Aktenzeichen M 15 S 20.30773
VwGO § 80 Abs. 5, § 88, § 123
VwVfG § 51 Abs. 1
Leitsatz
Hat das Bundesamt eine Unzulässigkeitsentscheidung gegen einen Folgeantrag getroffen und ist eine Abschiebungsandrohung aus einem vorangegangenen Verfahren bestandskräftig vollziehbar, stellt sich im Hinblick auf die Systematik, die Effizienz und das Rechtsschutzziel ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gerichtet auf eine Mitteilung des Bundesamtes an die Ausländerbehörde, dass vor gerichtlicher Entscheidung keine Abschiebung erfolgen darf, als die statthafte Antragsart dar. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die am … … … geborene Antragstellerin zu 1) und die am … … … geborene Antragstellerin zu 2) sind nach Angaben der Antragstellerin zu 1) nigerianischer Staatsangehöriger, Zugehörige der Volksgruppe der Edo und christlicher Religionszugehörigkeit. Sie wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung ihres Asylfolgeantrages durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) als unzulässig und die vollziehbare Abschiebeandrohung des Bescheids des Bundesamts vom 22. November 2017.
Die Antragsteller stellten am … Juli 2016 ihre Asylerstanträge. Gegen die ablehnende Entscheidung durch das Bundesamt mit Bescheid vom 22. November 2017 ließen diese durch ihre Bevollmächtigte Klage erheben, die das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 21. November 2018 abwies (M 12 K 17.49809).
Am 30. Januar 2020 stellten die Antragsteller beim Bundesamt einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung verwies die Antragstellerin zu 1) auf ein Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten. Die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sei aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2 BvR 1380/19) notwendig. Das Urteil besage, dass vor der Rückführung eines Asylsuchenden Informationen über die dortigen Verhältnisse und gegebenenfalls Zusicherung der zuständigen Behörden einzuholen seien. Das Urteil stelle einen Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) dar.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. Februar 2020 lehnte das Bundesamt den Asylfolgeantrag als unzulässig (Nr. 1) und den Antrag auf Änderung des Bescheids vom 22. November 2017 bezüglich der abgelehnten nationalen Abschiebungsverbote als einfach unbegründet ab (Nr. 2). Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Die nach § 51 VwVfG erforderliche Änderung der Sach- oder Rechtslage sei nicht gegeben. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Zunächst sei bereits zweifelhaft, ob eine Änderung in der asylrechtlichen Rechtsprechung auch eine Rechtslagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1VwVfG sei. Darüber hinaus sei die Rechtsprechung nicht neu. Die Rückkehrmöglichkeit nach Nigeria habe im Rahmen der Überprüfung der Abschiebeverbote hinreichend Beachtung erhalten.
Gegen diesen – den Antragstellern am 25. Februar 2020 zugestellten – Bescheid erhob der nun Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 5. März 2020 am 10. März 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 15 K 20.30772) und stellte zugleich den Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 5. März 2020 gegen den Abschiebungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. November 2017 wird angeordnet.
Zur Begründung nahm der Prozessbevollmächtigte nochmals Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Was für Italien gelte, müsse für einen Staat wie Nigeria erst recht gelten.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte vor; eine inhaltliche Äußerung oder Antragstellung unterblieb.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren und in den Verfahren M 15 K 20.30772 und M 12 K 17.49809 sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Über den Rechtsstreit entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter, § 76 Abs. 4 Satz 1 Asylgesetz (AsylG).
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag bedarf der Auslegung, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Obschon – mangels erneuter Abschiebungsanordnung des mit der Hauptsache angegriffenen Bescheids (s. dazu § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG) – die fortgeltende bestandskräftige Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Bundesamts vom 22. November 2017 i.V.m. der Mitteilung an die für die Antragsteller zuständige Ausländerbehörde nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG Grundlage für eine Abschiebung der Antragsteller wäre, ist die Abschiebungsanordnung in Nr. 5 des Bescheids des Bundesamts vom 22. November 2017 ist nicht Gegenstand der Klage, deren aufschiebende Wirkung der Prozessbevollmächtigte begehrt.
Im wohlverstandenen Interesse der Antragsteller wird der Antrag des Prozessbevollmächtigten sachdienlich dahingehend ausgelegt, dass die Antragsteller im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes begehren, jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden. In diesem Fall richtet sich vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VwGO.
Auch wenn hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig (Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides) in der Hauptsache die Anfechtungsklage zu erheben ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Leitsatz 1), so dass gegen die Unzulässigkeitsentscheidung grundsätzlich insoweit vorrangiger (§ 123 Abs. 5 VwGO) vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht kommt, ist dem Rechtsschutzinteresse der Antragsteller, vorläufig den Vollzug ihrer Abschiebung effektiv zu verhindern, mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Folgebescheids allein nicht gedient.
Denn die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG ist für die Ausländerbehörde bindend, jedoch als reines Verwaltungsinternum kein Verwaltungsakt und kann daher nicht Gegenstand einer Anfechtungsklage sein. Für einen effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) wäre daher im Interesse der Antragsteller eine einstweilige Anordnung gem. § 123 VwGO gerichtet auf die Aufhebung bzw. Nichtvornahme der Mitteilung geboten.
Auch § 123 Abs. 5 VwGO steht dem in dieser Konstellation nicht entgegen. Zwar ließe sich einwenden, dass kein Anlass zu der Annahme bestünde, dass das Bundesamt einer gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung keine Beachtung schenken würde und das Bundesamt die zuständige Ausländerbehörde über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die damit verbundenen Rechtsfolgen sofort in Kenntnis zu setzen habe.
Doch ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO danach gerade nicht ausgeschlossen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO würde schließlich nicht im gleichen Maße eine unmittelbare Schutzwirkung wie ein erfolgreicher Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO entfalten. Denn sie würde zwar dazu führen, dass die Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung aufschiebende Wirkung hätte; die Bestandskraft der bereits vollziehbaren Abschiebungsandrohung würde durch eine solche Entscheidung jedoch nicht berührt und böte zusammen mit der erst noch zu beseitigenden Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG eine taugliche Rechtsgrundlage zur Durchführung der Abschiebung. Im Hinblick auf die Systematik, die Effizienz und das Rechtsschutzziel stellt sich danach ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gerichtet auf eine Mitteilung, dass vor gerichtlicher Entscheidung keine Abschiebung erfolgen darf, als die statthafte Antragsart dar (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, AsylG § 71 Rn. 49; Kluth/Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.11.2019, AsylG § 71 Rn. 37 m.w.N.).
2. Der so ausgelegte Antrag ist unbegründet.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO).
Unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist maßgeblich, ob ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung bestehen (vgl. BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 1 und 22 mit Verweis auf Art. 16a Abs. 4 GG; Kluth/Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.11.2019, § 71 AsylG Rn. 38). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
Es bestehen im vorliegenden Fall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids. Auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird lediglich ausgeführt:
Unabhängig von der Frage, ob eine Änderung in der asylrechtlichen Rechtsprechung auch eine Rechtslagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstellt, ist das von den Antragstellern zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG 2 BvR 1380/19) nicht geeignet, erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes auszulösen.
Das Urteil betrifft die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens. Bei der Rückführung von besonders schützenswerten Familien mit (Klein-) Kindern, sei, aufgrund der spezifischen, problematischen Unterbringungssituation in Italien, dafür Sorge zu tragen, dass eine adäquate Unterbringung und Versorgung während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung stehe.
Die Gefahr einer nicht adäquaten Unterbringung und Versorgung besonders vulnerabler Personen bei einem noch durchzuführenden Asylverfahren und damit ein vergleichbarer Sachverhalt liegt bei den Antragstellern, die bereits das Asylverfahren in Deutschland erfolglos durchlaufenen haben, erkennbar nicht vor. Vielmehr hat die Frage der Möglichkeit der Antragsteller, nach Nigeria zurückzukehren im Rahmen der Prüfung von Abschiebeverboten für das spezifische Zielland im Erstverfahren hinreichend Beachtung gefunden. Sachverhaltsänderungen hierzu sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).