Aktenzeichen Au 6 K 16.30152
Leitsatz
Serbien ist ein sicherer Herkunftsstaat. Bei einer Gefahr für Leib und Leben durch nichtstaatliche Dritte kann auf die Hilfe durch die zuständigen Behörden in Serbien verwiesen werden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Auf die Klage hin werden Ziffern 6 und 7 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Januar 2016 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über die Befristung des gesetzlichen und gewillkürten Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 und Abs. 7 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts neu von Amts wegen zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat von den Kosten des Verfahrens zwei Drittel zu tragen; die Beklagte ein Drittel.
III.
Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin noch die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt, da deren Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 113 Abs. 5 VwGO). Allerdings ist die Klage hinsichtlich der erlassenen bzw. befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbote begründet, da diese vorliegend ermessensfehlerhaft festgesetzt und daher rechtswidrig sind sowie die Klägerin in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Auf die zutreffende Begründunge des angefochtenen Bescheids wird in vollem Umfang verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Es kann dahinstehen, ob insoweit eine Verpflichtung des Bundesamts durch das Verwaltungsgericht überhaupt möglich ist, denn die Klägerin hat den insoweit versagenden Teil des angefochtenen Bescheids des Bundesamts (Ziffer 4) nur mit einem Anfechtungsantrag angegriffen, nicht mit einem zielführenden weitergehenden Verpflichtungsantrag. Eine Klageerweiterung in offener Klagefrist ist nicht erfolgt; mittlerweile ist die Klagefrist abgelaufen. Ob insoweit eine gegenteilige Verpflichtung des Beklagten dennoch möglich wäre, kann offen bleiben, da die Klage in diesem Umfang jedenfalls unbegründet ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).
b) Die Klägerin hat in der Sache keinen Anspruch auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Dem Vortrag der Klägerin lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ihr bei einer Rückkehr nach Serbien eine Verletzung ihrer Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention nach § 60 Abs. 5 AufenthG insbesondere i. V. m. Art. 3 EMRK drohte. Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen ihr gerade nicht. Soweit sie bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt Übergriffe durch private Dritte vorgetragen hat, sind diese dem serbischen Staat nicht unmittelbar zurechenbar. Dass die staatlichen Stellen in Serbien nicht schutzfähig und schutzwillig wären und die Übergriffe ihm deswegen mittelbar zuzurechnen wären, ist ebenfalls nicht ersichtlich, so dass es nicht darauf ankommt, ob sie sachlich das Merkmal unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung überhaupt erfüllt ist. Selbst wenn sie sich durch die örtliche Polizeidienststelle nicht ernst genommen fühlte, stand ihr doch der Weg einer Beschwerde oder einer Petition an den Ombudsmann offen, selbst wenn sie von diesem nichts wusste. Sie beklagte sich vielmehr über eine allgemeine Diskriminierung der Sinti, im Krankenhaus und in der Schule. Aber dass sie jedes Mal im Krankenhaus entbinden konnte, ihre Tochter auch am Tränenkanal operiert wurde und ihre Kinder alle zur Schule gehen konnten, spricht gegen eine staatliche Diskriminierung. Mit dem Hinweis auf die Diskriminierung von Sinti-Angehörigen beruft sich die Klägerin letztlich auf die allgemeine Lage der Sinti in Serbien, so dass die zum Asylanspruch aufgestellte Regelvermutung des § 29a AsylG nicht entkräftet ist. Denn nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen ist darauf zu verweisen, dass eine Verfolgung von Angehörigen der Sinti-Minderheit in Serbien weiterhin nicht feststellbar ist (s. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland i. S. des § 29a AsylG v. 23.11.2015, S. 9). Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich zwar durchaus, dass es Diskriminierungen der Sinti insbesondere im Alltag gibt. Anhaltspunkte dafür, dass der serbische Staat generell nicht willens oder nicht in der Lage wäre, ausreichend Schutz zu geben, bestehen jedoch nach der Auskunftslage nicht. Probleme im Alltag als Sinti sind regelmäßig auf das Verhalten anderer Einwohner zurückzuführen, nicht auf staatliche Maßnahmen.
Es ist auch zu erwarten, dass die Klägerin das erforderliche Existenzminimum in Serbien, wie bisher, sicherstellen kann. Anhaltspunkte dafür, dass sie Gefahr liefe, in Serbien auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung insbesondere eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde, gibt es nicht. Ihr Mann war erwerbstätig und verdiente ihrer Schilderung nach mit etwa 300 Euro monatlich genug Geld für den Lebensunterhalt. Auch sonst ist keine existenzielle Gefährdung ersichtlich.
Soweit die Klägerin sich nun auf ihre Mutterschaft für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit in Folge einer Vaterschaftsanerkennung durch einen deutschen Staatsangehörigen beruft, erfüllt dies nicht die Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses nach Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 EMRK, das jedoch nicht vom Bundesamt, sondern von der Ausländerbehörde zu prüfen und zu berücksichtigen ist (arg. ex § 42 AsylG; § 72 Abs. 2 AufenthG).
c) Es bestehen auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung, denn die Klägerin ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG mangels eines nach § 4 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 10 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG erteilten Aufenthaltstitels grundsätzlich ausreisepflichtig (vgl. auch § 60a Abs. 3 AufenthG). Selbst wenn in ihrem Fall ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vorliegen sollte, stünde dieses einer Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen.
2. Allerdings sind die Entscheidungen in Ziffern 6 und 7 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Januar 2016 hinsichtlich des Erlasses bzw. der Befristung von Einreise- und Aufenthaltsverboten nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 7 AufenthG rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten, da das Bundesamt ausweislich seines Bescheids die familiäre Beziehung zum im Bundesgebiet lebenden deutschen Kind nicht berücksichtigt hat. Insoweit liegt ein Ermessensdefizit vor, das sowohl die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als auch den Erlass des gewillkürten Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG betrifft.
Insoweit hat die Klägerin ebenfalls lediglich einen Anfechtungsantrag stellen lassen, der für die Beseitigung des gewillkürten Einreise- und Aufenthaltsverboten nach § 11 Abs. 7 AufenthG ausreicht, aber wörtlich verstanden daneben nur die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG beseitigte, so dass dieses unbefristet wäre und sie rechtlich noch mehr belastete als bisher. Bei sinngemäßer Auslegung der von ihrem Rechtsanwalt gestellten Klageanträge ist nach ihrem Klageziel aber davon auszugehen, dass sie gar kein Einreise- und Aufenthaltsverbot hinzunehmen bereit ist. Dazu aber bedarf es eines weitergehenden Verpflichtungsantrags, der hier fehlt. Daher kann das Verwaltungsgericht auch keine Verpflichtung der Beklagten zu einer bestimmten Befristung aussprechen, sondern sie nur durch Aufhebung der bisherigen Befristung in den Verfahrensstand zurück versetzen, erneut von Amts wegen nach § 11 Abs. 2 und Abs. 3 Satz1 AufenthG über die Dauer der Befristung – nunmehr unter Berücksichtigung der familiären Belange der Klägerin – neu zu entscheiden.
Die in der mündlichen Verhandlung näher aufgeklärte familiäre Lebensgemeinschaft der Klägerin mit ihrer deutschen Tochter ist unter Berücksichtigung der wertentscheidenden Normen des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK in die Ermessensentscheidung der Beklagten über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes sowie über die Verhängung eines gewillkürten Einreise- und Aufenthaltsverbotes einzustellen. Ihre Geltung hinderte einen legalen Aufenthalt der Klägerin bei ihrem nach Art. 11 GG freizügigkeits- und damit uneingeschränkt im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigten deutschen Kind. Nach den Angaben der Klägerin wurde das Kind bei einer Begegnung mit dem Kindsvater in … gezeugt; der Kindsvater besucht das Kind einmal monatlich, wenn die anderen Kinder in der Schule sind, versorgt es u. a. mit Kleidung und gibt der Klägerin 170,00 Euro bar für den Unterhalt des Kindes, lebt aber nicht mit dem Kind zusammen. Die Klägerin hingegen lebt nach ihren Angaben mit dem Kind in familiärer Lebensgemeinschaft sowie mit ihrem Lebensgefährten/“Ex-Mann“ und den gemeinsamen Kindern.
3. Kosten: § 155 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
4. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.