Verwaltungsrecht

Sippenhaft bei Wehrdienstentziehung eines nahen Familienangehörigen in Syrien

Aktenzeichen  20 ZB 17.31433

Datum:
4.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3392
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

Die Frage, ob syrischen Staatsangehörigen anknüpfend an die Wehrdienstentziehung eines nahen Familienangehörigen im Falle der Rückkehr nach Syrien unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft ebenfalls asylerhebliche bzw. flüchtlingsrelevante Maßnahmen des syrischen Regimes drohen, hat keine grundsätzliche Bedeutung (BayVGH BeckRS 2018, 18510; OVG Saarl BeckRS 2018, 19679 und VGH BW BeckRS 2017, 123022). (Rn. 3 – 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 17.31655 2017-09-06 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg ist unbegründet, da die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht vorliegt.
Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die Rechtssache eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit). Klärungsbedürftig sind nur Fragen, die nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz zu lösen oder nicht bereits durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts oder des Berufungsgerichts geklärt sind (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124, Rn. 36 und 38 m.w.N.).
Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob syrischen Staatsangehörigen anknüpfend an die Wehrdienstentziehung eines nahen Familienangehörigen im Falle der Rückkehr nach Syrien unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft ebenfalls asylerhebliche bzw. flüchtlingsrelevante Maßnahmen des syrischen Regimes drohen.
Diese Frage ist durch die Rechtsprechung, insbesondere des 21. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, Urteil v. 20.6.2018 – 21 B 18.30825 – juris Rn. 52 ff.; OVG Saarl, Urteil v. 20.8.2018 – 1 A 589/17 – juris Rn. 55; VGH BW, Urteil v. 9.8.2017 – A 11 S 710/17 – juris Rn. 50) geklärt.
Durch die Antragsbegründung wird ein erneuter Klärungsbedarf dieser Frage nicht dargelegt. Soweit die Begründung sich auf Entscheidungen des VG Freiburg vom Juni und Juli 2017 bezieht, sind diese durch die oben genannte Entscheidung des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. August 2017 überholt. Soweit die Kläger sich darüber hinaus auf die in den Urteilen des VG Freiburg in Bezug genommenen Erwägungen des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, berufen, wird ein erneuter Klärungsbedarf nicht begründet. Denn der UNHCR nennt dort an der in Bezug genommenen Stelle (S. 26) allein einige „Risikofälle“, bei denen es „wahrscheinlich“ sei, dass sie internationalen Schutz benötigten. Die Ausführungen des UNHCR an dieser Stelle sind also sehr allgemein gehalten. Demgegenüber hat der 21. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in der genannten Entscheidung vom 20. Juni 2018 sich im Einzelnen mit der viel detaillierteren Stellungnahme des UNHCR „Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom Februar 2017“ auseinandergesetzt (BayVGH a.a.O. Rn. 60 bis 64).
Auch die in Bezug genommene Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die Syrische Armee, vom 28. März 2015, enthält allein einen pauschalen Hinweis, dass Familienangehörige von Deserteuren und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, verhaftet oder von den syrischen Behörden unter Druck gesetzt würden. Die inzwischen veröffentlichte, aktuellere und detailliertere Schnellrecherche der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 25. Januar 2017 zur Reflexverfolgung in Syrien wurde dagegen vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in der genannten Entscheidung detailliert gewürdigt. Schließlich kann auch die angeführte Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016 nicht einen erneuten Klärungsbedarf begründen. Denn diese bezieht sich auf eine Studie des Danish Immigration Service vom September 2015. Danach bestehe, wenn der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht werde, für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Demgegenüber ist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu seiner Einschätzung unter Würdigung des aktuelleren Berichts des Danish Immigration Service vom August 2017 unter anderem zu Rekrutierungspraktiken in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten gekommen. Zusammengefasst lässt sich eine erneute Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage schon deshalb nicht begründen, da die von der Begründung des Zulassungsantrags angeführten Quellen lediglich pauschal genannt werden und älter sind, als die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung intensiv gewürdigten Quellen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen