Verwaltungsrecht

Umfassende Zuständigkeit des BAMF für die Prüfung von Abschiebungshindernissen und Vollzugshindernissen

Aktenzeichen  M 12 E 17.835

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60a
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7, § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

Im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ist es allein Aufgabe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse der Abschiebung entgegenstehen. Für eine eigenen Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Prüfung von Abschiebungshindernissen bzw. Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG verbleibt kein Raum. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die 19… geborene Antragstellerin ist ukrainische Staatsangehörige.
Sie reiste am … Dezember 2015 zusammen mit ihrem – nach eigenen Angaben – Ehemann in das Bundesgebiet ein. Beide stellten am 6. Mai 2016 Asylantrag. Nachdem eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die Eheleute mit einem gültigen polnischen Visum über Polen eingereist waren, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Übernahmeersuchen an Polen, dem zugestimmt wurde. Daraufhin lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin und den ihres Ehemannes mit Bescheid vom 15. September 2016 jeweils als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen und ordnete ihre Abschiebung nach Polen an.
Auf die weiteren Regelungen sowie die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin und ihr Ehemann erhoben am … September 2016 über ihren Bevollmächtigten Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 15. September 2016 (Az. M 1 K 16.50758); unter anderem wurden Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG geltend gemacht. Hierzu wurden mit Schreiben vom … September 2016 ärztliche Berichte vorgelegt. In einer zusammenfassenden Stellungnahme der allgemeinärztlichen Gemeinschaftspraxis F. vom … September 2016 wurde dargelegt, dass die Antragstellerin unter einer psychischen Grunderkrankung leide. Aus einem Arztbrief des Klinikums I* … geht hervor, dass bei ihr eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtige schwere Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert wurde.
Über die Klage ist noch nicht entscheiden.
Einen zugleich gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO lehnte des Gericht mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 ab (Az. M 1 S. 16.50759). Dort stellte es u.a. fest, dass weder bei der Antragstellerin noch bei ihrem Ehemann inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vorlägen. Die Erkrankung der Antragstellerin könne auch in Polen behandelt werden. Auch sei nicht konkret dargelegt worden, aus welchen medizinischen Gründen eine Reiseunfähigkeit oder Gefahr einer schweren gesundheitlichen Gefährdung bestehe, so dass es an der Glaubhaftmachung im Sinne von § 60 Absatz 2c AufenthG fehle. Aus dem Arztbrief des Klinikums I* … vom … September 2016 ergebe sich, dass die beschriebenen psychischen Einschränkungen weder die Gefahr einer Selbsttötung erkennen lassen, noch eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Falle einer Überstellung nach Polen zu erwarten sei. Auf die Ausführungen in der gerichtlichen Entscheidung vom 19. Oktober 2016 im Verfahren Az. M 1 S. 16.50759 wird verwiesen.
Die zentrale Ausländerbehörde des Antragsgegners bei der Regierung von Oberbayern betreibt nunmehr das Rückführungsverfahren der Antragstellerin nach Polen; die Rückführung ist nach ihren Angaben für den 20. März 2016 vorgesehen.
Mit Telefax ihres Bevollmächtigten vom … Februar 2017 hat die Antragstellerin nunmehr beim Verwaltungsgericht München nach § 123 VwGO beantragen lassen, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bei der Antragstellerin eine amtsärztliche Untersuchung im Hinblick auf ein mögliches inländisches Vollstreckungshindernis vornehmen zu lassen.
Im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Abschiebung in die Ukraine (richtig: Polen) wird Eilbedürftigkeit geltend gemacht. Ein Anordnungsanspruch folge aus dem Recht der Antragstellerin auf effektiven Rechtschutz sowie aus Art. 1 und 2 GG.
Die Antragstellerin sei vom … September 2016 bis … Februar 2017 im Klinikum I* …, Zentrum für psychische Gesundheit, wegen rezidivierend depressiver Störung in stationärer Behandlung gewesen. Am 5. Dezember 2016 habe die behandelnde Ärztin in einem Attest ausgeführt, es könne rasch zu einer Dekompensation des Zustandes der Antragstellerin kommen. Das Klinikum I* … habe kurz vor der Entlassung einen umfassenden Bericht verfasst. Der Antragsgegner negiere die sich daraus ergebenden Anhaltspunkte für ein inländisches Vollstreckungshindernis und sei nicht bereit, eine entsprechende amtsärztliche Untersuchung vornehmen zu lassen.
Aus dem der Antragsschrift in Kopie beigefügten Arztbrief des Klinikums I* … vom … Januar 2017 geht hervor, dass bei der Antragstellerin eine bekannte rezidivierend depressive Störung, derzeit schwere depressive Episode (ICD-10; F 33.2) diagnostiziert werde. Die Antragstellerin sei mit einem depressiven Syndrom im Rahmen der rezidivierend depressiven Störung zur erneuten psychiatrischen Behandlung auf die offen geführte Station … aufgenommen worden. Laborchemisch habe sich ein unauffälliger Befund gezeigt. Ab der 16. Woche sei eine Besserung der depressiven Symptomatik und teils eine Reduktion der Stimmungsschwankungen eingetreten, so dass die Antragstellerin am 20. Januar 2017 in gebessertem Zustand bei fehlenden Hinweisen auf akute Selbst- oder Fremdgefährdung in ihre gewohnte Umgebung entlassen werden konnte. Die Antragstellerin distanziere sich von akuter Suizidalität. Um zumindest eine Dekompensation zu verhindern, sei geplant, die Antragstellerin weiterhin ambulant psychotherapeutisch in der PIA des Klinikums zu behandeln, regelmäßige Labor und EKG-Kontrollen unter Psychopharmaka durchzuführen und die Entlassungsmedikation weiterzuführen. Bei der Entlassung wurden der Antragstellerin sechs verschiedene Medikamente zur Einnahme verschrieben.
Zudem ließ die Antragstellerin ein ärztliches Attest der sie behandelnden Assistenzärztin aus dem Klinikum I* … vom *. Dezember 2016 vorlegen, aus dem sich ergibt, dass aktuell der Zustand der Antragstellerin relativ stabil sei, auch bezüglich der Suizidalität. Zu befürchten sei allerdings, dass es bei den akzentuierten Persönlichkeitszügen der Antragstellerin rasch zu einer Dekompensation des Zustandes im Fall, dass die Antragstellerin mit negativen und für sie belastenden Ereignissen (zum Beispiel Abschiebebescheid) konfrontiert werde, kommen könne, was zu einem impulsiven Handeln ohne Berücksichtigung der Konsequenz, zum Beispiel einem Suizidversuch führen, könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Mit ihrem Antrag begehrt die Antragstellerin die Verpflichtung des Antraggegners im Wege des einstweiligen Rechtschutzes, die Reisefähigkeit der Antragstellerin amtsärztlich untersuchen zu lassen. Letztlich wird damit das Ziel verfolgt, bis zur Klärung der Reisefähigkeit die Abschiebung der Antragstellerin nach Polen auszusetzen.
2. Der Antrag nach § 123 VwGO gegen den Antragsgegner ist unzulässig.
Das Bundesamt hat den Asylantrag der Antragstellerin im Rahmen eines Verfahrens nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – sog. Dublin III-Verordnung – mit Bescheid vom 15. September 2016 als unzulässig abgelehnt, gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ihre Abschiebung nach Polen angeordnet und dabei auch festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
Nach höchstrichterlich bestätigter Rechtsprechung ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 a Abs. 1 AsylG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift allein Aufgabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Prüfung von Abschiebungshindernissen bzw. zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegenden, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 11, 12 m.w.N.).
Nachdem das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 (Az. M 1 S. 16.50759) einen Eilantrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 15. September 2016 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt hat, sind etwaige geänderte Umstände – hier in Bezug auf die Reisefähigkeit der Antragstellerin – in einem Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO geltend zu machen. Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist mit Blick auf § 123 Abs. 5 VwGO subsidiär.
3. Richtiger Antragsgegner eines solchen Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO wäre vorliegend allerdings die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Selbst wenn man also das Rechtsschutzbegehren zu Gunsten der Antragstellerin abweichend vom Antragswortlaut als Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auslegt (§ 122, § 88 VwGO), wäre der Antrag unbegründet, da es dem Antragsgegner bereits an der Passivlegitimation entsprechend § 78 VwGO fehlt.
4. Nach alledem war der Antrag mit entsprechender Kostenfolge gemäß § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG, Nr. 1.5 bzw. 8.3 des Streitwertkatalogs.

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