Verwaltungsrecht

Überwiegendes Ausweisungsinteresse bei schweren Eigentums- und Körperverletzungsdelikten

Aktenzeichen  M 12 K 20.1165

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48648
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 35, § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 6 GG
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schutz der Bevölkerung vor Körperverletzungsdelikten sowie vor Eigentums- und Vermögensdelikten stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da Art. 8 Abs. 2 EMRK eindeutig Ausnahmen von den in Art. 8 Abs. 1 EMRK zugesicherten Rechten vorsieht, kann aus Art. 8 Abs. 1 EMRK kein absolutes Recht auf Nichtausweisung abgeleitet werden. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht legt den Antrag des Klägers dahingehend aus, dass er im Hauptantrag die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 18. Februar 2020 begehrt.
Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid vom 18. Februar 2020 in der Gestalt, die er in der mündlichen Verhandlung gefunden hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die in Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 18. Februar 2020 verfügte Auswei sung ist rechtmäßig.
Maßgeblicher Zeitpunkt zur rechtlichen Überprüfung der Ausweisung sowie der weiteren durch die Beklagte getroffenen Entscheidungen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. nur BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 12).
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Ein Ausländer, dem – wie dem Kläger – nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
a) Vom Kläger geht eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind (vgl. zum Erfordernis etwa BVerwG, U.v. 26.2.2002 – 1 C 21/00 – juris Rn. 22). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18). Der Rang des bedrohten Rechtsguts bestimmt dabei die mögliche Schadenshöhe, wobei jedoch keine zu geringen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden dürfen (BVerwG, U.v. 10.7.2012, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe geht vom Kläger eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus. Sein persönliches Verhalten stellt gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die der Ausweisungsentscheidung und der Verurteilung des Amtsgerichts … vom *. Mai 2017 und … September 2018 zu Grunde liegenden Straftaten (insbesondere gewerbsmäßiger Betrug, Betrug, gefährliche Körperverletzung und Bedrohung) sind schwerwiegend, zumal vor dem Hintergrund der zahlreichen einschlägigen Vorstrafen. Der Schutz der Bevölkerung vor Körperverletzungsdelikten sowie vor Eigentums- und Vermögensdelikten stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. Die betroffenen Schutzgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums/Vermögens nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen staatliche Schutzpflichten aus. Insbesondere die mehrfache Begehung von Körperverletzungsdelikten begründet eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft an der körperlichen Integrität ihrer Mitglieder (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 15). Gleiches gilt insbesondere bei mehrfacher, geradezu serienmäßiger Begehung von Eigentums- und Vermögensdelikten zur Verschaffung einer nicht unwesentlichen Einnahmequelle.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass vom Kläger die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten, insbesondere im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte, aber auch im Bereich der Körperverletzungsdelikte, ausgeht. Das Verhalten des Klägers in der Vergangenheit, aus dem hinsichtlich der Wiederholungsgefahr Rückschlüsse zu ziehen sind, legt eine hohe Rückfallgefahr nahe: So hat der Kläger von Jugend an seit dem Jahr 2003 eine Vielzahl von Straftaten, insbesondere im Bereich der Eigentums-, Vermögens-, Verkehrs-, aber auch der Körperverletzungsdelikte mit stetig steigender Delinquenz begangen. Er wurde bereits 13 Mal strafrechtlich verurteilt, zuletzt zu einer Freiheitstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Betrugs in vier Fällen in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung unter Einbeziehung des vorangegangenen Urteils wegen gewerbsmäßigen Betrugs in fünf tatmehrheitlichen Fällen. Wegen exakt derselben Betrugsmasche, nämlich des Angebots von Waren auf Internetplattformen unter Vortäuschung der Lieferwilligkeit und Lieferfähigkeit wurde der Kläger bereits mit Urteilen des Amtsgerichts … vom … Januar 2011 und … Januar 2013 zu Freiheitsstrafen in Höhe von 12 Monaten bzw. zwei Jahren jeweils zur Bewährung verurteilt, ohne dass ihn dies veranlasst hätte, derartige Betrugsdelikte aufzugeben. Vielmehr hat er nur eine Woche nach der Verurteilung vom … Januar 2011 mit der Begehung der der Verurteilung vom … Januar 2013 zugrundeliegenden Taten begonnen und seine Betrugsmasche weiter professionalisiert. Insgesamt wurde der Kläger neben verschiedenen Arresten zu Freiheitsstrafen in Höhe von sieben Jahren und acht Monaten sowie zu Geldstrafen in Höhe von 100 Tagessätzen verurteilt. Dabei wurde er bereits viermal zu Freiheitsstrafen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, ohne dass ihn dies von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten hätte. Vielmehr ist der Kläger sogar wiederholt während offener Bewährung erneut straffällig geworden und somit als mehrfacher Bewährungsversager einzustufen. Dass der Kläger bedenkenlos der Befriedigung seiner Bedürfnisse Vorrang vor der Achtung der Rechtsordnung einräumt, zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Auch Arrest- und eine mehr als einjährige Hafterfahrung konnte den Kläger nicht zu rechtstreuem Verhalten bewegen, ebenso wenig eine ausländerrechtliche Verwarnung. Zudem hat der Kläger Schulden in Höhe von 165.000,- Euro, so dass die Gefahr besteht, dass der Kläger auch in Zukunft versuchen wird, seine finanziellen Probleme durch Eigentums- und Betrugsstraftaten zu lösen. Dass sich der Kläger im beschützten Umfeld des Strafvollzugs bislang beanstandungsfrei führt und die Angebote der JVA erfolgreich wahrnimmt, lässt die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Auch hat sich der Kläger bereits in der Vergangenheit geständig gezeigt und den Versuch der Schadenswiedergutmachung unternommen, nur um kurz darauf dieselbe Betrugsmasche erneut anzuwenden. Eine ernsthafte Abkehr von seinem bisherigen kriminellen Tun kann seinem angepassten Verhalten daher nicht gesehen werden. Überdies besteht nach Auskunft der JVA … und des Klägerbevollmächtigten beim Kläger eine Alkohol- und Spielsuchtproblematik. In Fällen, in denen Straftaten aufgrund einer bestehenden Suchtproblematik begangen worden sind, geht die Rechtsprechung regelmäßig davon aus, dass die konkrete Wiederholungsgefahr erst entfällt, sobald der Kläger eine Therapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftigen straffreien Verhaltens auch nach dem Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2014 – 10 ZB 13.71 – juris Rn. 6 m.w.N.). Zwar hat der Kläger die Absicht, eine Alkohol- und Spielsuchttherapie zu absolvieren. Faktisch hat er diese bislang aber noch nicht einmal begonnen, geschweige denn abgeschlossen. Auch die von der JVA … als erforderlich erachtete sozialtherapeutische Behandlung seiner impulsiv-aggressiven Delinquenz bzw. die Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bislang nicht erfolgt. Nach alledem besteht eine erhebliche Gefahr, dass der Kläger insbesondere im Bereich der Eigentums-, Vermögens- und Körperverletzungsdelikte erneut straffällig wird.
b) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG zu treffende Abwägung ergibt, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
§ 53 AufenthG gestaltet die Ausweisung als Ergebnis einer umfassenden, ergebnisoffenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus. Sofern das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt, ist die Ausweisung rechtmäßig. In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind die in §§ 54, 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Neben den dort explizit aufgeführten Interessen sind aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar. Die Katalogisierung in den §§ 54, 55 AufenthG schließt die Berücksichtigung weiterer Umstände nicht aus (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Die Aufzählung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien ist aber nicht abschließend (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Es sind für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung maßgeblich auch die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen (vgl. nur EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner, Nr. 46410/99 – juris; EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476-481). Hiernach sind vor allem die Art und die Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthaltes in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das seitherige Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen, die familiäre Situation des Ausländers, ob zu der Familie Kinder gehören und welches Alter diese haben, sowie die Ernsthaftigkeit der Schwierigkeiten, welche die Familienangehörigen voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wären, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder und die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland zu berücksichtigen (VG Oldenburg, U.v. 11.1.2016 – 11 A 892/15 – juris Rn. 24).
Im Fall des Klägers besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Denn er wurde mit Urteil des Amtsgerichts … vom … September 2018 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Bei der nach § 53 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Abwägung zwischen Ausweisungs- und Bleibeinteresse überwiegt bei Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien sowie aller sonstigen Umstände im Fall des Klägers das öffentliche Interesse an der Ausreise sein Bleibeinteresse. Die Ausweisung ist angesichts der Gesamtumstände und unter Berücksichtigung der Anforderungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig.
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Die Behörde darf nach Art. 8 Abs. 2 EMRK in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Da Art. 8 Abs. 2 EMRK eindeutig Ausnahmen von den in Art. 8 Abs. 1 EMRK zugesicherten Rechten vorsieht, kann aus Art. 8 Abs. 1 EMRK kein absolutes Recht auf Nichtausweisung abgeleitet werden (Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, Vor §§ 53-56 Rn. 96 ff.). Vielmehr bedarf es einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, in die sämtliche Aspekte des Einzelfalls einzustellen sind.
Nach der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG hat der Staat die Pflicht, die Familie zu schützen und zu fördern. Jedoch ergibt sich auch hieraus kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt (vgl. nur BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Vielmehr verpflichtet Art. 6 Abs. 1 und 2 GG die Ausländerbehörde wie auch die Gerichte, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Klägers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen bei der Entscheidung zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris – Rn. 16; BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Insofern beanspruchen die oben zu Art. 8 EMRK genannten Kriterien auch Geltung für die Beantwortung der Frage, ob der vorliegende Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG ist.
Die Ausweisung von Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist, kann den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen (BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 8/96 – juris Rn. 30). Obwohl der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, hier die Schule besucht, und in der JVA den qualifizierenden Mittelschulabschluss erreicht hat, er seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat und zahlreiche Verwandten hier leben, erscheint eine Verweisung auf ein Leben in der Türkei nicht unzumutbar. Der Kläger ist nicht derart irreversibel in die deutschen Lebensverhältnisse eingefügt, dass ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit unzumutbar wäre. Trotz seiner fast ausschließlichen Sozialisation im Bundesgebiet ist es angesichts der begangenen Vielzahl an schwerwiegenden Straftaten im Bereich der Eigentums-, Vermögens- und Gewaltdelikte und der von ihm auch weiterhin ausgehenden erheblichen Wiederholungsgefahr für den Kläger zumutbar, in das Land seiner Staatsangehörigkeit zu übersiedeln. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Integration des Klägers im Bundesgebiet ist zu berücksichtigen, dass er über keine gesicherte berufliche Position verfügt. Der Kläger hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Er ist in Deutschland nicht beruflich integriert, sondern war nur in unregelmäßig erwerbstätig. Nach dem Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung hat der Kläger vom 1. Januar 2005 bis 14. August 2008 mit Ausnahme ca. eines halben Jahres Arbeitslosengeld II bezogen, hat danach gut 1 ½ Jahre seine nicht abgeschlossene Ausbildung absolviert, war in den Jahren 2010 und 2011 lediglich einige Monate geringfügig beschäftigt und ist nach einer weiteren halbjährigen Ausbildungszeit vom 22. April bis 30. Juni 2013, vom 20. Oktober 2014 bis 10. April 2015, vom 1. April bis 11. Dezember 2017 sowie vom 3. April 2018 bis zu seiner aktuellen Inhaftierung mit jeweils größeren Unterbrechungen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen. Der Kläger beherrscht die Sprache seines Heimatlands jedenfalls insoweit, dass er etwaige Defizite, v.a. im schriftlichen Bereich, mit zumutbarer Anstrengung ohne Weiteres ausgleichen kann, so dass dem Aufbau einer Existenz in der Türkei daher auch keine unüberbrückbare sprachliche Barriere entgegensteht. Auch Sitten und Gebräuche seines Heimatlandes sind ihm aus Besuchsaufenthalten in der Türkei bekannt und wurden ihm sicherlich auch von seinen Eltern vermittelt. Er kann die ggf. noch vorhandenen kulturellen Hürden daher mit einiger – zumutbarer – Anstrengung überwinden und sich in sein Heimatland integrieren. Daher wird sich der Kläger in seinem Heimatland, insbesondere – angesichts seiner guten deutschen Sprachkenntnisse – in den Tourismusgebieten, eine neue Existenz aufbauen und für sich selbst sorgen können. Zwar ist vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK und des Art. 6 GG zu berücksichtigen, dass die Familienangehörigen des Klägers überwiegend in Deutschland leben und er guten Kontakt zu diesen pflegt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um die Kernfamilie des Klägers. Der Kläger ist ein 32-jähriger junger Mann und damit nicht mehr auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen. Den Kontakt zu seinen im Bundesgebiet lebenden Verwandten, insbesondere zu seinen Eltern und Geschwistern, kann der Kläger auch von der Türkei aus über Telekommunikationsmittel und Besuchsaufenthalte aufrechterhalten, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden sein mag. Zudem besteht auch die Möglichkeit der Erteilung von Betretenserlaubnissen (§ 11 Abs. 8 AufenthG). Dass die Eltern des Klägers auf dessen Unterstützung angewiesen wären, ist auch unter Berücksichtigung der Erkrankungen der Eltern nicht ersichtlich, zumal der sich in Haft befindliche Kläger auch derzeit keine Unterstützung leisten kann. Soweit die Eltern des Klägers tatsächlich der Unterstützung bedürfen, ist es angesichts der erheblichen Straffälligkeit des Klägers dessen in Deutschland lebenden Verwandten zuzumuten, diese ohne Inanspruchnahme des Klägers zu organisieren. Der Beziehung zu seiner Verlobten kann keine wesentliche Bedeutung beigemessen werden, nachdem insoweit nicht ersichtlich ist, dass bereits die vollständigen Unterlagen beim Standesamt vorgelegt wurden, was gegen die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung und den besonderen Schutz nach Art. 6 Abs. 1 GG spricht (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris Rn. 10 f.). Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre das Gewicht dieser Ehe relativiert, weil die Ehe erst im Wissen um die Straftaten und die bereits erfolgte Ausweisung, somit im Wissen um eine unsichere Aufenthaltsperspektive, geschlossen würde (BayVGH, B.v. 5.11.2018 – 10 ZB 18.1710 – juris Rn. 18; B.v. 9.5.2019 – 10 ZB 19.317 – juris). Dem Umstand, dass der Kläger in der Vergangenheit die Möglichkeit gehabt hätte, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, kann keine Bedeutung beigemessen werden, da er hiervon keinen Gebrauch gemacht hat und seither schwerwiegend strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
Vor diesem Hintergrund, unter Berücksichtigung der Vielzahl und Schwere der vom Kläger begangenen Taten und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr fällt die nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu treffende Gesamtabwägung zu Lasten des Klägers aus. Das Ausweisungsinteresse überwiegt das Bleibeinteresse. Die Ausweisung steht auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, da sie gesetzlich vorgesehen ist (§ 53 Abs. 1 AufenthG) und einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, nämlich die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten, verfolgt. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden, zumal der Kläger in der Vergangenheit durch zahlreiche Bewährungsstrafen und eine ausländerrechtliche Verwarnung bereits mehrfach die Chance hatte, zu einem rechtstreuen Verhalten zurückzukehren. Im Ergebnis ist die Ausweisung des Klägers daher verhältnismäßig und rechtmäßig und zur Wahrung des mit ihr verfolgten Interesses unerlässlich.
2. Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots beruht auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 2 des angegriffenen Bescheids in der durch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung geänderten Fassung auf fünf Jahre im Falle nachgewiesener Straffreiheit, anderenfalls auf sieben Jahre ist rechtmäßig.
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG von Amts wegen zu befristen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Frist soll in diesem Fall zehn Jahre nicht überschreiten. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen; dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Diese vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze (BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12- juris Rn. 32; U.v. 13.12.2012 – 1 C 14/12 – InfAuslR 2013, 141 Rn. 13 ff.; U.v. 14.5.2013 – 1 C 13/12 – NVwZ-RR 2013, 778 Rn. 32 f.) gelten auch im Rahmen der geänderten Fassung des § 11 AufenthG fort (BayVGH, B.v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – Rn. 50).
Gemessen an diesen Vorgaben ist eine Befristung auf fünf Jahre bei nachgewiesener Straffreiheit, anderenfalls auf sieben Jahre, nicht zu beanstanden. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich. Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannte Höchstfrist ist vorliegend bedeutungslos, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen wurde. Die behördliche Entscheidung hält sich in dem von § 11 Abs. 5 AufenthG festgelegten Rahmen. Die Beklagte hat zutreffend das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck sowie die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers berücksichtigt. Angesichts des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Wiederholungsgefahr wäre – ohne Berücksichtigung der familiären und persönlichen Bindungen des Klägers an das Bundesgebiet – auch eine höher bemessene Frist zur Erreichung des Zwecks der Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt. Da sich die Frist aber an den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK messen lassen muss, ist unter Berücksichtigung der familiären und persönlichen Bindungen des Klägers eine Frist von fünf Jahren unter o.g. Bedingungen, anderenfalls von sieben Jahren, nicht zu beanstanden. Gegebenenfalls bestehende besondere Härten können durch die Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 8 AufenthG gemildert werden.
3. Die Abschiebung unmittelbar aus der Haft ergibt sich aus § 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 AufenthG. In diesem Fall bedarf es keiner Fristsetzung nach § 59 Abs. 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist für den Fall, dass er vor Durchführung der Abschiebung aus der Haft entlassen wird, ergeben sich aus §§ 58 Abs. 1 und 59 Abs. 1 AufenthG und sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
Auch war die Türkei in der Abschiebungsandrohung nicht gem. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als Staat zu bezeichnen, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf. Die Beklagte hat zwar grundsätzlich vor Erlass der Abschiebungsandrohung unter Beteiligung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt; § 72 Abs. 2 AufenthG) zu prüfen, ob zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG vorliegen. Nach Stellung eines Asylantrags obliegt jedoch gem. § 24 Abs. 2 AsylG auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt, allein dem Bundesamt.
Der Kläger hat vorliegend sinngemäß geltend gemacht, dass ihm in der Türkei wegen des Engagements seiner Mutter als Vorstand des politisch-engagierten türkischen Vereins „… …“ Verfolgung und eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben bzw. eine grausame und unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK drohe. Er macht damit eine Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG bzw. eine erhebliche Gefahr i.S.d. § 4 AsylG geltend.
Zwar hat der Kläger keinen förmlichen Asylantrag gem. § 14 AsylG gestellt. Eine Pflicht zur Stellung eines förmlichen Asylantrags besteht auch nicht. Maßgeblich ist hier jedoch der weite Antragsbegriff des § 13 Abs. 1 AsylG (Funke-Kaiser in Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Stand: April 2020, § 60a AufenthG Rn. 127). Ein Ausländer, der behauptet, ihm drohten aus politischen Gründen Menschenrechtsverletzungen bzw. ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG, aber trotz dieses formlosen Nachsuchens um Asyl (§ 13 Abs. 1 AsylG) keinen förmlichen Asylantrag gem. § 14 AsylG stellt, begibt sich damit gleichwohl in die Prüfungszuständigkeit des Bundesamts und kann nicht geltend machen, er begehre lediglich isoliert einen in die Zuständigkeit der Ausländerbehörde fallenden Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG (Treiber in Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand: Mai 2020, § 13 AsylG Rn. 56). Stellt er keinen förmlichen Asylantrag, bleiben die Verfolgungsgründe ungeprüft, und zwar auch insoweit als zugleich möglicherweise Abschiebungsverbote i.S.d. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erfüllt sein könnten (Funke-Kaiser in Fritz/ Vormeier, GK-AufenthG, Stand: April 2020, § 60a AufenthG Rn. 248). Aus der eindeutigen Kompetenzzuordnung an das Bundesamt für die Prüfung auch nur potentiell asylrelevanter Verfolgungsgründe und in diesem Zusammenhang auch von Abschiebungsverboten sowie der Bindungswirkung des § 6 AsylG folgt eindeutig, dass für die Entscheidung, ob Ausländern Abschiebungsschutz wegen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanter Maßnahmen bei Rückkehr zu gewähren ist, allein das Bundesamt sachlich zuständig ist, auch wenn diese Maßnahmen zugleich die Qualität eines Eingriffs i.S.d. § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG haben. Der Ausländer hat es nicht in der Hand, bei Vortrag eines Lebenssachverhalts, der politische Verfolgung oder eine Maßnahme i.S.d. § 4 AsylG darstellen kann, durch die Unterlassung bzw. die Weigerung, einen förmlichen Asylantrag zu stellen, über die Zuständigkeit des Bundesamts zu disponieren (Funke-Kaiser in Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand: Mai 2020, § 6 AsylG Rn. 14.1). Es besteht insofern kein Wahlrecht des Ausländers zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland. § 13 Abs. 1 AsylG ist vielmehr zur Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens sowie auch zum Ausschluss von Verfahrensverzögerungen durch nachgeschaltete Asylanträge geschaffen worden. Danach ist derjenige Schutzsuchende, der sich materiell auf Asylgründe beruft, zwingend auf das – alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende (vgl. BVerwG, U.v. 18.1.1994 – 9 C 48.92 – juris) – Asylverfahren zu verweisen und hiermit ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt zu befassen. Die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesamtes kann sich mithin nicht nur aus der Stellung eines formellen Antrages ergeben, sondern auch aus der Geltendmachung eines materiellen Asylbegehrens. Maßgeblich für die Abgrenzung der Zuständigkeiten bei der Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote ist somit, ob der Ausländer – wie hier – die Feststellung aufgrund behaupteter Verfolgungsgefahren (Zuständigkeit des Bundesamtes) oder aus verfolgungsunabhängigen, rein humanitären Gründen (Zuständigkeit der Ausländerbehörde) begehrt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 29.3.2011 – 8 LB 121/08 – juris; BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11.08 – juris; BVerwG, B.v. 3.3.2006 – 1 B 126.05 – juris; OVG Saarland, B.v. 20.3.2008 – 2 A 33/08 – juris). Die vom Kläger vorgebrachten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote waren daher durch die Beklagte nicht zu prüfen. Es obliegt dem Kläger, diese ggf. in einem Asylverfahren geltend zu machen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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