Verwaltungsrecht

Schadensersatz wegen Treuepflichtverletzung, hier: Beschädigung eines Dienstfahrzeugs

Aktenzeichen  6 ZB 19.1326

Datum:
12.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30455
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 7, § 24 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Beschädigt ein Soldat bei einem Ausparkvorgang ein von ihm geführtes Dienstfahrzeug, weil er ein anderes geparktes Fahrzeug übersieht, obwohl er schon bei einer Verwendung der Spiegel und einer Rückschau den geparkten Pkw hätte wahrnehmen müssen, liegt grobe Fahrlässigkeit vor, so dass der Soldat nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SG dem Dienstherrn auf Schadensersatz haftet. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 18.1709 2019-05-31 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 31. Mai 2019 – M 21 K 18.1709 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 1.059,66 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Die Klägerin steht als Hauptfeldwebel im Dienst der Beklagten. Am 22. Juni 2016 fuhr sie auf einem Pendlerparkplatz mit einem Dienstfahrzeug rückwärts gegen einen geparkten Pkw. An dem Dienstfahrzeug entstand ein Schaden in Höhe von 1.059,66 Euro. Die Beklagte nahm die Klägerin für den Schaden mit Leistungsbescheid vom 17. Januar 2018 in Regress, weil sie grob fahrlässig Dienstpflichten verletzt habe. Die nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil als unbegründet ab. Es kam zu dem Ergebnis, die Klägerin habe ihre Dienstpflichten grob fahrlässig verletzt. Die von der Klägerin dagegen erhobenen Rügen zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachzugehen wäre.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Leistungsbescheids ist § 24 Abs. 1 Satz 1 SG. Nach dieser Vorschrift hat ein Soldat, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht zu Recht bejaht.
Die Klägerin hat gegen die in § 7 SG normierte Treuepflicht des Soldaten verstoßen. Diese gebietet es auch, den Dienstherrn vor Schaden zu bewahren und unmittelbar oder mittelbar den Dienstherrn schädigende Handlungen zu unterlassen (vgl. BVerwG, U.v. 11.3.1999 – 2 C 15.98 – juris Rn. 22).
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin diese Pflicht grob fahrlässig verletzt hat.
Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten des Soldaten. Dementsprechend muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, d.h. der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Soldaten beurteilt werden, ob und in welchem Maß das Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz naheliegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (BVerwG, U.v. 2.2.2017 – 2 C 22.16 – juris Rn. 14; U.v. 29.4.2004 – 2 C 2.03 – BVerwGE 120, 370/374; BayVGH, B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 2.4.2013 – 5 LA 50/12 – juris Rn. 5).
Gemessen an diesem Maßstab hat die Klägerin aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen grob fahrlässig gehandelt. Der Zulassungsantrag bringt nichts vor, was sie hinsichtlich des Vorwurfs der groben Fahrlässigkeit entlasten könnte. Die konkrete Unfallsituation und die Einlassung vom 27. Juni 2017 bei der Vernehmung über den Unfall (Bl. 11 der Beklagtenakte), die Klägerin habe den geschädigten Pkw übersehen, kann nur durch grobe Fahrlässigkeit zu dem Unfall geführt haben. Schon bei einer Verwendung der Spiegel und einer Rückschau hätte sie den geparkten Pkw wahrnehmen müssen, insbesondere bei einer vorsichtigen Rückwärtsfahrt.
Ohne Erfolg bleibt der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den falschen Maßstab bei der rechtlichen Bewertung angesetzt. Das Verwaltungsgericht hat den Maßstab der groben Fahrlässigkeit zutreffend dargestellt (Rn. 21 des Urteils). Die beanstandeten Ausführungen (bei Rn. 25 des Urteils) hat es im Hinblick auf ein sog. Augenblicksversagen vorgenommen und wegen der Treuepflicht hohe Anforderungen an ein solches Augenblicksversagen gestellt. Ein Augenblicksversagen wird von der Klägerin aber nicht substantiiert geltend gemacht.
Keine ernstlichen Zweifel ergeben sich aus der Rüge, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft von der Annahme ausgegangen, dass § 9 Abs. 5 StVO direkt anzuwenden sei, obwohl diese Vorschrift nur den fließenden Verkehr regle. Abgesehen davon, dass § 9 Abs. 5 StVO nur vergleichend herangezogen wurde, versteht es sich von selbst, dass Rückwärtsfahren ein erhöhtes Gefährdungspotential für Unfälle beinhaltet, und zwar auch beim Ein- oder Ausparken. In der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist deshalb anerkannt, dass auf Parkplätzen ohne Straßencharakter die Wertung des § 9 Abs. 5 über § 1 Abs. 1 StVO mittelbare Bedeutung erlangt (z.B. BGH, U.v. 11.10.2016 – VI ZR 66/16 – juris Rn. 9) und zu einer erhöhten Sorgfaltspflicht führt (BGH, B.v. 10.3.2015 – VI ZB 28/14 – juris Rn. 15).
Ebenfalls nicht überzeugen kann die Rüge, gegen den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit spreche die Rechtsprechung der Zivilgerichte, wonach ein überblickbarer und mit Gewissheit freier Raum rückwärts ohne einen Einweiser befahren werden dürfe. Denn der Raum hinter dem von der Klägerin gesteuerten Dienstfahrzeug war nicht überblickbar und mit Gewissheit frei, sonst wäre es nicht zu dem Unfall gekommen. Der Unfall wäre nicht passiert, wenn sie sich selbst oder durch einen Einweiser von der konkreten Situation, hier eines geparkten Fahrzeuges mit Anhängerkupplung, überzeugt hätte. Dass sie dies nicht getan hat, bestätigt die Bewertung als „grob fahrlässig“ durch das Verwaltungsgericht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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