Verwaltungsrecht

Teilweise Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft innerhalb einer Familie

Aktenzeichen  M 13 K 17.31083

Datum:
5.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 163107
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3 a Abs.1, § 14a Abs. 2, § 77 Abs. 1 S.1
AsylG § 26 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 5 S.1

 

Leitsatz

Tenor

I.    Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin zu 2. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. Januar 2017 wird, soweit sie dem entgegensteht, aufgehoben.     
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
II.    Die Klägerin zu 1. trägt die Kosten ihres Verfahrens. Im Übrigen trägt die Beklagte die Kosten des Verfahrens.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage der Kläger zu 1. hat keinen Erfolg, da ihr ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zusteht. Die Klage bezüglich der Klägerin zu 2. hat in der Sache Erfolg, da der Klägerin zu 2. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), neu gefasst durch das Gesetz zur Umsetzung der RL 2011/95/EU vom 28. August 2008 (BGBl I S. 3474), ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich außerhalb seines Herkunftslandes aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe befindet. Diesem Flüchtling wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG), soweit nicht bestimmte, in § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG geregelte Exklusionsklauseln den Flüchtlingsschutz ausschließen.
Als Verfolgungshandlung, die den Flüchtlingsschutz im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auslösen, gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG entweder Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder solche Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in vorstehend beschriebener Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
Neben der staatlichen Verfolgung (§ 3c Nr. 1 AsylG) kann die Verfolgungshandlung auch von Parteien oder Organisationen ausgehen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den vorgenannten Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG).
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob der Flüchtling tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
2. Der Klägerin zu 1. droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
a) Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im Sinne des § 3 AsylG vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist, sind nicht ersichtlich.
b) Die Klägerin ist bei ihrer Rückkehr in ihre Heimat auch nicht aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG bedroht.
(1) Allein der Umstand der (illegalen) Ausreise aus Syrien mit Asylantragstellung und längerfristigem Aufenthalt in Deutschland vermag für sich genommen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der politischen Verfolgung nicht zu begründen.
Syrischen Staatsangehörigen droht bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus nicht schon allein deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, weil sie Syrien verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längerfristig in Deutschland aufgehalten haben (so auch BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 ZB 16.30338, 21 ZB 16.30364 – juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 – 14 A 1852/16.A – juris; OVG SH, U.v. 23.11.2016 – 3 LB-17/16 – juris; OVG RhPf, U.v. 16.12.2016 – 1 A 10922/16 – juris; anders OVG LSA, U.v. 18.7.2012 – 3 L 147/12 – juris).
Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 führt zur Behandlung von Rückkehrern aus, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt befragt würden. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien für sich allein aber kein Grund für eine Verhaftung oder Repressalien. Auch nach der Auskunft der Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016 liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer nach Syrien ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe oder Sanktionen zu erleiden hätten.
(2) Gefahrerhöhende Umstände in der Person der Klägerin zu 1. sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
4. Die Klägerin zu 1. hat auch keinen Anspruch auf Erteilung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, da, nach eigenen Angabe der Klägerin zu 1., die Ehe nicht im Heimatland bestanden hat. Im Übrigen zählt als eine Ehe im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nur eine vom Heimatland als Ehe anerkannte und registrierte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau (vgl. BVerwG, U.v. 22.02..2005 – 1 C 17/03 – BVerwGE 123, 18-23, juris Rn. 9).
5. Der Anspruch der Klägerin zu 2. auf die Erteilung der Flüchtlingsanerkennung ergibt sich aus § 26 Abs. 2 AsylG. Der Asylantrag gilt mit dem 3. September 2015 als gestellt (§ 14a Abs. 1 und 2 AsylG). Dem Vater der Klägerin zu 2., der seine Vaterschaft am 9. Juni 2016 anerkannt hat, steht durch einen unanfechtbaren Bescheid des Bundesamtes vom 17. Juli 2014 die Flüchtlingseigenschaft zu. Anhaltspunkte für einen geplanten Widerruf oder eine Rücknahme der Flüchtlingseigenschaft des Vaters der Klägerin zu 2. sind nicht gegeben. Dem im Zeitpunkt der Asylantragstellung minderjährigen ledigen Kind, der Klägerin zu 2., war daher gemäß § 26 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 26 Abs. 5 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff ZPO.

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