Verwaltungsrecht

Stellung eines Asylantrags in Deutschland vor Abschluss des Asylverfahrens in anderem EU-Staat

Aktenzeichen  Au 4 S 18.31170

Datum:
9.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16731
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1

 

Leitsatz

1 § 71a AsylG regelt den Fall, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblicher Zeitpunkt für den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem anderen EU-Mitgliedstaat ist die Antragstellung in Deutschland. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 20. Juni 2018 (Gesch.-Z.: 5641784-272) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu trage.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach seinen Angaben Staatsangehöriger Sierra Leones, begehrt einstweiligen Rechtsschutz, nachdem die Antragsgegnerin seinen Asylantrag als Zweitantrag behandelt und als unzulässig abgelehnt hat.
Am 25. Juni 2013 stellte der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zunächst mit Bescheid vom 16. Dezember 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn ab, weil Ungarn nach der Dublin II-VO für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig sei. Mit Bescheid vom 24. Juli 2014 hob das Bundesamt den Bescheid vom 16. Dezember 2013 auf, weil die Frist zur Überstellung nach Ungarn gemäß den Dublin-Regelungen abgelaufen sei.
Nach Anhörungen des Antragstellers am 7. Oktober 2016 und am 22. Mai 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20. Juni 2018 – zur Post gegeben am 21. Juni 2018 – erneut als unzulässig ab (1.). Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG lägen nicht vor (2.). Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Sierra Leone angedroht (3.). Die Frist gem. § 11 AufenthG wurde auf 36 Monate festgesetzt (4.). Zur Begründung führte der Bescheid im Wesentlichen aus, der Antragsteller habe am 28. Juli 2011 in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Nach substantieller Prüfung sei der Antrag am 21. Februar 2014 negativ beschieden worden. Diese Entscheidung gelte wegen des unbekannten Aufenthaltsortes des Antragstellers nach nationalem griechischem Recht seit 26. Oktober 2016 als zugestellt. Das Verfahren in Griechenland sei rechtskräftig abgeschlossen. Damit handele es sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG. Da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt seien, sei der Asylantrag des Antragstellers gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen gewesen. Abschiebungsverbote beständen, insbesondere auch im Hinblick auf die für den Antragsteller diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung, nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Antragsteller ließ am 2. Juli 2018 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben (Au 4 K 18.31169). Gleichzeitig ließ er gem. § 80 Abs. 5 VwGO beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 des Bescheids vom 20. Juni 2018 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsgegnerin habe den Asylantrag des Antragstellers nicht als Zweitantrag gem. § 71a AsylG behandeln dürfen, weil er seinen Asylantrag in Deutschland gestellt habe, bevor das Asylverfahren in Griechenland abgeschlossen gewesen sei. Auch aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Zuständigkeit Griechenlands, da die Antragsgegnerin Griechenland nicht fristgerecht um Aufnahme ersucht habe. Zudem habe das Bundesamt keine gesicherte Kenntnis von den Entscheidungsgründen der Antragsablehnung in Griechenland. Ferner liege eine Zweitantragssituation auch deswegen nicht vor, weil im Zeitpunkt der Asylantragstellung in Griechenland die dortigen Bedingungen dort so mangelhaft gewesen seien, dass kein ordnungsgemäßes Asylverfahren habe durchgeführt werden können.
Die Antragsgegnerin übermittelte am 9. Juli 2018 ihre Akten; in der Sache äußerte sie sich nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Bundesamtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts (§§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG) im Hinblick auf die Einstufung des Asylantrags des Antragstellers als Zweitantrag gem. § 71a Abs. 1 AsylG. Demzufolge hätte die Antragsgegnerin den Asylantrag wohl nicht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ablehnen dürfen.
Aus § 71a Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass ein Zweitantrag vorliegt, wenn in der Bunderepublik ein Asylantrag nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gestellt wird. § 71a AsylG regelt mithin den Fall, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – BVerwGE 157, 18 – juris Rn. 25). Maßgeblicher Zeitpunkt für den erfolglosen Abschluss ist damit die Antragstellung in Deutschland (vgl. VG Augsburg, B.v. 23.5.2018 – Au 3 S 18.30682 – juris Rn. 32; Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 5 zu § 71a AsylVfG m.w.N.). Vor diesem Hintergrund lagen die Voraussetzungen für einen Zweitantrag gem. § 71a Abs. 1 AsylG im Hinblick auf das vom Antragsteller in Griechenland geführte Asylverfahren wohl nicht vor.
Von einem erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens in Griechenland kann – wovon offenbar auch der streitgegenständliche Bescheid ausgeht – erst gesprochen werden, nachdem die Ablehnungsentscheidung der griechischen Behörden vom 21. Februar 2014 dem Antragsteller am 26. Oktober 2016 als zugestellt galt und Rechtsmittelfristen abgelaufen waren (vgl. zum Zeitablauf im Einzelnen E-Mail vom 27.11.2017, Bundesamtsakte Bl. 193; vgl. allgemein zu den Anforderungen an den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens i.S.d. § 71a AsylG BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – BVerwGE 157, 18 – juris Rn. 29).
Der Antragsteller hat seinen Asylantrag jedoch in der Bundesrepublik bereits am 25. Juni 2013 und damit über drei Jahre vor Abschluss des Asylverfahrens in Griechenland gestellt. Nach den dargestellten Grundsätzen konnte der Asylantrag des Antragstellers damit nicht als Zweitantrag i.S.d. § 71a AsylG gewertet werden. Hieran ändert nichts, dass das Asylverfahren in Griechenland im Laufe des in Deutschland vom Antragsteller betriebenen Asylverfahrens abgeschlossen wurde. Eine solche später, d.h. nach Stellung des Asylantrags in der Bundesrepublik, erfolgende negative Sachentscheidung des Staates des bisherigen Asylverfahrens bleibt regelmäßig außer Betracht und führt nicht im Nachhinein zur Anwendung des § 71 a AsylG (vgl. Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 5 zu § 71a AsylVfG).
Dieses Ergebnis erscheint auch – zumal im Hinblick auf das einschlägige Unionsrecht (vgl. die Differenzierung in Art. 33 Abs. 1 der RL 2013/32/EU) – sachgerecht. Denn jedenfalls die Situation bei Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik, wenn – wie hier – in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein noch nicht rechtskräftig verbeschiedener Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes vorliegt, wird durch die Zuständigkeits-, Aufnahme- und Überstellungsregeln der Dublin-Verordnungen abgedeckt (vgl. Art. 13, Art. 16 Abs. 1 Buchst. a – c Dublin II-VO; Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO). Diese kommen hier jedoch jedenfalls auf Grund des von der Antragsgegnerin ausgeübten Selbsteintrittsrechts (vgl. Aufhebungsbescheid vom 24.7.2014, Bundesamtsakte Bl. 100) nicht (mehr) zum tragen.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zu entsprechen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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