Aktenzeichen B 4 K 15.932
BayStrWG Art. 6
BayVwVfG Art. 35 S. 2, Art. 37, Art. 41 Abs. 3 S. 2, Art. 43
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Wo eine Ortsstraße iSd § 5 Abs. 1 S. 1 BayKAG beginnt und wo sie endet, bestimmt sich grds. nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme setzt voraus, dass die öffentliche Einrichtung zuvor entsprechend den Anforderungen des Erschließungsbeitragsrechts erstmalig hergestellt war. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 26.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Bamberg vom 14.10.2015 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch die Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
1. Die zulässige Klage ist begründet.
Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind der Bescheid der Beklagten vom 26.11.2014 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Bamberg vom 14.10.2015 aufzuheben, weil die Festsetzung eines Straßenausbaubeitrags rechtswidrig ist und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt sind.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden auf Grund einer besonderen Abgabesatzung zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen sollen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind.
Die Voraussetzungen für die Erhebung eines Straßenausbaubeitrags nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG liegen nicht vor, da die maßgebliche Einrichtung/Erschließungsanlage noch nicht endgültig erstmalig hergestellt ist und deshalb gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG erst Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben wären (a). Der Beitragsbescheid kann aber auch nicht als Erschließungsbeitragsbescheid aufrecht erhalten werden, weil die Voraussetzungen für die Entstehung einer Erschließungsbeitragspflicht für die erstmalige Herstellung der Straße H. nach Art. 5a KAG i.V.m der Erschließungsbeitragssatzung – EBS – der Beklagten vom 28.09.2006 derzeit nicht gegeben sind (b).
(a) Die Ausbaumaßnahme an der Straße H. führt nicht zu einer Beitragspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG i.V.m. § 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Ausbaubeitragssatzung – ABS – der Beklagten vom 16.05.2003.
(aa) Gegenstand einer beitragsfähigen Ausbaumaßnahme ist die einzelne Ortsstraße als maßgebliche öffentliche Einrichtung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG. Wo eine solche Ortsstraße beginnt und wo sie endet, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Dabei ist auf Straßenführung, Straßenlänge, Straßenbreite und Ausstattung mit Teileinrichtungen abzustellen. Zugrunde zu legen ist der Zustand nach Durchführung der Ausbaumaßnahme (ständige Rechtsprechung; vgl. BayVGH, Urteil vom 01.06.2011 – 6 BV 10.2467, juris Rn. 41).
Ausgehend davon ist sowohl nach natürlicher Betrachtungsweise als auch in rechtlicher Hinsicht die Straße H. (Fl.-Nr. …) auf einer Länge von 120 m, beginnend ab der Ortsdurchfahrt K. Straße und endend an der nördlichen Grenze des einmündenden öffentlichen Feldwegs H. Fl.-Nr. …, die „maßgebliche Einrichtung“. Dies ergibt sich aus dem geraden Verlauf der Straße und aus dem erklärten Willen der Beklagten, die den früheren öffentlichen Feld- und Waldweg Fl.-Nr. … durch Eintragungsverfügung vom 29.08.1984 auf einer Länge von 120 m zur Ortsstraße widmen wollte. Damit war die Absicht verbunden, dem Außenbereichsgrundstück Fl.-Nr. … der Kläger, das mit einer für eine Zufahrt ausreichenden Breite von 3 m an die Fl.-Nr. … angrenzt, die straßenmäßige Erschließung und damit die Bebaubarkeit zu vermitteln.
Zwar ist die Aufstufung zur Ortsstraße aufgrund eines Eintragungsfehlers im Bestandsverzeichnis und entsprechender öffentlicher Bekanntmachung zumindest nicht vollumfänglich wirksam geworden.
Die Eigenschaft einer öffentlichen Straße erhält eine Straße gemäß Art. 6 Abs. 1 BayStrWG durch Widmung, die als Allgemeinverfügung (Art. 35 Satz 2 BayVwVfG) öffentlich bekannt gegeben werden darf (Art. 41 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG) und im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem sie bekanntgegeben wird (Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG). Nichtig und damit unwirksam kann eine Widmung sein, wenn sie inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist (Art. 37 Abs. 1, Art. 43 Abs. 3 BayVwVvG). Von einer nur teilweisen Nichtigkeit (Rechtsgedanke des § 139 BGB) ist dann auszugehen, wenn anzunehmen ist, dass die Widmung zumindest für den eindeutig bestimmten Teil Geltung erlangen soll.
Der Eintragungsfehler, der darin besteht, dass als Endpunkt der Ortsstraße H. die „Einmündung Straße I. L.“ anstatt die „Einmündung Feldweg H.“ bezeichnet ist, führt dazu, dass ein Widerspruch zwischen der im Bestandsverzeichnis angegebenen Länge der Straße „0,00 km bis 0,120 km“ und der nach der wörtlichen Beschreibung sich ergebenden Länge von nur ca. 0,080 km besteht. Damit fehlt es an einer hinreichenden Bestimmtheit und Wirksamkeit der Widmung, jedenfalls soweit es die nördliche Teilstrecke von der Einmündung I. L. bis zur Einmündung Feldweg H. auf der Länge von ca. 40 m betrifft (Teilnichtigkeit). Für diese Strecke ist es bei der Einstufung als öffentlicher Feld- und Waldweg geblieben.
Dies ändert aber nichts an der unter beitragsrechtlichen Gesichtspunkten definierten „maßgeblichen Einrichtung“.
(bb) Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG regelt den Vorrang von Erschließungsbeiträgen nach Art. 5a KAG vor den Ausbaubeiträgen für die Erneuerung oder Verbesserung der öffentlichen Einrichtung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG. Eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme setzt voraus, dass die öffentliche Einrichtung zuvor entsprechend den Anforderungen des Erschließungsbeitragsrechts erstmalig hergestellt war.
Diese Voraussetzung liegt bei der 120 m langen Straße H. nicht vor.
Dabei kann dahinstehen, ob die ca. 80 m lange Teilstrecke von der K. Straße bis zur Einmündung I. L. die Anforderungen an die Herstellungsmerkmale in § 8 Abs. 1 EBS erfüllt. Zweifel ergeben sich angesichts des im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Fotos (Bl. 3 der Beiakte III), auf dem die Straße weder eine Randbefestigung noch eine übliche Straßenentwässerungseinrichtung erkennen lässt. Jedenfalls weist aber die restliche ca. 40 m lange und schmalere Strecke bis zur Einmündung in den Feld- und Waldweg H. Fl.-Nr. … nur eine notdürftige Oberflächenbefestigung und somit weder eine „Asphalt-, Teer- oder Beton- oder ähnliche Decke neuzeitlicher Bauweise mit dem technisch notwendigen Unterbau“ noch eine Straßenentwässerung auf (vgl. Fotos Bl. 74/75 der Gerichtsakte). Die Beklagte räumt dies im Schriftsatz vom 07.10.2016 auch ein, hält einen Ausbaubeitrag aber für gerechtfertigt, weil die Kläger einen Vorteil von der Ausbaumaßnahme hätten, auch wenn sie nicht an der ausgebauten Teilstrecke anliegen. Diese Sichtweise ist rechtlich nicht haltbar, denn bei einer nie erstmalig auf der gesamten Länge hergestellten Erschließungsanlage können nicht die ausbaubeitragsrechtlichen Grundsätze des Teilstreckenausbaus herangezogen werden.
(b) Der im Bescheid vom 26.11.2014 festgesetzte Beitrag kann – da Ausbaubeitragsrecht ausscheidet – auch nicht als Erschließungsbeitrag aufrecht erhalten werden. Hierfür fehlt es bei der Straße, wie bereits ausgeführt, an der den Herstellungsmerkmalen des § 8 Abs. 1 EBS entsprechenden erstmaligen Herstellung der gesamten Erschließungsanlage von der K. Straße bis zur Einmündung des Feldwegs H.
Da somit unter keinem Gesichtspunkt eine Beitragspflicht entstanden ist, war der Klage statt zu geben.
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.