Verwaltungsrecht

Sorgfaltspflichten im Asylverfahren

Aktenzeichen  B 7 K 17.32928

Datum:
21.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24072
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 74 Abs. 1
VwGO § 60

 

Leitsatz

Etwaige Verständigungsschwierigkeiten eines Ausländers mit einem (potentiellen) Bevollmächtigten gehen zu seinen Lasten; unzureichende Sprachkenntnisse entheben ihn nicht von der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte. Insbesondere ist dem Ausländer zuzumuten, sich bei Eingang eines ersichtlich wichtigen Schreibens umgehend und intensiv zu bemühen, sich dessen Inhalt zu erschließen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann das Gericht gem. § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und der Kläger zur Möglichkeit der Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden ist. Die Beklagte hat sich bereits mit Schreiben vom 04.09.2017 mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
II.
Die am 28.08.2017 zur Niederschrift der Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts Bayreuth erhobene Klage hat keinen Erfolg. Sie ist verfristet und damit bereits unzulässig.
1. Die Klage ist gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids vom 28.07.2017 zu erheben. Der streitgegenständliche Bescheid wurde – ausweislich der Postzustellungsurkunde, der Beweiskraft zukommt (§§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO) – am 01.08.2017 – da der Kläger persönlich nicht angetroffen wurde – in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt. Diese Ersatzzustellung ist gem. § 10 Abs. 5 AsylG i.V.m. § 3 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) und § 178 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m § 180 ZPO zulässig. Mit der Einlegung des Bescheides am 01.08.2017 in den Briefkasten gilt dieser als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO).
Somit begann die Klagefrist am Tag nach der Zustellung, also am 02.08.2017, zu laufen und endete mit Ablauf des 15.08.2017 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB), da der 15.08.2017 (Mariä Himmelfahrt) weder in der Gemeinde …noch am Sitz des Verwaltungsgerichts in Bayreuth ein gesetzlicher Feiertag i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 FTG ist (vgl. FG Nürnberg, U.v. 9.12.2014 – 1 K 1017/13 – juris und https://www.statistik.bayern.de/statistik/bevoelkerungsstand/00141.php). Die Klage wurde aber erst am 28.08.2017 erhoben.
2. Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 60 VwGO zu gewähren.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur dann erfolgreich, wenn der Kläger glaubhaft machen kann, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, die Klage rechtszeitig zu erheben. Ein Verschulden ist dabei immer anzunehmen, wenn dem Säumigen zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen.
Der Kläger war bereits am 04.08.2017 bei der Rechtsanwaltskanzlei … in Bayreuth vorstellig. Nach Angaben der Kanzlei … konnte aufgrund von Verständigungsproblemen das eventuelle Mandat nicht besprochen werden. Der Kläger sicherte daher zu, mit einem Dolmetscher wiederzukommen. Mit Schreiben vom 07.08.2017, laut Beleg der Kanzlei am 08.08.2017 bei der Post eingeliefert, erklärte die Kanzlei … – unter Rückgabe des Ablehnungsbescheids – gegenüber dem Kläger, dass die Kanzlei für ihn nicht tätig werde und er direkt beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage erheben solle. Auf das Ende der Klagefrist wurde hingewiesen. Es wurde zudem darauf hingewiesen, dass die Kanzlei im laufenden Klageverfahren tätig werden könne, wenn der Kläger einen Kanzleitermin mit einem Dolmetscher vereinbare. Aufgrund des Schreibens der Kanzlei … wurde der Kläger – nach eigenen Angaben am 09.08.2017 – beim Verwaltungsgericht Bayreuth vorstellig. Vom Sicherheitspersonal sei er – eigenen Angaben zufolge – wiederrum an die Kanzlei … verwiesen worden.
Soweit der Klägerbevollmächtigte die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf „Verständigungsschwierigkeiten“ bzw. ein Verschulden der Kanzlei … sieht, folgt das Gericht diesem Vorbringen nicht. Dem Schriftsatz vom 07.08.2017, den der Kläger offensichtlich spätestens am 09.08.2017 erhalten hat, ist unmissverständlich zu entnehmen, dass das Mandat nicht angenommen wurde sowie dass keine Klageerhebung seitens der Kanzlei erfolgt. Der Kläger wurde vielmehr – unter Hinweis auf das Ende der Klagefrist – auf die Möglichkeit der unmittelbaren Klageerhebung beim Verwaltungsgericht hingewiesen. Er hat auch bei der Kanzlei … weder eine Vollmacht unterschrieben, noch wurde ihm dort zu erkennen gegeben, dass das Mandat übernommen wird. Etwaige Verständigungsschwierigkeiten gehen zu Lasten des Klägers, insbesondere entheben unzureichende Sprachkenntnisse den Ausländer nicht von der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte (BVerfG, E.v. 02.06.1992 – 2 BvR 254/92 – juris). Es ist ihm zuzumuten, dass er sich bei Eingang eines erkennbar wichtigen Schreibens umgehend und intensiv darum bemüht, dessen Inhalt zu erkunden, insbesondere wenn er – wie vorliegend erkennen konnte – dass das Schreiben im Zusammenhang mit seinem Asylverfahren steht (vgl. BVerfG, B.v. 02.06.1992 – 2 BvR 1401/91 – juris). Von einem rechtzeitigen Tätigwerden der Kanzlei … durfte der Kläger bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt daher nicht ausgehen.
Offensichtlich hat der Kläger auch den Inhalt des Schreibens vom 07.08.2017 vernommen, sonst wäre er nicht persönlich – eigenen Angaben zufolge – am 09.08.2017 beim Verwaltungsgericht Bayreuth vorstellig geworden. Aufgrund der nachvollziehbaren Stellungnahme des Geschäftsleiters des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11.01.2018, wurde das Sicherheitspersonal angewiesen, keine Rechtsschutzsuchende abzuweisen, sondern – für den Fall der temporären Unbesetztheit oder Überlastung der Rechtsantragsstelle – die Rechtsschutzsuchenden zu bitten, später noch einmal vorzusprechen. Auch etwaige Verständigungsprobleme mit der Pforte des Verwaltungsgerichts Bayreuth gehen zu Lasten des Klägers. Bereits durch die Kanzlei … wurde er auf das Fristende (15.08.2017) hingewiesen. Es ist daher weder dargetan noch anderweitig ersichtlich, warum der Kläger – selbst wenn er am Vormittag des 09.08.2017 „weggeschickt“ wurde – bis zum Ablauf der Frist nicht erneut zur Klageaufnahme erschienen ist. Daran ändert auch der Vortrag nichts, er habe sich bis zum 28.08.2017 um einen Dolmetscher bemüht, aber keinen gefunden. Dem Kläger war geläufig, dass er – zumindest direkt beim Verwaltungsgericht – auch ohne Dolmetscher fristwahrend Klage erheben kann.
Das Fristversäumnis beruht daher vorliegend nicht überwiegend auf den unzureichenden Sprachkenntnissen des Klägers, sondern vielmehr auf dessen Nachlässigkeit (vgl. VG Augsburg, U.v. 3.5.2000 – Au 9 K 99.30724 – juris; VG München, U.v. 25.11.2002 – M 22 S 02.60543 – juris).
Letztlich wurde der Wiedereinsetzungsantrag auch nicht innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 VwGO gestellt. Gem. § 60 Abs. 2 VwGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Selbst wenn der Kläger am 09.08.2017 tatsächlich „abgewiesen“ wurde, ist weder dargetan noch anderweitig ersichtlich, warum er erst wieder am 28.08.2017 und damit mehr als zwei Wochen nach Wegfall des „Hindernisses“ die Klage erhoben hat.
3. Nach § 154 Abs. 1 VwGO trägt der Kläger die Kosten des nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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