Aktenzeichen M 17 K 16.34125
Leitsatz
1 Kann der Asylsuchende keinen Schutz durch die Polizei, für die er jahrelang als Informant gearbeitet hat, vor Racheakten durch Drogenhändler erlangen, stellt dies eine erhebliche Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit und sein Leben dar. (redaktioneller Leitsatz)
2 Besteht die konkrete Gefahr von Racheakten der Drogenhändler landesweit, weil die Drogenhändler über die Grenzen hinweg ihre Waren transportieren und oft höhere Offiziere der Polizei bestechen, ist dem Kläger subsidiärer Schutz zu gewähren. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Oktober 2016 wird in Nrn. 3 bis 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 12. Januar 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig und insoweit begründet, als die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
1. Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet bereits deswegen aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. § 26 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
2. Aber auch ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Asylberechtigter oder als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar. Vielmehr hat er sich primär auf Bedrohungen durch Drogenhändler berufen. Dies begründet aber mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16 a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Dem Kläger war aber subsidiärer Schutz zuzusprechen.
3.1 Ein Ausländer ist gemäß § 4 Abs. 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
3.2 Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohenden Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist für die Glaubwürdigkeit auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit – insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit – abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für eine Verfolgung bzw. Gefährdung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, U. v. 12.11.1985 – 9 C 27.85 – juris).
3.3 Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:
Der Kläger hat ausführlich, nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, dass er jahrelang als Informant für die Polizei gearbeitet habe, dann aber enttarnt worden sei, woraufhin die Drogenhändler, über die er Informationen geliefert hatte, ihn bedroht, sein Haus angezündet sowie seine Informationsquellen schwer verletzt hätten. Er konnte auch plausibel machen, dass ihn seine Ansprechpartner bei der Polizei nicht hätten schützen können, sondern ihm geraten hätten, das Land zu verlassen (vgl. § 3c Nr. 3 i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Dies erfolgte unter anderem auch deswegen, weil oft ranghöhere Offiziere der Polizei von den Drogenhändlern bestochen würden. Die Drogenhändler transportieren die Drogen über die Grenzen, so dass es nachvollziehbar ist, dass sie – wie der Kläger schilderte – landesweit tätig sind. Damit besteht aber die große Gefahr, dass der Kläger auch in anderen Landesteilen vor Racheaktionen der Drogenhändler nicht sicher wäre (vgl. § 3e i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Dies stellt eine erhebliche Gefahr für sein Leben, zumindest aber für seine körperliche Unversehrtheit dar, so dass ihm auch ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG droht.
Nach alledem war der Klage daher hinsichtlich § 4 AsylG stattzugeben (Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids). Dementsprechend waren auch die Feststellung des Bundesamts zum Fehlen von Abschiebungsverboten, die Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben (Nrn. 4 bis 6 des Bescheids).
Da dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wird, war über die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge nicht zu entscheiden, da diese nur für den Fall gestellt wurden, dass das Gericht dem Kläger weder die Flüchtlingseigenschaft noch subsidiären Schutz oder Abschiebungsverbote zuspricht.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z. B. B.v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris); Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.