Aktenzeichen 9 ZB 15.2487
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1, Art. 108 Abs. 1
Leitsatz
1 Im Rahmen von § 16a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 iVm § 2 Nr. 1 TierSchG kommt es für die Rechtmäßigkeit einer Anordnung nicht darauf an, dass Leiden eines Tieres sicher festgestellt werden. Es genügt vielmehr die Möglichkeit einer Leidensverursachung, was bei Verstößen und Mängeln im Bereich der Reinhaltung, Ernährung und Gesundheitsfürsorge ohne Weiteres auf der Hand liegt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Verhütung künftiger Verstöße gegen das Tierschutzrecht kann eine Anordnung auch erforderlich iSv § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TierSchG geblieben sein, wenn der Kläger den Anforderungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nachgekommen sein sollte (Anschluss an BVerwG BeckRS 2013, 54151, Rn. 7). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 18 K 13.2590 2014-03-12 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen tierschutzrechtliche Anordnungen des Landratsamts F…
Nach Hinweisen auf tierschutzwidrige Zustände in der vom Kläger betriebenen Auffang- und Pflegestation für heimische Wildtiere führte das Landratsamt F… am 5., 11. und 25. Oktober 2011 sowie am 28. März 2012 Kontrollen vor Ort durch. Eine weitere Kontrolle fand am 24. Juli 2012 unter Beteiligung von Vertretern der Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Zierfische (LMU – Vogelklinik) sowie des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) statt. Dabei wurden jeweils insbesondere Mängel der Haltungseinrichtungen, eine nicht ausreichende Versorgung der Tiere mit Trinkwasser und fehlende Bademöglichkeiten für die Greifvögel festgestellt sowie eingehende tierärztliche Untersuchungen der Vögel als notwendig erachtet.
Mit Bescheid vom 17. Mai 2013 verfügte das Landratsamt F… unter Androhung von Zwangsgeld gegenüber dem Kläger, die in der Anlage zum Bescheid aufgeführten Tiere, soweit sie sich noch im Bestand des Klägers befinden, in geeigneter Weise zur Abklärung des medizinischen Zustands entsprechend tierärztlich weitergehend untersuchen zu lassen und die entsprechenden Nachweise dem Landratsamt vorzulegen (Nr. 1). Zudem ordnete das Landratsamt mit sofort vollziehbar erklärter Verfügung an, den Greifvögeln Badeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen, allen Tieren ausreichend Wasser und Futter zur Verfügung zu stellen und die Haltungseinrichtungen von Verschmutzungen zu befreien und zu reinigen (Nr. 3).
Die gegen den Bescheid vom 17. Mai 2013 erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. März 2014 ab. Der Kläger sei den Anforderungen des § 2 TierSchG nicht nachgekommen und habe dadurch den Tieren länger anhaltende Leiden zugefügt. Das Landratsamt gehe zutreffend von der Notwendigkeit weitergehender tierärztlicher Untersuchungen für die in der Anlage zum Bescheid aufgeführten Vögel aus. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Kläger ist der Ansicht, durch die beiden Stellungnahmen der Tierärztin Dr. T… über deren Begutachtung vom 9. September 2013 aller im Bescheid aufgeführten Tiere liege ein substantiiertes Gegenvorbringen vor, das die Einschätzungen der beamteten Tierärztin entkräfte. Das Verwaltungsgericht habe zudem den klägerischen Vortrag und positive Teile aus dem Gutachten der LMU-Vogelklinik vom 18. September 2012 nicht berücksichtigt und keine eigenen Feststellungen getroffen. Weitergehende Untersuchungen der Vögel seien nicht notwendig. Schließlich werde verkannt, dass es sich hinsichtlich der Anordnungen unter Nr. 3 des Bescheids vom 17. Mai 2013 um einen Dauerverwaltungsakt handle, dessen Anforderungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfüllt seien. Aus diesem Zulassungsvorbringen ergeben sich jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
a) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend § 16a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Nr. 1 TierSchG als Rechtsgrundlage für die Anordnungen im Bescheid vom 17. Mai 2013 angesehen. Danach kann die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen treffen und insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen. § 2 Nr. 1 TierSchG verlangt dabei die seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres. Im Rahmen dieser Rechtsgrundlage kommt es für die Rechtmäßigkeit einer Anordnung nicht darauf an, dass Leiden eines Tieres sicher festgestellt werden. Es genügt vielmehr die Möglichkeit einer Leidensverursachung (BayVGH, B.v. 28.9.2005 – 25 CS 05.1075 – juris Rn. 11; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 13), was bei Verstößen und Mängeln im Bereich der Reinhaltung, Ernährung und Gesundheitsfürsorge ohne weiteres auf der Hand liegt.
b) Die Verstöße und Mängel bei der Tierhaltung sind durch die fachlichen Stellungnahmen der LMU-Vogelklinik vom 18. September 2012 (Bl. 595 der Behördenakte) und des LGL (Bl. 584 der Behördenakte) sowie die Feststellungen und Einschätzungen der beamteten Tierärztin vom 6. Oktober 2011 (Bl. 17 der Behördenakte), vom 8. November 2011 (Bl. 108 der Behördenakte), vom 22. Dezember 2011 (Bl. 231 der Behördenakte), vom 3. April 2012 (Bl. 487 der Behördenakte) und vom 28. Dezember 2012 (Bl. 640 der Behördenakte) umfangreich festgestellt und dokumentiert. Letzterer kommt dabei von Gesetzes wegen eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu (stRspr. vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 31.1.2017 – 9 ZB 16.1941 – juris Rn. 9). Soweit der Kläger der Ansicht ist, bei den Stellungnahmen der Tierärztin Dr. T… über deren Begutachtung vom 9. September 2013 (Bl. 36 und 40 der Verwaltungsgerichtsakte) handle es sich um substantiiertes Gegenvorbringen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Stellungnahmen der Tierärztin Dr. T… sind hier – im Gegensatz zu deren Stellungnahme im Verfahren des Klägers betreffend die Tötungsanordnung eines Mäusebussards (BayVGH, B.v. 13.5.2014 – 9 CS 14.1027 – juris Rn. 19) – lediglich allgemein und pauschal gehalten. Sie betreffen auch nur punktuell einen Zeitpunkt nach Erlass des angefochtenen Bescheids, während die für dessen Erlass maßgeblichen Umstände und Feststellungen über einen längeren Zeitraum in den Behördenakten und mittels Lichtbildern umfangreich dokumentiert sind (vgl. die Aktenvermerke über Kontrollen vom 11.10.2011 (Bl. 56 der Behördenakte), vom 25.10.2011 (Bl. 96 der Behördenakte) und vom 24.7.2012 (Bl. 561 der Behördenakte)). Die Stellungnahmen der Tierärztin Dr. T… lassen zudem jegliche Auseinandersetzung mit den Feststellungen und Bewertungen der o.g. fachlichen Stellungnahmen und der beamteten Tierärztin vermissen, so dass sie insgesamt nicht geeignet sind, diese in Zweifel zu ziehen.
c) Gleiches gilt für den Einwand des Klägers, es bestehe keine Notwendigkeit für weitergehende Untersuchungen der Vögel. Das Verwaltungsgericht hat die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen zur Beurteilung der Frage einer Auswilderung oder Haltung unter menschlicher Obhut ausführlich – zulässigerweise auch unter Bezugnahme auf den Ausgangsbescheid (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO) – begründet. Es hat dabei auch nicht verkannt, dass die Tiere nicht ausschließlich wieder ausgewildert werden müssen, sondern die Untersuchung auch im Hinblick auf die Frage, ob die Vögel unter menschlicher Obhut tiergerecht gehalten werden können, für erforderlich erachtet (UA. S. 12 ff.). Den Bewertungen des Verwaltungsgerichts liegen die o.g. umfangreichen fachlichen Stellungnahmen zugrunde, denen die Stellungnahmen der Tierärztin Dr. T… insbesondere im Hinblick auf die einzeltierbezogenen Begutachtungen, Feststellungen und Begründungen der LMU-Vogelklinik in der fachlichen Stellungnahme vom 18. September 2012 mangels eigener einzeltierbezogener Feststellungen nichts entgegensetzen können. Das Verwaltungsgericht hat die Stellungnahmen der Tierärztin Dr. T… im Übrigen auch in den Urteilsgründen berücksichtigt und sich mit dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers auseinandergesetzt (vgl. UA. S. 14, 17). Soweit der Kläger anführt, die positiven Teile in der fachlichen Stellungnahme der LMU-Vogelklinik seien nicht berücksichtigt worden, können sich hieraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben, weil auch diese Teile in die jeweils abschließende einzeltierbezogene fachliche Beurteilung, auf die sich das Verwaltungsgericht stützt (vgl. UA. S. 13 f.), eingeflossen sind.
d) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung ergeben sich auch nicht, soweit der Kläger darauf abstellt, die Anordnungen unter Nr. 3 des Bescheids vom 17. Mai 2013 stellten einen Dauerverwaltungsakt dar, so dass maßgeblicher Zeitpunkt die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sei, während das Verwaltungsgericht offenbar davon ausgehe, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung komme es allein auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung an. Dies kann jedoch offen bleiben, weil die möglicherweise zu Unrecht erfolgte Verneinung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung nicht notwendig zur Rechtswidrigkeit der Anordnung führt. Denn zur Verhütung künftiger Verstöße gegen das Tierschutzrecht kann eine Anordnung auch erforderlich i.S.v. § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG geblieben sein, wenn der Kläger den Anforderungen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nachgekommen sein sollte (vgl. BVerwG, B.v. 9.7.2013 – 3 B 100.12 – juris Rn. 7). Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander, zumal die Feststellungen des Landratsamts anlässlich der Kontrolle vom 8. April 2014 (Bl. 57 der Gerichtsakte, Az. 9 ZB 14.1053) erneut bereits bisher beanstandete Verstöße und Mängel gegen tierschutzrechtliche Anforderungen anführen.
2. Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
a) Soweit der Kläger vorträgt, das Verwaltungsgericht habe seinen Vortrag und positive Teile aus der fachlichen Stellungnahme der LMU-Vogelklinik vom 18. September 2012 nicht berücksichtigt, ergibt sich hieraus auch keine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 1 VwGO verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch dazu, sich mit jedem Vorbringen im Urteil ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerwG, B.v. 18.1.2017 – 8 B 16.16 – juris Rn. 4). Die Stellungnahmen der Tierärztin Dr. T… wurden vom Verwaltungsgericht – wie bereits ausgeführt – in den Urteilsgründen gewürdigt. Besondere Umstände, aufgrund derer die Annahme gerechtfertigt wäre, das Verwaltungsgericht habe das übrige vom Kläger geltend gemachte Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und erwogen, werden im Zulassungsvorbringen nicht dargelegt.
b) Das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe die angezeigte Beweiserhebung zum Zustand der Tiere durch Vernehmung der Tierärztin Dr. T… übergangen und wäre im Falle einer Vernehmung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Notwendigkeit weitergehender Maßnahmen bzw. der Anordnung nicht bestand, führt nicht zum Erfolg der Verfahrensrüge. Abgesehen davon, dass Beweise nur insoweit zu erheben sind, als es für die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts darauf ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2016 – 9 ZB 13.2539 – juris Rn. 25), kommt ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO nicht in Betracht, wenn ein anwaltlich vertretener Kläger es versäumt hat, sich vor Gericht durch die zumutbare Ausschöpfung der vom einschlägigen Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfG, B.v. 18.8.2010 – 1 BvR 3268/07 – juris Rn. 28). Nachdem die geladene Zeugin Dr. T… in der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2014 vor dem Verwaltungsgericht nicht erschienen ist, hätte es dem Klägerbevollmächtigen oblegen, auf deren Vernehmung hinzuwirken. Demgegenüber hat der Klägerbevollmächtigte jedenfalls durch Stellung seines Klageabweisungsantrags in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass eine Entscheidung auch unter Verzicht auf die Zeugin in Betracht kommt. Ausgehend von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt musste sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachaufklärung hier auch nicht aufdrängen, selbst wenn – was wie oben ausgeführt offen bleiben kann – dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.2016 – 9 BN 2.16 – juris Rn. 4; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 48).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nr. 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).