Verwaltungsrecht

Sicherer Herkunftsstaat Albanien

Aktenzeichen  M 2 S 17.46093

Datum:
31.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 29a Abs. 1, § 36 Abs. 3, Abs. 4
GG GG Art. 16a Abs. 3

 

Leitsatz

Ein Asylsuchender aus einem sicheren Herkunftsstaat muss – will er das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes erschüttern – die normative Nichtverfolgungsvermutung durch schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller ist albanischer Staatsangehörige. Eigenen Angaben zufolge reiste er am 21. Juni 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein; er stellte hier am 28. Juni 2017 einen Asylantrag.
Der Antragsteller wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 6. Juli 2017 angehört. Mit Bescheid vom 7. Juli 2017, über dessen Zustellung sich kein Nachweis bei den vorgelegten Behördenakten befindet, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), Asylanerkennung (Nr. 2) und Gewährung von subsidiärem Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Albanien oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Der Antragsteller erhob zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 20. Juli 2017 Klage, die dort unter M 2 K 17.46092 anhängig ist, und beantragt dabei sinngemäß, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids vom 7. Juli 2017 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die des subsidiären Schutzstatus, und weiter hilfsweise, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen. Über die Klage wurde bislang noch nicht entschieden. Zudem wird von ihm beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung nimmt der Antragsteller Bezug auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt. Zudem führt er aus, seine Lebensgefährtin sei schwanger; der voraussichtliche Entbindungstermin sei der 25. September 2017. Sie werde ebenfalls Klage einreichen.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakten elektronisch vorgelegt; sie stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 2 K 17.46092 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Es kann offenbleiben, ob der vorliegend statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 75 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) in der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben wurde, da er jedenfalls unbegründet ist.
Der Antrag ist unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 Grundgesetz – GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
1. Nach Art. 16a GG, § 36 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.d. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG (und sodann auch § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG) vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz sonach zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83– juris Rn. 40). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist zudem vom Bundesamt in seiner Entscheidung über einen Asylantrag auch festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine offensichtliche Unbegründetheit einer Asylklage dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Bundesamts für die vorliegend allein noch streitige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzes und der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten. An der Richtigkeit der Feststellungen des Bundesamtes bestehen vernünftigerweise keine Zweifel. Bei dem zur Entscheidung gestellte Sachverhalt drängt sich dem erkennenden Gericht die Abweisung des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers auf.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 7. Juli 2017 verwiesen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes festzustellen:
2.1 Für das Gericht ist offensichtlich, dass dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung von internationalem Schutz nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG nicht zusteht.
Die Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i.S.d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht. Das Heimatland des Antragstellers, Albanien, ist ein sicherer Herkunftsstaat in diesem Sinne (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II). Die Einstufung Albaniens als sicherer Herkunftsstaat erfolgte aufgrund des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl I S. 1722) mit Wirkung vom 24. Oktober 2015. Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – Rn. 65). Gegen die Einstufung Albaniens als sicherer Herkunftsstaat bestehen weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken.
Der Antragsteller hat die normative Nichtverfolgungsvermutung auch nicht ansatzweise durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Die von ihm angegebenen Tatsachen und Beweismittel begründen gerade nicht die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
§ 3c Nr. 3 AsylG, der gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes entsprechend gilt, setzt zudem bei einer von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehenden Verfolgung – alle eine in solche gibt der Antragsteller im Übrigen eher pauschal an –, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu gewähren. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der albanischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nicht auszugehen. Das Gericht ist unter Auswertung der vorhandenen einschlägigen Erkenntnismittel, insbesondere des aktuellen Berichts des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 16. August 2016, davon überzeugt, dass der albanische Staat grundsätzlich willens und in der Lage ist, vor Übergriffen im Rahmen von privaten Konflikten Schutz zu bieten bzw. hiergegen einzuschreiten oder solchen vorzubeugen (vgl. aktuell OVG NRW, B.v. 24.4.2017 – 11 A 88/17.A – juris Rn. 9, unter umfänglicher Aus- und Bewertung der aktuellen Erkenntnismitteln). Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei der albanischen Polizei keinen angemessenen Schutz gegen Bedrohungen, die Kriminelle gegebenenfalls gegen ihn unternehmen könnten – der Vortrag gegenüber dem Bundesamt erschöpft sich insoweit im Wesentlichen in Allgemeinplätzen zur subjektiven Einschätzung der Sicherheitslage in Albanien –, finden könnte. Ferner ist auch davon auszugehen, dass ganz offensichtlich – selbst bei hier nicht vorliegender substantiierter Bedrohungs-/Verfolgungslage – eine inländische Fluchtalternative bestehen würde (§ 3e AsylG). Der Antragsteller könnte jedenfalls durch Verlegung seines Wohnsitzes in urbane Zentren anderer Landesteile Albaniens, wo ein Leben in gewisser Anonymität möglich ist und nichtstaatliche Dritte mit asylrechtlich hinreichender Sicherheit gegebenenfalls nicht ausfindig machen können, eine etwaige Gefahr für Leib oder Leben abwenden. Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (vgl. Lagebericht, aaO S. 11).
Nach alledem fehlt es offenkundig an den Voraussetzungen der internationalen Schutzgewährung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG:
2.2 Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass sich für den Antragsteller in Albanien weder mit Blick auf die dortige allgemeine wirtschaftliche, soziale und humanitäre Situation noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine im Rahmen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Abschiebungsschutz relevante Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung ergeben wird.
Allein wegen der Lebensbedingungen in Albanien vermag sich der Antragsteller weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse ist nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten, sodass auch nur dann die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sein können (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff.).
Das Gericht geht insbesondere im Lichte des vorgenannten aktuellen Berichts des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 16. August 2016, nicht davon aus, dass dem Antragsteller in Albanien eine Existenzgrundlage gänzlich fehlen wird und er dort im Sinne eines außergewöhnlichen Einzelfalls eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erwarten muss. Die Lebensbedingungen sind in Albanien grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRGK aufweisen (vgl. aktuell z.B. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375). Dies gilt auch im Fall des Antragstellers. Als junger Mann im erwerbsfähigen Alter hat er nach eigenen Angaben bereits in seiner Heimat gearbeitet. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, wieso er nicht in der Lage sein sollte, „durch seiner Hände Arbeit“ in Albanien eine zumindest existenzsichernde Grundversorgung auf bescheidenem, landesangemessenem Niveau für sich und seine Lebensgefährtin nebst Kleinkind zu erzielen. Der albanische Staat gewährt bedürftigen Staatsangehörigen im Inland zudem Sozialhilfe und Sozialdienstleistungen, falls kein oder nur ein geringes Einkommen vorhanden ist (vgl. Lagebericht, aaO S. 13). Damit ist auch für den Antragsteller und auch seine Lebensgefährtin nebst Kleinkind in jedem Fall die Grundversorgung ausreichend gesichert. Dazu kommt, dass in Albanien Grundnahrungsmittel, in erster Linie Brot, subventioniert wird (vgl. Auswärtiges Amt, aaO S. 13). Das Gericht verkennt nicht, dass sich das Leben in Albanien für den Antragsteller und seine Lebensgefährtin nebst Kleinkind jedenfalls zunächst durchaus als schwierig und hart erweisen kann. Die asylrechtlich sehr hohen Voraussetzungen, unter denen eine wirtschaftlich schlechte Lage im besonderen Einzelfall ausnahmsweise zu einem nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot führen kann, sind jedoch im Fall des Antragstellers und auch seiner Lebensgefährtin nebst Kleinkind zur Überzeugung des Gerichts nicht erfüllt.
Nach alledem kann sich der Antragsteller mit Erfolg weder auf die Gewährung internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG noch auf die Feststellung von nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG berufen. Vor diesem Hintergrund sind die nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung und die dazu gesetzte einwöchige Ausreisefrist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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