Aktenzeichen M 23 K 15.31146
Leitsatz
Eine pakistanische Frau, der im Falle ihrer Abschiebung in ihr Heimatland unmittelbar Verfolgung durch die Familie ihres (geschiedenen) Ehemannes droht, kann in Pakistan weder durch die pakistanische Polizei noch durch die eigene Familie ausreichenden Schutz erlangen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat.
II. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2016 wird in den Nummern 3, 4, 5 und 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) zuzuerkennen.
III. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Bevollmächtigte der Klägerin die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Die Klage ist im Übrigen begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts erweist sich insoweit als rechtswidrig, war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiärer Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt. Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden begründet ist, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989, a.a.O.). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Wer durch Vortrag eines Verfolgungsschicksals um Asyl nachsucht, ist in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf die Hilfe eines Sprachmittlers angewiesen, um sich mit seinem Begehren verständlich zu machen. Zudem ist er in aller Regel mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Aufnahmelands, mit Behördenzuständigkeiten und Verfahrensabläufen sowie mit den sonstigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, auf die er nunmehr achten soll, nicht vertraut. Es kommt hinzu, dass Asylbewerber, die alsbald nach ihrer Ankunft angehört werden, etwaige physische und psychische Auswirkungen einer Verfolgung und Flucht möglicherweise noch nicht überwunden haben, und dies ihre Fähigkeit zu einer überzeugenden Schilderung ihres Fluchtgrunds beeinträchtigen kann (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – NVwZ 1996, 678).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Gericht auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin davon überzeugt, dass der Klägerin im Fall einer Rückkehr in ihr Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne von Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch nicht staatliche Akteure, nämlich durch Angehörige der Familie ihres ersten (wohl geschiedenen) Ehemanns, droht.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Klägerin mit ihrem (damaligen) Ehemann 2009 in Pakistan verheiratet wurde und im Jahr 2011 im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland einreiste und anschließend bei ihrem Ehemann lebte. In dem Wohnhaus lebten in weiteren Wohnungen auch die Schwiegereltern der Klägerin und Schwägerinnen. Das gemeinsame Leben fand überwiegend in der Wohnung der Schwiegereltern statt. Sowohl von dem Schwiegervater als auch dem Ehemann der Klägerin gingen erhebliche Drohungen und Körperverletzungen gegen die Klägerin aus. Die Klägerin wurde in vielfacher Hinsicht misshandelt, ihres freien Willens beraubt und ihr wurden sämtliches Eigentum sowie ihr Pass abgenommen. Nachdem sich die Klägerin dennoch weiterhin dem Willen ihres Ehemanns und Schwiegervaters zu widersetzen versuchte, zeigten diese die Klägerin schließlich unter dem Vorwurf, dass die Klägerin ihren Pass verkauft habe, an. Im Rahmen der Ermittlungen zu diesen Strafverfahren erhielt die Klägerin Hilfe von der Polizei und fand in einem Frauenhaus in München im Jahr 2012 Zuflucht. Bei einem Krankenhausaufenthalt der Klägerin wurde schließlich festgestellt, dass sie schwanger war, worauf sich die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen Situation zu einer Abtreibung entschied. Der Ehemann der Klägerin lauerte der Klägerin im Jahr 2012 noch einmal auf, sie konnte jedoch entkommen. Seit dieser Zeit besteht zwischen der Klägerin und der Familie ihres Ehemanns kein unmittelbarer Kontakt mehr. Der Ehemann der Klägerin hat sich dem Wunsch der Klägerin nach einer Scheidung verweigert; die Scheidung wurde dennoch nach islamischem Recht ohne seine Anwesenheit am 2. September 2014 ausgesprochen. Welche rechtliche Wirksamkeit dieser Scheidung (ebenso wie der späteren Neuverheiratung) zukommt, kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben.
Sowohl über eine Cousine der Klägerin als auch über ihre Eltern ist die Klägerin jedoch darüber informiert, dass die Familie ihres (wohl geschiedenen) Ehemanns erhebliche Drohungen ihr gegenüber, sowie ihrer Familie gegenüber ausspricht. Die Klägerin führte im Rahmen der informatorischen Anhörung glaubhaft aus, dass ihr Ehemann der Überzeugung sei, dass sie nicht mehr leben dürfe und dies auch Dritten gegenüber äußere. Ihre Eltern hätten ihr von Bedrohungen durch die Familie berichtet. Auch ihre Cousine habe ihr erzählt, dass der Ehemann der Klägerin diese angerufen habe und ihr gesagt habe, dass die Klägerin und ihre Familie nicht mehr leben würden, falls die Klägerin nach Pakistan zurückgehe; man würde sie umbringen. Schließlich geht die Klägerin auch davon aus, dass auch der Tod eines Cousins in Afghanistan als Racheakt der Familie ihres Ehemanns angesehen werden müsse. Ihr Schwiegervater habe sich hierzu auch bei einem Anruf bei der Familie des Cousins bekannt.
Dieser Sachverhalt steht aufgrund des ausführlichen Vortrags der Klägerin sowie des umfangreichen Aktenmaterials hierzu, insbesondere auch der beigezogenen Ausländerakte der Landeshauptstadt München, zur Überzeugung des Gerichts fest. Im Rahmen der informatorischen Anhörung konnte die Klägerin noch bestehende Unstimmigkeiten nachvollziehbar erläutern; ihre Schilderungen waren zusammenhängend und detailreich. Schließlich sind die Schilderungen der Klägerin auch in sich schlüssig. Insbesondere ist die Darstellung der Klägerin in Bezug auf ihre Persönlichkeit und ihren daraus folgenden Handlungen glaubhaft und nachvollziehbar. So konnte sie überzeugend darlegen, dass sie immer schon großes Interesse und Engagement an ihrer Schul- und Ausbildung hatte und sich daher den Einschränkungen und Versagungen durch ihren Ehemann und Schwiegervater vehement zu widersetzen versuchte. Aber auch die Gründe für die Verheiratung konnte die Klägerin nachvollziehbar darstellen. Hingegen kann die Bewertung des Bundesamts, dass der Vortrag der Klägerin vage und widersprüchlich sei, nicht nachvollzogen werden. Offenkundig ging das Bundesamt hierbei fälschlich von einer Eheführung in Pakistan, die zur Flucht der Klägerin nach Deutschland geführt habe, aus. Darauf beruhend erfolgte die Anhörung der Klägerin weder zu den relevanten Bereichen noch in ausreichendem Umfang und konnte ihm Rahmen der Würdigung der Sachverhalt nicht in Übereinstimmung gebracht werden. Woraus sich diese falsche Sachverhaltsannahme des Bundesamts begründet, erschließt sich dem Gericht nicht; zumindest liegen hierzu keinerlei entsprechende Angaben der Klägerin vor. Vielmehr lagen dem Bundesamt mehrere Schreiben des (damaligen) Bevollmächtigten sowie der Landeshauptstadt München vor, aus denen sich der korrekte zu Grunde liegende Sachverhalt ergibt.
Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland unmittelbar von einer Verfolgung durch die Familie ihres (geschiedenen) Ehemanns bedroht ist. Bereits das – auch durch polizeiliche Aktenvermerke bestätigte – Verhalten der Familie des Ehemanns zeigt deutlich, dass die Klägerin in ihrer Person und Würde von diesen komplett missachtet wurde und ihr das eigene Recht auf Leben und Selbstbestimmung abgesprochen wurde. Bereits solange sich die Klägerin diesen Umständen gefügt hat, wurde die Klägerin erheblich – auch sexuell – misshandelt. Das Gericht ist der Überzeugung, dass das weitere Verhalten der Klägerin, nämlich ihre Flucht und die Aufnahme eines selbstbestimmten Lebens sowie die erzwungene Scheidung, von der Familie des (geschiedenen) Ehemanns als mindestens respektlos und ehrverletzend der Familie gegenüber erachtet wird und zu erheblich weiteren Aggressionen geführt hat. Darüber hinaus hat die Klägerin noch eine – der Familie bisher unbekannte Abtreibung vornehmen – lassen. Dementsprechend geht das Gericht davon aus, dass die Familie erhebliches Interesse daran hat, diese empfundene „Ehrverletzung“ zu sühnen und die Klägerin erheblich zu bestrafen.
Auch die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln stützen diese Einschätzung. Die Rolle der Frau in Pakistan wird in erster Linie von einer islamischen Gesellschaft geprägt, in der weite Teile einer sehr konservativen Denkweise anhängen. Frauen unterliegen stärker als Männer religiösen- und kulturellen Zwängen, sowie Benachteiligungen bei der Bildung und im Beruf (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan – Lagebericht -, Stand Mai 2016, S. 19). Amnesty International führt in seinem Pakistan Report 2016 aus, dass Frauen und Mädchen 2015 weiterhin Opfer von Gewalt und Drohungen geworden seien. Allein im ersten Halbjahr seien mindestens 4.308 Fälle von Gewalt gegen Frauen und Mädchen gemeldet, darunter 709 Morde, 596 Vergewaltigungen und Massenvergewaltigungen, 36 sexuelle Übergriffe, 186 sogenannte „Ehrenmorden“ und 1.020 Entführungen. Ungeachtet eines 2011 verabschiedeten Gesetzes, dass den Verkauf konzentrierter Säuren einschränke und das Strafmaß für Säureangriffe drastisch erhöhe, seien zwischen Januar und Juni 2015 mindestens 40 Säureanschläge angezeigt worden. Auch 2015 sei Frauen das Recht auf Gleichheit und Schutz vor dem Gesetz verwehrt worden. Zahlreiche Faktoren würden die Situation zusätzlich verschärfen, so z.B. die Tatsache, dass Inzest nicht strafbar sei und das Strafjustizwesen Frauen diskriminiere. Auch der Bericht des Home-Office (Großbritannien) vom Februar 2016 zu Country Information and Guidance Pakistan: Woman fearing gender based harm/violence kommt zu dem Ergebnis, das Pakistan als drittgefährlichster Ort in der Weltrangliste für Frauen gelte und ein Ort der größten Ungleichheit sei. Gewalt gegen Frauen sei weit verbreitet, sei es häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch und Belästigung, Säureangriffe, Zwangsverheiratungen, Zwangsbekehrungen und Ehrenmorde (a.a.O., S. 6).
Es ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin einer erheblichen Bedrohung durch die Familie ihres (geschiedenen) Ehemanns in Pakistan ausgesetzt wäre und vor dieser Bedrohung auch keinen ausreichenden Schutz erlangen könnte. Da die Klägerin aus der Provinz Belutschistan im Grenzgebiet zu Afghanistan stammt und die Familie des geschiedenen Ehemanns sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan lebt, ist es dieser auch möglich, die Klägerin in ihrem Heimatgebiet aufzuspüren.
Die Klägerin kann sich auf die begründete Furcht vor einem ernsthaften Schaden i.S.d. § 4 AsylG auch berufen, obwohl die dazu führenden Ereignisse auf einem Sachverhalt beruhen, der erst eingetreten ist nachdem die Klägerin ihr Herkunftsland verlassen hat, vgl. § 28 Abs. 1a AsylG.
Der Klägerin steht auch keine inländische Fluchtalternative, § 3e Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG, zur Verfügung. Nach § 3e Abs. 1 AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG wird dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens fürchten muss oder er Zugang zu Schutz hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Drittausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, was er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris Rn 49).
Aufgrund der Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass die Klägerin weder durch die pakistanische Polizei ausreichend geschützt werden könnte, noch durch ihre Familie – also ihre Eltern – geschützt werden könnte. So führt der Lagebericht hierzu aus, dass die Polizeikräfte in lokale Machtstrukturen eingebunden und daher nicht in der Lage seien, unparteiliche Untersuchungen durchzuführen. Strafanzeigen würden häufig gar nicht erst aufgenommen und Ermittlungen verschleppt (Lagebericht, Stand Mai 2016, S. 11). Der Bericht des Bundesasylamts der Republik Österreich führt aus, dass die Polizei sich oft um Drohungen nicht kümmere und eher daneben stehe, als einzugreifen (BAA, Bericht zur fact finding Mission, Pakistan 2013, S. 46).
Auch eine inländische Fluchtalternative steht der Klägerin als alleinstehende Frau – entgegen der Ansicht des Bundesamts im Bescheid – nicht zur Verfügung. Irrelevant erscheint dem Gericht insoweit, ob die Klägerin zwischenzeitlich wieder wirksam verheiratet ist, da es sich bei diesem Partner zumindest nicht um einen pakistanischen Staatsangehörigen handelt, so dass auch dieser nicht für einen gesicherten Aufenthalt der Klägerin in ihrem Heimatland sorgen kann. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel kann nicht davon ausgegangen werden, dass es der Klägerin als alleinstehende Frau möglich seien wird, in Pakistan hinreichend sicher außerhalb ihrer Familie zu leben und sich zu ernähren. Auch wenn die Klägerin aufgrund ihrer hohen Ausbildung und Qualifikation wohl in der Lage wäre, finanziell in Pakistan für sich selbst zu sorgen, so ist sie jedoch nicht auch vor Übergriffen Dritter hinreichend geschützt. Amnesty International führt insoweit in einer Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 20. April 2009 aus, dass nach Einschätzung von Amnesty International, die sich auch mit anderen Quellen decke, dass Alleinleben ohne Rückhalt durch eine Familie für Frauen ungleich schwieriger und äußert selten sei. Ob es im Einzelfall möglich sei, hänge von mehreren Faktoren ab, insbesondere dem Alter, der sozialen Schicht, der Ausbildung und der Frage, ob es sich um Stadt oder Land gehe. Generell lasse sich sagen, dass es praktisch nicht vorkomme, dass Frauen allein und völlig ohne Familienanschluss in dörflichen Strukturen leben würden. Es gäbe Beispiele in großen Städten von hochgebildeten und wirtschaftlich unabhängigen Frauen, die alleine leben würden. Sie seien allerding klar eine Ausnahme. Als besonders schwierig erweise sich die Situation von jungen unverheirateten oder geschiedenen Frauen. Unabhängig von sozialer Schicht und auch in größeren Städten werde dieses Konzept gesellschaftlich verurteilt, neben praktischen Problemen bezüglich Wohnung und Arbeit spiele sozialer Druck eine große Rolle, es dürfte zu Gerüchten aller Art kommen. Insbesondere wenn weithin bekannt sei, dass eine Frau allein lebe, blieben dauerhaft erhebliche soziale Vorbehalte, sexuelle Belästigungen und die persönliche Sicherheit gravierende Probleme. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie von Dritten angegriffen werde, da man ihren Lebensstil missbillige. Von einer hinreichend sicheren inländischen Fluchtalternative kann für die Klägerin daher nicht ausgegangen werden.
Schließlich erscheint es dem Gericht auch glaubhaft, dass der Klägerin die Gefahr primär bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland droht und nicht in gleichem Umfang bei einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland besteht. Die Klägerin führte insoweit im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung glaubhaft aus, dass ihr (geschiedener) Ehemann durch die deutlichen Hinweise der deutschen Polizei und deren mehrfache Ermahnungen realisiert habe, dass er in Deutschland bei einem Racheakt ihr gegenüber einer zu großen Gefahr der Aufdeckung und Verfolgung sowie ausländerrechtlichen Maßnahmen ausgesetzt wäre und daher von Verfolgungsmaßnahmen hier abschrecke. Gerade diese Gefahr ist jedoch für die Familie des (geschiedenen) Ehemanns gemäß den vorliegenden Erkenntnismitteln in Pakistan nicht gegeben.
Nach alledem war der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG hinsichtlich Pakistans und der Aufhebung der entgegenstehenden Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 14. November 2016 stattzugeben. Infolge der Zuerkennung subsidiären Schutzes waren auch die Nummern 4, 5 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z.B. Beschluss vom 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris). Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.