Aktenzeichen S 3 VU 8/17
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die vom Kläger gemäß den §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch in der Sache ohne Erfolg.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 04.01.2012 in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 31.01.2014 und des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2017 ist rechtmäßig.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Feststellung eines GdS von mehr zumindest 50 bereits ab 1987. Beim Kläger liegen auch keine auf die Haft zurückzuführenden weitergehenden Zahnschäden vor, die den GdS auf über 50 erhöhen.
Nach § 21 Abs. 1 S. 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Nach § 21 Abs. 5 S. 1 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher Zusammenhang nicht genügen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern beachtlich im vorgenannten Sinne sind nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich herbeigeführt haben.
Vorliegend liegen unstreitig eine posttraumatische Belastungsstörung und ein Verlust von sechs Zähnen als Schädigungsfolge vor. Der GdS für die psychischen Schäden liegt auch unstreitig mit 50 v.H. vor. Strittig ist nur eine vorübergehende Höherbewertung des GdS wegen der Anerkennung des Verlustes von sechs Zähnen.
Auf Grundlage der bereits festgestellten Schädigungsfolgen kommt keine höhere Bewertung des GdS in Betracht. Nach § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VMG – Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und damit der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.
Für die hier streitige Bemessung ist die GdS-Tabelle der VMG anzuwenden. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der GdS-Tabelle sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte (Teil B, Nr. 1 a). In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Teil A, Nr. 2 e genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).
Der umfassende Zahnverlust wird nach Teil B, Nr. 7.4 VMG mit einem GdS von 10 – 20 bewertet, wenn er über ein halbes Jahr hinaus prothetisch nur unzureichend zu versorgen ist. Nach Auffassung der Kammer liegt bei einem Verlust von sechs Zähnen bereits kein umfassender Verlust von Zähnen vor. Hier müsste zumindest die Hälfte der Zähne betroffen sein. Darüber hinaus kann durch Zahnersatz eine ausreichende Versorgung sichergestellt werden, weshalb beide Bedingungen nicht erfüllt sind. Die Schädigungsfolge des Verlustes von sechs Zähnen führt damit zu einem GdS von 0 v.H. und erhöht den GdS von 50 v.H. für die psychischen Störungen nicht. Der Gesamt-GdS verbleibt damit bei 50 v.H..
Weiter liegt kein offener Antrag aus dem Jahre 1987 mehr vor. Der Kläger hat den Antrag mit Schreiben vom 26.06.1988 konkludent zurückgenommen. Nach den auch im öffentlichen Recht geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen für die Auslegung von Willenserklärungen können Anträge, soweit keine Formvorschriften entgegenstehen, konkludent, d.h. durch schlüssiges Verhalten, zurückgenommen werden. Nach diesen Rechtsgrundsätzen, die auch für die Frage gelten, ob ein bestimmtes willentliches Verhalten eine Willenserklärung darstellt, können solche Erklärungen, soweit keine Formvorschriften entgegenstehen, konkludent, d.h. durch schlüssiges Verhalten, abgegeben werden (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 74. Auflage 2015, Rdnr. 6 vor § 116 und Rdnr. 3 f. zu § 133). Der Kläger hat im besagten Schreiben mitgeteilt, das sich sein Wohlbefinden wieder vollständig normalisiert habe, der Kuraufenthalt sei dabei eine große Hilfe gewesen. Haftschäden seien daher momentan nicht vorhanden und seien auch nicht zu erwarten. Mit dieser Aussage hat er klar zu verstehen gegeben, dass er den Antrag nicht weiter verfolge, sondern ihn vielmehr als erledigt betrachte. Darin ist eine konkludente Antragsrücknahme zu sehen. Zumal der Kläger niemals mehr nachgefragt hat, wie es um seinen Antrag bestellt sei. Falls er keine Antragrücknahme mit dem Schreiben vom 26.06.1988 verfolgt hätte, wäre es angezeigt gewesen, nachzufragen, wann mit einer Entscheidung über seinen offenen Antrag zu rechnen sei. Insoweit spricht das gesamte Verhalten des Klägers für eine konkludente Antragsrücknahme. Schließlich wäre zu bedenken, ob nicht Verwirkung eingetreten wäre, wenn sich der Kläger auf eine noch offene Antragstellung im Jahr 1987 beruft, die er über 20 Jahre nicht geltend gemacht hat. Zweifel an der Wirksamkeit der konkludenten Antragrücknahme ergeben sich nicht, da der Kläger selbst ab der Bestellung der Betreuung im Jahre 2005 noch geschäftsfähig ist. Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit sind nicht ersichtlich im Jahre 1987, weshalb eine weitere Beweiserhebung, ob der Kläger im Jahr 1987 seine Krankheit erfassen konnte obsolet ist. Es würde sich dabei nur um einen unbeachtlichen Motivirrtum handeln.
Auch im Jahr 2005 lag keine Antragstellung vor. Hierzu wird auf die Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid verwiesen. Es wird weiter darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst im Schreiben vom 23.08.2011 (Bl. 178 d.KlA.) zugibt, dass das Antragsformular durch Frau W. weitergeleitet wurde, es aber weder von ihm noch von seinem Betreuer ausgefüllt wurde. Es geriet in Vergessenheit und wurde erst 2009 wieder in Erinnerung gebracht, worauf die Antragstellung dann erfolgte. Ein wirksamer Antrag liegt damit erst ab November 2009 vor, so dass nach dem Antragsprinzip des § 60 Abs. 1 S. 1 BVG erst ab diesem Zeitpunkt Leistungen gewährt werden können.
Die Klage war deshalb als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.