Aktenzeichen W 3 K 18.32474
Leitsatz
Ein von eritreischen Eltern abstammender Asylbewerber, der vor der Unabhängigkeit Eritreas im Sudan geboren wurde, besitzt durch Geburt die eritreische Staatsangehörigkeit ungeachtet dessen, ob er sich in Eritrea oder im Ausland aufhält. Es ist davon auszugehen, dass die äthiopische Staatsbürgerschaft bei der eritreischen Unabhängigkeit für eritreische Bürger erloschen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Ziffern 2 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. April 2017 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
Soweit die Klage auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtet ist, erweist sich die Klage als unbegründet. Der Kläger hat aber Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG. Soweit der Bescheid vom 4. April 2017 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und war daher aufzuheben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Das Bundesamt geht in seinem angefochtenen Bescheid davon aus, dass der Kläger sowohl die eritreische als auch die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt. Eine Gefahr politischer Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens für Äthiopien hat das Bundesamt verneint. Andererseits hat es aber festgelegt, dass der Kläger nicht nach Eritrea abgeschoben werden darf, weil dort für den Kläger die Gefahr unmenschlicher Behandlung bestünde. Soweit ausgeführt wird, der Kläger könne auch in den Sudan zurückkehren, kommt es hierauf nicht an. Denn es ist darauf abzustellen, ob dem Kläger in seinem Herkunftsland, also dem Land, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, die Gefahr politischer Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht.
Der Kläger hat keinen Sachverhalt vorgetragen, der eine gegen ihn gerichtete Verfolgung in seinem Herkunftsland im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (also Äthiopien oder Eritrea) aus politischen Gründen erkennen lässt. Soweit der Kläger Kontrollen durch sudanesische Sicherheitskräfte und das Erfordernis, zur Abwendung von Festnahmen bei den Kontrollen Geld zu zahlen, erwähnt hat, kann in diesen Maßnahmen keine zielgerichtete, an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Behandlung des Klägers erkannt werden. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Sudan auch nicht um das „Herkunftsland“ des Klägers im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, da der Kläger weder sudanesischer Staatsangehöriger, noch staatenlos ist.
Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger nur die eritreische Staatsangehörigkeit und ist kein äthiopischer Staatsangehöriger. Zwar ist der Kläger vor der Unabhängigkeit Eritreas von Äthiopien geboren. Nachdem Eritrea damals noch zum äthiopischen Staatsgebiet gehörte, hat der Kläger formal auch die äthiopische Staatsangehörigkeit. Allerdings hat der Kläger niemals in Äthiopien gelebt und ist als Kind mit seiner Mutter aus dem Gebiet des heutigen Eritrea in den Sudan übergesiedelt. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat in dem Fall eines von eritreischen Eltern abstammenden Klägers, der vor der Unabhängigkeit Eritreas im Sudan geboren wurde, hinsichtlich der Staatsangehörigkeit Auskünfte des Auswärtigen Amtes, von Amnesty International und von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – SFH – eingeholt. Insbesondere in der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (vom 23.8.2016 an das VG Schwerin) ist ausgeführt, dass gemäß der Proklamation 82/1995 jede Person mit einem eritreischen Vater oder einer eritreischen Mutter durch Geburt die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt (so auch Auswärtiges Amt, Lagebericht Stand November 2016, S. 21) ungeachtet davon, ob sie sich in Eritrea oder im Ausland aufhält. Von Eritrea würden auch Personen, die z.B. in Deutschland oder in der Schweiz geboren worden seien, als Eritreer angesehen, wenn ihre Eltern irgendwann einmal Eritreer gewesen seien. Dies gelte auch, wenn jemand während des Unabhängigkeitskrieges geflohen sei, später eine andere Staatsangehörigkeit angenommen und Kinder bekommen habe. Diese Kinder würden für den eritreischen Staat ebenfalls als Eritreer gelten und müssten die Zwei-Prozent-Steuer bezahlen und im Falle ihrer dauerhaften Rückkehr den Nationaldienst leisten. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch ausgeführt hat, hatte er im Sudan einen Flüchtlingsausweis, in dem er als Nationalität Eritrea eingetragen hatte. Dies stimmt mit der vorgenannten Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe überein, wonach der UNHCR in den Flüchtlingsausweisen unterscheide, ob es sich um äthiopische oder um eritreische Staatsangehörige handelt. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die äthiopischen Behörden den Kläger als äthiopischen Staatsangehörigen anerkennen würden. Nach gängiger Praxis würden die äthiopischen Behörden Personen, die nie in Äthiopien gelebt hätten und eritreischer Herkunft seien, nicht als äthiopische Staatsangehörige anerkennen. Zudem sei eine Anerkennung als äthiopischer Staatsbürger vom Ausland her kaum betreibbar. Äthiopische Botschaften würden für Personen eritreischer Herkunft keine Dokumente ausstellen, außerdem würden die äthiopischen Behörden ehemalige Äthiopier eritreischer Herkunft nicht wieder einreisen lassen, wenn sie in einem Drittland leben würden und ihr Asylgesuch abgelehnt worden sei. Dies sei zwar nicht als offizielle Praxis deklariert, aber entsprechend umgesetzt. Auch Personen, die niemals in irgendeiner Weise die eritreische Staatsbürgerschaft angenommen oder ausgeübt hätten, aber im Ausland leben würden, würden die äthiopischen Vertretungen die konsularischen Dienste verweigern (so bereits: SFH-Länderanalyse, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft vom 29.1.2013). Vielmehr sei davon auszugehen, dass die äthiopische Staatsbürgerschaft bei der eritreischen Unabhängigkeit für eritreische Bürger erloschen sei.
Somit ist davon auszugehen, dass der Kläger nicht nach Äthiopien ausreisen kann. Äthiopien ist auch nicht verpflichtet, den Kläger aufzunehmen, da dieser nach der dortigen Lesart kein äthiopischer Staatsbürger ist. Insofern erweist sich die Abschiebungsandrohung nach Äthiopien als nicht durchsetzbar.
Wie das Bundesamt in seinem Bescheid vom 4. April 2017 festgestellt hat, würde dem Kläger bei einer Rückkehr nach Eritrea menschenrechtswidrige Behandlung drohen. Somit liegen die Voraussetzungen des § 4 AsylG hinsichtlich Eritrea vor. Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.