach § 123 VwGO gem. § 123 Abs. 5 VwGO unstatthaft sei, weil vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren sei. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO setze die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin voraus, die nicht erfolgt sei. Widerspruch und Anfechtungsklage des Antragstellers hätten damit aufschiebende Wirkung, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit bestehe. Die Antragstellerin müsse den Antragsteller daher amtsangemessen weiter beschäftigen. Falls sie das nicht für vertretbar halte, könne sie die nach dem Gesetz zulässigen Maßnahmen ergreifen. Im Übrigen fehle es sowohl an einem Anordnungsgrund als auch an einem Anordnungsanspruch nach § 123 VwGO.
Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz weiter.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und aus den im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3, 6 VwGO) teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat sein Begehren des vorläufigen Rechtsschutzes, auf seinem bisherigen Dienstposten weiter beschäftigt zu werden, zu Unrecht in vollem Umfang abgelehnt. Der Antragsteller hat aufgrund der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs und seiner Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 VwGO) gegen die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Bescheid vom 21. August 2015 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2016) Anspruch auf eine amtsangemessene Beschäftigung, solange die aufschiebende Wirkung seiner Klage andauert (§ 80 Abs. 2 Nr. 4, § 80 b VwGO) und er dienstleistungsberechtigt ist (§ 51 Abs. 2 BBG). Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf seinem früheren Dienstposten besteht dagegen nicht. Insoweit war die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Vorläufiger Rechtsschutz kann durch die Feststellung, dass der Klage aufschiebende Wirkung zukommt, gewährt werden. Ob dies auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 VwGO analog oder des § 123 VwGO erfolgt, ist umstritten (zum Streitstand vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 80 VwGO Rn. 164). Der anwaltlich vertretene Antragsteller hat seinen Antrag jedenfalls im Beschwerdeverfahren ausdrücklich auf § 123 VwGO gestützt, die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat er nicht beantragt. Dies ist vorliegend auch nicht zwingend erforderlich: Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung ist nicht umstritten. Die Antragsgegnerin lehnt gleichwohl trotz des ausdrücklichen Hinweises des Verwaltungsgerichts im Beschluss vom 18. Mai 2016 auf die Weiterbeschäftigungsverpflichtung der Antragsgegnerin aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Weiterbeschäftigung des Antragstellers ab. Dementsprechend hat der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin zur (vorläufigen) Weiterbeschäftigung zu verpflichten. Ob dies auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO analog oder auf der Grundlage des § 123 VwGO erfolgt, ist ebenfalls umstritten (Puttler in Sodan/Ziekow, a. a. O.), kann aber dahinstehen. Nach beiden Rechtsgrundlagen ist der Antrag überwiegend erfolgreich und entsprechend auslegbar (§ 88 VwGO).
Es besteht auch ein Anordnungsgrund bzw. ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragsgegnerin verweigert die Weiterbeschäftigung des Antragstellers. Dessen baldiger Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) unbeachtlich.
2. Die Beschwerde ist auch teilweise begründet. Widerspruch und Anfechtungsklage haben gem. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Dies bedeutet, dass die Behörde während der Dauer der aufschiebenden Wirkung alle Maßnahmen zu unterlassen hat, die – in einem weiten, auch die Besonderheiten rechtsgestaltender und feststellender Verwaltungsakte (§ 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO) berücksichtigenden Sinne – als Vollziehung zu qualifizieren sind, d. h. der Verwirklichung der mit dem Verwaltungsakt ausgesprochenen Rechtsfolge und der sich aus ihr ergebenden weiteren Nebenfolgen dienen (BVerwG, U. v. 20.1.2016 – 9 C 1.15 – juris Rn. 12), soweit gesetzlich nichts anderes vorgesehen ist (vgl. § 47 Abs. 4 Satz 2 BBG hinsichtlich der Besoldung).
Der Antragsteller hat nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage gegen die Zurruhesetzungsverfügung erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Die aufschiebende Wirkung seiner Rechtsbehelfe hat zur Folge, dass der Antragsteller einen Anspruch auf amtsangemessene Weiterbeschäftigung gegen die Antragsgegnerin hat, solange die aufschiebende Wirkung seiner Klage fortdauert und er – im Hinblick auf die Altersgrenze gem. § 51 Abs. 2 BBG – dienstleistungsberechtigt ist (vgl. BVerwG, B. v. 22.12.1989 – 2 C 15.89 – juris Rn. 2). Die Antragsgegnerin weigert sich aus Fürsorgegründen, den Antragsteller wegen dessen Dienstunfähigkeit weiter zu beschäftigen. Da die Antragsgegnerin eine sofortige Vollziehung der Zurruhesetzungsverfügung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht angeordnet hat, liegt ein Fall der faktischen Vollziehung der Zurruhesetzungsverfügung vor.
Der Antragsteller hat aufgrund der gesetzlich angeordneten aufschiebenden Wirkung seiner Klage ohne weitere Interessenabwägung Anspruch auf Weiterbeschäftigung, nicht jedoch auf Weiterbeschäftigung auf seinem früheren Dienstposten. Die Zuweisung von Aufgaben obliegt grundsätzlich dem weiten Organisationsermessen des Dienstherrn. Gerichte sind auf die Überprüfung von Ermessensfehlern beschränkt. Eine Ermessensreduzierung, die zu einem Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf seinem früheren Dienstposten führt, ist auch unter Berücksichtigung der Schwerbehinderung des Antragstellers nicht gegeben. Insoweit ist sein Antrag abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Nach § 52 Abs. 1 ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Da es sich vorliegend um die Nichtbeachtung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch die Antragsgegnerin handelt, legt der Senat den Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG zugrunde, der im Eilverfahren im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Entscheidung zu halbieren ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).