Verwaltungsrecht

Systemische Mängel im ungarischen Asylsystem

Aktenzeichen  M 22 S 15.50183

Datum:
10.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 138330
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Es spricht einiges für die Einschätzung, dass das ungarische Asylsystem derzeit systemische Mängel aufweist, als deren Folge nach Ungarn zurückgeführte Asylbewerber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werden. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 6. Februar 2015 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet. Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung stellen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zumindest als offen dar. Die im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Antrag vorzunehmende Interessenabwägung fällt bei dieser Sachlage zugunsten des Antragstellers aus.
Mit Blick auf die vorliegenden Informationen zur Praxis bei der Verhängung von Asylhaft, darüber hinaus aber auch wegen der mittlerweile erfolgten Änderungen des ungarischen Asylrechts, die in ihren Auswirkungen soweit ersichtlich unzulässige Abschiebungen in Drittstaaten ermöglichen würde, spricht hier einiges für die Einschätzung, dass das ungarische Asylsystem derzeit systemische Mängel aufweist, als deren Folge nach Ungarn zurückgeführte Asylbewerber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK zu werden (zu den Rechtsänderungen vgl. u.a. das Gutachten des Instituts für Ostrecht, München, vom 02.10.2015 an das VG Düsseldorf; allgemein zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn aus neuerer Zeit mit Ausführungen zu den geänderten Regelungen, zur Inhaftierungspraxis und zu der staatlicherseits geschürten xenophoben Stimmung siehe insbesondere die Stellungnahme des Menschenrechtskommissars des Europarates vom 17.12.2015 zu den beim EGMR anhängigen Streitsachen Nr. 44825/15 und Nr. 44944/15, die zu der Schlussfolgerung gelangt, dass gegenwärtig praktisch niemand in Ungarn internationalen Schutz erlangen könne). Im Ergebnis ist jedenfalls davon auszugehen, dass es einer weiteren Prüfung der Problematik bedarf, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss (aus der neueren Rechtsprechung systemische Mängel bejahend bzw. für wahrscheinlich erachtend vgl. etwa VG München, U.v. 20.11.2015 – M 16 K 15.50315 -; VG Düsseldorf, GB v. 2.12.2015 – 22 K 3263/15.A -; VG Berlin, B.v. 14.1.2016 – 3 L 508.15 A – VG Aachen, U.v. 10.3.2016 – 5 K 1049/15.A -; solche Mängel verneinend etwa VG Dresden, B.v. 30.12.2015 – 2 L 1378/15.A -; VG Ansbach, B.v. 10.12.2015 – AN 3 S 15.50559 – und VG München, B.v. 5.8.2016 – M 1 S 16.50383 -; zum Vorliegen systemischer Mängel im Hinblick auf die Verhältnisse im Sommer 2014 siehe weiter VGH BW, U.v. 5.7.2016 – A 11 S 974/16 – alle in juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).

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