Verwaltungsrecht

Setzung einer Frist für den Abschluss des Disziplinarverfahrens

Aktenzeichen  AN 13a D 17.01317

Datum:
31.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 62

 

Leitsatz

1 Die Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens durch das Gericht (§ 62 Abs. 1 BDG) setzt – neben dem Nichtvorliegen eines hinreichenden Grundes für den mangelnden Abschluss des Verfahrens – voraus, dass das säumige Verhalten der Disziplinarbehörde schuldhaft sein muss. (Rn. 17 und 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Belastungen der Ermittlungspersonen oder eine unzureichende personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörde rechtfertigen eine Verzögerung des Disziplinarverfahrens grundsätzlich nicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Sind nach der letzten Zeugenvernehmung über ein Jahr keine Ermittlungen mehr durchgeführt worden, ist ein Fristsetzung geboten. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird für den Abschluss des Disziplinarverfahrens eine Frist bis zum 30. November 2017 gesetzt.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Mit Verfügung vom 13. November 2015 leitete der Leiter des Hauptzollamts … als unmittelbarer Dienstvorgesetzter gegen den Antragsteller wegen des Verdacht eines Dienstvergehens gem. § 17 BDG ein Disziplinarverfahren ein und beauftragte den ständigen Ermittlungsführer bei der Generalzolldirektion mit den Ermittlungen gem. §§ 21 ff. BDG.
Gegenstand des Disziplinarverfahrens ist das Verhalten des Antragstellers während einer am 29. September 2015 durchgeführten Eigensicherungsübung. Ferner habe der Antragsteller während eines früheren Einsatztrainings einen Trainer bei der Abwehr einer simulierten Gefahrensituation unangemessen körperlich behandelt. Auch sei der Antragsteller bei anderen vergleichbaren Situationen mehrmals verbal aggressiv aufgefallen.
Die Einleitung des Disziplinarverfahrens wurde dem Antragsteller am 25. November 2015 bekanntgegeben.
Nach Eingang der schriftlichen Äußerung der Bevollmächtigten des Antragstellers nach § 20 BDG wurden neben der Einsichtnahme in die Personalakte des Antragstellers und der Beiziehung eines amtsärztlichen Gutachtens zu dessen Dienstfähigkeit am 9. Mai 2016, 10. Mai 2016 und 19. Juli 2016 insgesamt 10 Zeugen einvernommen.
Ausweislich der von der Antragsgegnerin vorgelegten Ermittlungsakte wurden seitdem keine – aktenkundigen – weiteren Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 27. Juni 2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Würzburg am 30. Juni 2017, ließ der Antragsteller beantragen,
dem Antragsgegner eine Frist gem. § 62 Abs. 2 BDG zum Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens zu setzen und dem Antragsgegner die Kosten des Rechtstreits aufzuerlegen.
Zur Begründung des Antrags wurde vorgetragen, dass nach der Einvernahme der Zeugen das Disziplinarverfahren nicht weiter betrieben worden sei. Bereits das Nichtbetreiben des Disziplinarverfahrens über einen Zeitraum von fast 12 Monaten lasse das Bedürfnis des Dienstherrn, eine Disziplinarmaßnahme auszusprechen, objektiv entfallen, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, wenn überhaupt, nur um eine geringfügige einmalige Verfehlung eines Beamten handele.
Dem Antragsteller seien bereits jetzt erhebliche Nachteile durch die Länge des Verfahrens entstanden. Nunmehr stünden dienstliche Beurteilungen an, welche ebenfalls Anlass dazu gäben, das gerichtliche Verfahren einzuleiten mit dem Ziel der Beendigung und Einstellung des Verfahrens.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 10. Juli 2017, den Antrag abzulehnen.
Die durch die Fortdauer des gegenständlichen behördlichen Disziplinarverfahrens eingetretene Fristüberschreitung sei auf die gleichzeitige Bearbeitung zahlreicher, umfangreicher und schwieriger weiterer Disziplinarverfahren durch den Ermittlungsführer zurückzuführen. Hinzu komme noch, dass der Ermittlungsführer 2016 mehrmals längere Zeit dienstunfähig erkrankt gewesen sei und seine Mitarbeiterin seit Januar 2017 nicht mehr zur Verfügung stehe.
Für den Abschluss der Ermittlungen seien durch den Ermittlungsführer noch eine umfassende Einschätzung der Dienststelle zum sonstigen dienstlichen Verhalten des Antragstellers vor, während und nach seinem Fehlverhalten zur Berücksichtigung der Persönlichkeit des Antragstellers gem. § 13 BDG sowie eine Auskunft zu dessen aktuellen Dienstbezügen von der für die Besoldung zuständigen Stelle einzuholen.
Die anschließende Fertigstellung des Ermittlungsberichts, dessen Bekanntgabe an den Antragsteller mit einmonatiger Äußerungsfrist nach § 30 BDG i.V.m. § 20 Abs. 2 BDG und die Entscheidung des Dienstvorgesetzten über den Erlass einer Disziplinarverfügung, die Einstellung des Verfahrens oder die Vorlage einer Disziplinarklageschrift, würden nach Einschätzung der Antragsgegnerin insgesamt noch ca. 3 Monate in Anspruch nehmen, sodass mit einem Abschluss des Disziplinarverfahrens voraussichtlich bis Ende Dezember 2017 gerechnet werden könne.
Das Verwaltungsgericht Würzburg erklärte sich mit Beschluss vom 11. Juli 2017 – W 1 E 17.639 für örtlich nicht zuständig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Ansbach.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BDG ist zulässig und auch unbegründet.
Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 BDG kann der Beamte bei dem Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen, wenn ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Einstellung, durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen ist. Das Gericht bestimmt gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 BDG eine solche Frist, wenn ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Disziplinarverfahrens innerhalb von sechs Monaten nicht vorliegt.
Voraussetzung für die gerichtliche Fristbestimmung nach § 62 Abs. 2 BDG ist das Nichtvorliegen eines hinreichenden Grundes dafür, dass das Disziplinarverfahren seit seiner Einleitung nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen wurde. Bei dieser Frist handelt es sich nicht um eine absolute; sie ist vielmehr Ausdruck des das Disziplinarrecht beherrschenden Beschleunigungsgrundsatzes und soll die für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständige Dienstbehörde veranlassen, das Verfahren ohne unangemessene Verzögerungen durchzuführen; es soll sie insbesondere daran hindern, nach Einleitung des Verfahrens untätig zu bleiben. Die Vorschrift steht damit in einem Spannungsverhältnis zu der gleichfalls bestehenden Pflicht, den disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalt umfassend zu ermitteln (§ 21 Abs. 1 BDG) und dem Beamten, gegen den ermittelt wird, die Möglichkeit zur Äußerung zu geben (§ 30 Satz 1 BDG). Gestalten sich die Ermittlungen schwierig oder umfangreich, so lässt sich die in § 62 Abs. 1 BDG genannte Frist unter Umständen nicht einhalten, ohne die Aufklärungs- und Anhörungspflicht zu verletzen (vgl. Herrmann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 1. Auflage 2014, Rn. 726).
Deshalb ist zusätzliche Voraussetzung für die Setzung einer Frist nach § 62 Abs. 2 BDG, dass ein eventuelles säumiges Verhalten der für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständigen Behörde schuldhaft sein muss (vgl. Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, Rn. 10 zu § 62 BDG m.w.N.).
Maßgeblich dafür, ob die Voraussetzungen für die Setzung einer Frist nach § 62 Abs. 2 BDG vorliegen, ist somit, ob nach den Umständen des Einzelfalles von einer schuldhaften Verfahrensverzögerung durch die zuständige Behörde gesprochen werden kann; Kriterien für die diesbezügliche Beurteilung sind im Wesentlichen Umfang und Schwierigkeitsgrad des Verfahrensstoffes, die Zahl und Art der zu erhebenden Beweise, das den Verfahrensbeteiligten zuzurechnende Verhalten (etwa Beweisanträge oder fehlende Kooperationsbereitschaft des Beamten) sowie die von der Behörde nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbaren Tätigkeiten Dritter, etwa von Sachverständigen (vgl. Urban/Wittkowski, a.a.O., Rn. 8 zu § 62).
Belastungen der Ermittlungspersonen oder andere Aufgaben rechtfertigen eine Verzögerung angesichts des in § 4 BDG festgelegten Beschleunigungsgebotes regelmäßig nicht. Die Disziplinarbehörde muss im Rahmen der Personalorganisation dafür sorgen, dass der Ermittlungsführer durch Freistellung von den Aufgaben seines Hauptamtes dieser vorrangigen Diensttätigkeit verzögerungsfrei nachgehen kann. Eine qualitativ und quantitativ unzureichende personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörde, eine nicht genügende Entlastung des Ermittlungsführers von anderen Aufgaben oder eine nicht sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe entschuldigen die Disziplinarbehörde nicht (vgl. Herrmann/Sandkuhl, a.a.O., Rn. 727).
Maßgebend für die Feststellung eines „zureichenden Grundes“ ist der Sachstand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Urban/Wittkowski, a.a.O., Rn. 10 zu § 62 m.w.N.).
Hiervon ausgehend ist antragsgemäß der Antragsgegnerin eine Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens zu setzen, da dieses in einer der Disziplinarbehörde zurechenbaren Weise ohne zureichenden Grund bisher nicht zum Abschluss gebracht worden und die Frist des § 62 Abs. 1 BDG bereits deutlich überschritten worden ist.
Die im Rahmen der Durchführung der Ermittlungen nach § 21 Abs. 1 BDG im Disziplinarverfahren durchgeführte Beweiserhebung durch Einvernahme von insgesamt zehn Zeugen (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 BDG) ist mit der Einvernahme des letzten Zeugen am 19. Juli 2016 abgeschlossen worden. Ausweislich der Ermittlungsakte sind seitdem, also seit über einem Jahr, keine weiteren aktenkundigen Ermittlungen durchgeführt worden.
Auch unter Berücksichtigung, dass der Ermittlungsführer nach Angaben der Antragsgegnerin im Jahr 2016 zeitweise dienstunfähig erkrankt war (vgl. hierzu: Urban/Wittkowski, a.a.O., Rn. 10 zu § 62), sind im laufenden Kalenderjahr bereits wieder über sechs Monate vergangen, ohne dass das Disziplinarverfahren weiter betrieben und zum Abschluss gebracht worden wäre. Der Wegfall der Unterstützung des Ermittlungsführers durch eine Mitarbeiterin seit Januar 2017 entlastet nach dem oben Gesagten die Behörde nicht. Die nach der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 10. Juli 2017 noch ausstehenden Ermittlungen (Anfrage zur Einschätzung der Dienststelle zum sonstigen dienstlichen Verhalten des Antragstellers und Einholung einer Auskunft zu den aktuellen Dienstbezügen des Antragstellers) sind nicht arbeitsintensiv und hätten ohne weiteres bereits erfolgen können.
Es ist deshalb antragsgemäß eine Frist nach § 62 Abs. 2 BDG zum Abschluss des Disziplinarverfahrens zu setzen.
Das Gericht hat hierbei aufgrund der vorgefundenen Einzelfallumstände eine summarische Prognose anzustellen, innerhalb welcher Zeit die Behörde bei Beachtung ihrer Aufklärungspflicht und des Beschleunigungsgrundsatzes das Verfahren abschließend kann. Die Frist ist unter Berücksichtigung eines vom Gericht eventuell erkannten zusätzlichen Ermittlungsaufwands zwar realistisch, vom Zweck der Regelung her und wegen der Verlängerungsmöglichkeit im Zweifel aber eher möglichst kurz zu bemessen (Urban/Wittkowski, a.a.O., Rn. 11 zu § 62).
Da ein weitergehender zeitaufwändiger Ermittlungsaufwand im vorliegenden Verfahren nicht erkennbar und auch von der Antragsgegnerin nicht behauptet wird, ist es im Hinblick auf die in Bayern gerade begonnenen Sommerferien und unter Berücksichtigung der zeitlichen Vorgaben des § 30 BDG i.V.m. § 20 Abs. 2 BDG als angemessen aber auch ausreichend anzusehen, der Antragsgegnerin für den Abschluss des Disziplinarverfahrens eine Frist bis zum 30. November 2017 zu setzen.
Die Kosten des Verfahrens trägt gemäß § 77 Abs. 3 BDG die Antragsgegnerin.
Dieser Beschluss ist gemäß §§ 62 Abs. 2 Satz 3, 53 Abs. 2 Satz 5 BDG unanfechtbar.

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