Verwaltungsrecht

Schwangerschaft kein Abschiebungshindernis bei gleichwertiger medizinischer Versorgung im Zielstaat

Aktenzeichen  M 17 K 16.30717

Datum:
12.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4, § 29a Abs. 2, § 30 Abs. 2, § 36 Abs. 1, § 71 Abs. 1 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Schwangerschaft begründet in Bezug auf den Kosovo kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet.
2. Die zulässige Klage ist unbegründet.
2.1. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrages nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
2.2. Hier hat die Beklagte zu Recht die erneute Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt, da die Kläger die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 4 AsylG bzw. § 60 AufenthG nicht glaubhaft machen konnten.
Insoweit wird vollumfänglich auf die im Bescheid der Beklagten getätigten Ausführungen Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.2.1. Das Heimatland der Kläger, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung von Kosovo als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich.
Die Kläger haben die durch § 29 a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können.
Die Kläger haben sich im Wesentlichen auf die schlechte wirtschaftliche Situation im Kosovo und ihre Perspektivlosigkeit berufen. Dies begründet aber keine Verfolgung im Sinne von Art. 16 a GG oder § 3 AsylG mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale. Vielmehr ist gemäß § 30 Abs. 2 AsylG ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.
2.2.2. Die nunmehr erstmals geltend gemachte Schwangerschaft der Klägerin zu 1) stellt kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot nicht ausgegangen werden:
Die Schwangerschaft der Klägerin zu 1) führt nicht zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Es handelt sich um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das die Ausländerbehörde bei der Vollstreckung der Abschiebung zu berücksichtigen hat (§ 60 a Abs. 2 AufenthG; vgl. VG München, B.v. 22.09.2015 – M 15 S 15.31117 – juris Rn. 17; VG München, B.v. 23.10.2013 – M 24 S 13.31033; VG München, U.v. 15.01.2015 – M 12 K 14.31140 – juris Rn. 45; VG Berlin, B.v. 30.10.2015 – 33 L 305.15 A – juris Rn. 18; hinsichtlich der Luftabschiebung von Schwangeren vgl. BayVGH, B.v. 10.08.2015 – 10 CE 15.1341, 10 C 15.1343 – juris Rn. 8).
Eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat die Klägerin zu 1) im Übrigen nicht dargetan. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Risikoschwangerschaft oder sonstige gesundheitliche Probleme. Im Übrigen können Erkrankungen im Kosovo auch grundsätzlich behandelt werden. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 9. Dezember 2015 (S. 21ff.) ist die Gesundheitsversorgung im Kosovo grundsätzlich gesichert. Die primäre Grundversorgung, das heißt die ambulante Grundversorgung durch Allgemeinmediziner und andere Fachärzte sowie medizinisches Assistenzpersonal, erfolge in sogenannten Familien-Gesundheitszentren, die in der Verantwortung der jeweiligen Kommune betrieben und von diesen finanziert würden. Sollte die Klägerin zu 1) mittlerweile entbunden haben, ist davon auszugehen, dass dies seitens der Ausländerbehörde im Rahmen der Abschiebung entsprechend berücksichtigt wird. Eine dauerhafte Reiseunfähigkeit ist jedoch auch bei Neugeborenen grundsätzlich nicht anzunehmen.
2.2.3. Eine etwaige Geltendmachung der Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen aufgrund einer bestehenden Ehe bzw. eines etwaigen Familienverbands (Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) wäre kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern ein im Rahmen von § 60a AufenthG zu prüfendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, für das sich die Kläger auf einen Antrag auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde verweisen lassen müssen (vgl. NdsOVG, U.v. 18.5.2010 – 11 LB 186/08 – juris Rn. 47; OVG Berlin-Bbg. B.v. 30.4.2013 – OVG 12 S 25.13 – juris unter Hinweis auf § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 6/97 – juris). Den Wunsch der Klägerin zu 1), gemeinsam mit ihrem Ehemann in den Kosovo zurückzureisen, nachdem dieser aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden ist, kann sie demnach nicht im Asylverfahren erreichen. Entsprechend ihres Vortrags leben in ihrer Heimat viele ihrer Verwandten, darunter ihre Eltern und Geschwister, von denen anzunehmen ist, dass diese sie ebenfalls unterstützen würden, so dass sie, auch wenn der Beistand durch ihren Ehemann sicher optimal wäre, jedenfalls nicht ohne Beistand bei der Betreuung ihrer Kinder wäre.
Gleiches gilt für den Umstand, dass die Klägerin zu 2) als Minderjährige wohl nicht getrennt von ihren Eltern nach Kosovo zurückkehren kann (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
3. Vor diesem Hintergrund ist auch die nach Maßgabe der § 34 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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