Verwaltungsrecht

Trennung von der Familie kein Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  M 9 S 17.45438

Datum:
8.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 1, § 36
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG GG Art. 6, Art. 19 Abs. 4
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
EMRK EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Die Trennung von einem Ehepartner und/oder einem Kind begründet kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis. Dieser Umstand kann allenfalls zu einem inlandsbezogenen Vollstreckungshindernis führen, das bei einer etwaigen Abschiebung von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen wäre. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt … … … wird für dieses und für das zugehörige Klageverfahren, Az.: M 9 K 17.45437 abgelehnt.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben) nigerianischer Staatsangehöriger, geboren am 23. September 1990, er reiste am 13. Oktober 2016 (so die Angabe des Antragstellers in der Dublin-Erstbefragung, Bl. 7 der Bundesamtsakten) bzw. am 14. November 2016 (so die Angabe des Antragstellers in der Anhörung nach § 25 AsylG, Bl. 30 der Bundesamtsakten, vgl. aber den Aufnahmeschein vom 13.10.2016, Bl. 39 der Bundesamtsakten) auf dem Landweg von Italien und Österreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. November 2016 Asylantrag.
Die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 30. November 2016. Zur Begründung des Asylbegehrens machte der Antragsteller im Wesentlichen geltend, dass sein Vater in Nigeria einem Geheimbund angehört habe. Nach dem Tod des Vaters seien die Geheimbündler zu seiner Mutter gekommen mit der Aufforderung, dass diese die Nachfolge des Vaters antreten solle. Die Mutter habe abgelehnt. Daraufhin sei ein älterer Bruder des Antragstellers aus unbekannten Gründen gestorben und der Antragsteller, damals im Alter von vier Jahren, habe mit Mutter und jüngerem Bruder Nigeria verlassen. Sie seien dann sieben Jahre im Niger und zehn Jahre – legal, d.h. mit „Papieren“ – in Libyen gewesen. In Libyen sei es ihm und seiner Familie gut gegangen, auch wirtschaftlich. Daraufhin sei der Antragsteller nach Italien gefahren, wo er sich ca. fünf Jahre aufgehalten habe. Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte, gab der Antragsteller an: „Nur Gott weiß, was passieren würde. Ich kenne dort niemanden.“ Auf die Niederschrift über die Anhörung im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 29 – 36 bzw. Bl. 88 – 92 der Bundesamtsakten).
Mit Bescheid vom 19. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz jeweils als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), forderte den Antragsteller zum Verlassen der Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 5). Unter der Nr. 6 des Bescheids wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristet. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Mit Begleitschreiben vom 22. Mai 2017 wurde der Bescheid an den Antragsteller versandt. Nach einem erfolglosen Zustellungsversuch wurde der Bescheid noch einmal mit Begleitschreiben vom 14. Juni 2017 versandt und ausweislich der bei den Bundesamtsakten befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde am 19. Juni 2017 zugestellt.
Der Antragsteller ließ mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 23. Juni 2017 Klage erheben (M 9 K 17.45437) und beantragen, den Bescheid vom 19. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass beim Antragsteller nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ein Abschiebungsverbot vorliegt.
Gleichzeitig wurde beantragt,
hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemaß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung des Eilantrags wurde ausgeführt, dass der Antragsteller mit seinen zwei Kindern im Alter von drei und vier Jahren und seiner mit ihm nach nigerianischem Recht verheirateten Ehefrau in der Unterkunft lebe. Das Asylverfahren der Ehefrau und der Kinder laufe separat. Derzeit seien Ehefrau und Kinder nicht ausreisepflichtig. Eine Trennung der Familie sei mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht vereinbar. Eine weitere Begründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten, der bislang nicht eingetroffen ist.
Die Antragsgegnerin hat die Akten vorgelegt, sich in der Sache jedoch nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist unbegründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt für die Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht ist daher die Prüfung, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Der Antragsteller hat weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG) noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG noch subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 19. Mai 2017, auf den gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist unter Zugrundelegung des Prüfungsumfangs des Verfahrens auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Maßgabe der oben dargelegten Grundsätze bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils.
Die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils ist nach der Maßgabe von § 30 Abs. 1 AsylG nicht zu beanstanden. Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Der Antragsteller hat bezogen auf den Flüchtlingsschutz, unabhängig davon, dass die Angaben vollkommen ungereimt und viel zu pauschal sind, bereits keine Umstände vorgetragen, die an ein asylerhebliches Merkmal gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG anknüpfen. Der Antragsteller hat vielmehr sogar auf entsprechende Frage in der Anhörung nicht einmal behauptet, dass er bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat irgendetwas befürchten würde, vielmehr wisse „nur Gott“, was bei seiner Rückkehr passieren würde. Ob insofern die Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 30 Abs. 2 AsylG vorliegen, was das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid zusätzlich bejaht hat, kann dabei offenbleiben, da jedenfalls die Voraussetzungen gemäß § 30 Abs. 1 AsylG vorliegen und das Offensichtlichkeitsurteil rechtfertigen. Ebenso verhält es sich bezogen auf den subsidiären Schutz. Es fehlt bereits an einer Anknüpfung an die Tatbestände von § 4 AsylG. Auch insofern wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die entsprechende Begründung im Bescheid Bezug genommen.
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die vom Antragsteller selbst im Verwaltungsverfahren (vgl. Bl. 32 der Bundesamtsakten) vorgebrachten Erkrankungen, wegen denen er übrigens in Italien zweimal operiert wurde und Medikamente mitbekommen hat, sind bereits nach dem eigenen Vorbringen nicht lebensbedrohlich. Der Antragsteller hat auf entsprechende Frage angegeben, dass die Krankheitsfolgen besser würden, er „aber gelegentlich […] noch Schmerzen“ habe. Das genügt nicht, um insofern ein Abschiebungsverbot zu begründen. Der Antragsteller ist nach seinen Angaben in der Anhörung nicht einmal in ärztlicher Behandlung. Auch das im Verwaltungsverfahren vorgelegte ärztliche Schreiben des Helios Amper-Klinikums Dachau vom 3. Dezember 2016 (Bl. 68 der Bundesamtsakten), das krampfartige Oberbauchschmerzen nach dem Essen feststellt, führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
Auch der Einwand des Bevollmächtigten des Antragstellers führt zu keinem anderen Ergebnis. Vorgetragen ist dabei lediglich, dass eine Abschiebung des Antragstellers wegen eines ansonsten bestehenden Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK nicht zu einer Trennung von seiner Frau und den gemeinsamen beiden Kinders führen dürfe. Dass beim Antragsteller Art. 6 Abs. 1 GG nicht Prüfungsmaßstab ist, schadet zwar nicht. Denn insofern steht § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK zur Verfügung. Jedoch führt dieser Vortrag im hiesigen Verfahren in keinem Fall zu einem anderen Ergebnis. Unabhängig davon, dass bezogen auf die Frau des Antragstellers von diesem keine nach deutschem Recht gültige Verheiratung belegt ist – was die Antragsgegnerin aber gleichwohl nicht davon abgehalten hat, deswegen von der Durchführung einer „Dublin-Überstellung“ Abstand zu nehmen (Bl. 73 der Bundesamtsakten) – und unabhängig davon, ob die im Verwaltungsverfahren vorgelegten italienischen Dokumente (Bl. 48ff. der Bundesamtsakten) geeignet sind, die Verheiratung und die Vaterschaft in Ansehung der beiden Kinder zu belegen, handelt es sich hierbei nicht um zielstaatsbezogene Umstände, die im hiesigen Verfahren zu berücksichtigen wären. Vielmehr könnten diese Umstände, sofern die geltend gemachten Vaterschaften bzw. die Verheiratung stimmen, allenfalls zu einem inlandsbezogenen Vollstreckungshindernis (§ 60a Abs. 2 AufenthG) führen, das bei einer etwaigen Abschiebung von der zuständigen Ausländerbehörde, nicht aber von den für das Asylverfahren zuständigen Behörde der Antragsgegnerin zu prüfen wäre.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist nach alledem nicht zu beanstanden.
Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten des Antragstellers ist abzulehnen, da Antrag und Klage, wie sich aus dem oben Dargestellten ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG), das gilt auch für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch (Marx, AsylG. 9. Auflage 2017, § 80 Rn. 3).

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