Verwaltungsrecht

Umzulässiger Antrag auf Gestattung der Fortführung eines Gewerbebetriebes durch einen Stellvertreter

Aktenzeichen  AN 4 E 16.00662

Datum:
27.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 2, § 45
VwGO VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des vorliegenden Antrages nach § 123 VwGO ist eine beim Ordnungsamt der Antragsgegnerin nach vorangegangener Gewerbeuntersagung beantragte Gestattung zur Fortführung eines Gewerbebetriebes durch einen Stellvertreter (§ 35 Abs. 2 i. V. m. § 46 GewO).
Die Antragstellerin meldete zum 16. November 2010 bei der Antragsgegnerin das Gewerbe „Handel, An- und Verkauf, Im- und Export von gebrauchten Kraftfahrzeugen, Kfz-Zulassungsdienst“ an.
Mit Bescheid vom 4. September 2014 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter Bezugnahme auf § 35 Abs. 1 GewO das ausgeübte Gewerbe und setzte der Antragstellerin eine Frist zur Auflösung des Gewerbebetriebes von einer Woche ab Unanfechtbarkeit des Bescheides. Zur Begründung ihres Bescheides führte die Antragsgegnerin u. a. aus: Gegen die Antragstellerin seien zwei Strafbefehle wegen Vergehen nach § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG ergangen, mit denen sie jeweils zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen verurteilt worden sei. Weiterhin sei die Antragstellerin gewerberechtlichen Auskunftspflichten bzw. Anzeigepflichten nicht nachgekommen.
Die von der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. September 2014 erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 8. Dezember 2015, AN 4 K 14.01623, als unbegründet abgewiesen. Der diesbezüglich von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 6. April 2016, 22 ZB 16.366, als unbegründet abgelehnt.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 18. April 2016, eingegangen bei der Antragsgegnerin laut Eingangsstempel am 20. April 2016, ließ die Antragstellerin beantragen, ihr die Fortführung des von ihr bislang betriebenen Gewerbes durch einen Stellvertreter bzw. eine Stellvertreterin zu gestatten, nämlich durch Herrn …, geboren am …1964, hilfsweise durch Frau …, geboren am … 1984, höchsthilfsweise durch Frau …, geboren am … 1997. Hierzu ließ die Antragstellerin ausführen: Der primär benannte Herr … betreibe ein gleichgelagertes Gewerbe in …, so dass seine Geeignetheit als Stellvertreter außer Frage stehen dürfe. Bei der hilfsweise genannten Frau … handele es sich um eine Angestellte der Antragstellerin, die somit aufgrund ihres Fachwissens und Führungszeugnisses zur Stellvertretung derartig geeignet sei, dass sie auch kurzfristig (ohne Einarbeitung) selbstständig als Stellvertreterin handeln könne. Bei der höchsthilfsweise genannten Frau … handele es sich um die 18jährige Tochter der Antragstellerin, die das Gewerbe bereits kenne und somit auch ein Fachwissen mitbringen könne, um kurzfristig als Stellvertreterin eingesetzt werden zu können. Eine etwaige dauerhafte Auflösung bzw. Schließung des Gewerbebetriebes der Antragstellerin würde dieser ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage rauben, was in der Konsequenz ihre gesamte Familie betreffen würde. Aufgrund des Bescheides der Antragsgegnerin vom 4. September 2014 sei die Untersagung der Gewerbeausübung für die Antragstellerin bereits ein zu harter Eingriff und auch jetzt noch als unverhältnismäßig zu bezeichnen.
Das Ordnungsamt der Antragsgegnerin bestätigte dem anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Telefax vom 21. April 2016 den Eingang des Fortführungsantrages und machte Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Gestattung und die diesbezüglich noch erforderlichen behördlichen Ermittlungen. Aufgrund des Umfangs und der Komplexität des Verfahrens sei eine kurzfristige Entscheidung keinesfalls möglich. Es werde daher unvermeidbar sein, dass die Antragstellerin aufgrund der rechtskräftigen und vollziehbaren Gewerbeuntersagung den Betrieb fristgerecht einstelle.
Gemäß Aktenvermerk des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin vom 21. April 2016 wurde der Antragstellerin durch das Rechtsamt der Antragsgegnerin eine Abwicklungsfrist bis 22. April 2016 gewährt mit dem Hinweis, dass eine Verlängerung dieser Frist nicht vorgenommen werde.
Mit ebenfalls am 21. April 2016 beim Verwaltungsgericht per Telefax eingegangenem anwaltlichem Schriftsatz gleichen Datums begehrt die Antragstellerin im Verfahren nach § 123 VwGO Folgendes:
„I.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin vom 18. April 2016, bezüglich der Gewerbefortführung durch einen Stellvertreter gemäß §§ 35 Abs. 2, 45 GewO, den Bescheid vom 9. April 2014 (…) nicht zu vollstrecken.
II.
Der Antragstellerin wird erlaubt, bis zu dem in Ziffer I genannten Zeitpunkt ihren Gewerbebetrieb durch eine der im Antrag vom 18. April 2016 genannten Personen, d. h. Herrn …, …-straße …, …, Frau …, …-straße …, … oder Frau …, …-straße …, … fortzuführen.
III.
Hilfsweise, sofern die im Antrag vom 18. April 2016 genannten Personen aus Sicht des Gerichts für eine stellvertretungsweise Führung nicht in Betracht kommen sollten, wird beantragt, dass die Antragstellerin selbst ihren Gewerbebetrieb einstweilen fortführen darf, bis zu dem in Ziffer I genannten Zeitpunkt.“
Zur Begründung wird u. a. ausgeführt: Aufgrund der bereits am Montag, den 25. April 2016 ablaufenden Frist für die Gewerbeauflösung bestehe eine besondere Eilbedürftigkeit. In materiellrechtlicher Hinsicht sei darauf hinzuweisen, dass eine vollständige Auflösung des Gewerbebetriebs am 25. April 2015 zwangsläufig zum wirtschaftlichen Existenzverlust führen würde. Vor allem der enorme Konkurrenzdruck unter den existierenden Zulassungsdiensten, die Kurzfristigkeit, mit der Aufträge eingingen und die hohe Geschwindigkeit, mit der Aufträge abgearbeitet werden müssten, würden dazu führen, dass bei einer völligen Schließung bzw. Auslösung des Gewerbebetriebes dieser bereits nach wenigen Tagen bzw. Wochen gewissermaßen in Vergessenheit gerate. Dadurch werde das Recht der Antragstellerin gemäß § 35 Abs. 2 GewO vereitelt. Indem es die Antragsgegnerin unterlassen habe, den Sofortvollzug der Gewerbeuntersagung anzuordnen, habe sie selbst eingeräumt, dass eine unmittelbare Einstellung der Tätigkeit der Antragstellerin nicht erforderlich sei. Abschließend sei zu betonen, dass es mit dem vorliegenden Eilantrag nicht darum gehe, die gemäß § 35 Abs. 1 GewO getroffene Entscheidung bezüglich der Antragstellerin nochmals in Frage zu stellen, sondern ausschließlich darum, das Recht der Antragstellerin gemäß § 35 Abs. 2 GewO vorläufig zu sichern und ihr dadurch die wirtschaftliche Existenz zu erhalten.
Die Antragsgegnerin erwiderte hierauf mit Telefax vom 25. April 2016.
Sie begehrt die Ablehnung des Antrages nach § 123 VwGO.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch seien hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Der statthafte Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Verfahren nach § 123 VwGO ist unbegründet und daher abzulehnen.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, d. h. den sogenannten Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, d. h. den sogenannten Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der vorliegende Antrag nach § 123 VwGO ist bereits deshalb abzulehnen, weil ein Anordnungsgrund im oben genannten Sinn, d. h. ein besonderes Eilbedürfnis, nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht ist. Das Gericht schließt sich der von der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung vorgetragenen Rechtsauffassung an, dass es sich die Antragstellerin selbst zuzuschreiben hat, wenn sie ihren Antrag auf Gestattung der Fortführung des Gewerbes durch einen Vertreter gemäß § 35 Abs. 2 GewO erst an dem Tag bei der Antragsgegnerin gestellt hat, als die im Untersagungsbescheid vom 4. September 2014 gesetzte Abwicklungsfrist (eine Woche ab Unanfechtbarkeit des Bescheids; der o.g. Beschluss des BayVGH v. 6.4.2016 wurde der Antragstellerin nach Angaben ihrer anwaltlichen Bevollmächtigten am 11.4.2016 zugestellt) auslief. Es wird nichts dargetan und ist nicht ersichtlich, dass bzw. weshalb von ihr ein entsprechender Antrag auf Gestattung der Fortführung des Gewerbes durch einen – gewerberechtlich zuverlässigen (vgl. § 45 GewO) – Vertreter nicht schon so rechtzeitig bei der Antragsgegnerin hätte gestellt werden können, dass der Antragsgegnerin vor bzw. ohne Einleitung eines Verfahrens nach § 123 VwGO ausreichend Zeit dazu verblieben wäre, die erforderlichen Prüfungen, insbesondere hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des benannten Vertreters bzw. einer der hilfsweise benannten Vertreterinnen und deren Unabhängigkeit von der Antragstellerin durchzuführen. Der vorliegende Antrag nach § 123 VwGO zielt somit in der Sache – unzulässigerweise – darauf ab, dass letztlich das Verwaltungsgericht die – jedoch primär von der Antragsgegnerin vorzunehmende – Prüfung der materiellen Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 und § 45 GewO selbst durchzuführen bzw. das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens vorwegzunehmen habe.
Unabhängig hiervon hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsanspruch im oben genannten Sinn, d. h. das voraussichtliche Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs, nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht. Gemäß § 35 Abs. 2 GewO i. V. m. § 45 GewO „kann“ dem Gewerbetreibenden auf seinen Antrag hin von der zuständigen Behörde gestattet werden, den Gewerbebetrieb durch einen Stellvertreter fortzuführen, wobei dieser Stellvertreter jedoch die Gewähr für eine ordnungsgemäße Führung des Gewerbebetriebes bieten muss und den für das in Rede stehende Gewerbe insbesondere vorgeschriebenen Erfordernissen genügen muss.
Hierzu gehört auch, dass zu erwarten ist, dass der Stellvertreter unabhängig von dem Gewerbeinhaber agieren kann und wird.
Nach herrschender Meinung steht die Erteilung der Gestattung der Gewerbefortführung durch einen Stellvertreter nach § 35 Abs. 2 GewO im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. etwa Marcks in: Landmann-Rohmer, GewO, § 35, Rn. 128 ff., m. w. N.; Heß in: Friauf, Komm. zur GewO, § 35, Rn. 545 f., m. w. N.). Dies ergibt sich allein schon aus der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung in § 35 Abs. 2 GewO, dass die Gestattung unter bestimmten Voraussetzungen erteilt werden „kann“. Eine solche Formulierung wird im Verwaltungsrecht in aller Regel dahin verstanden, dass die betreffende Entscheidung in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellt werden soll, dessen Ausübung nur im eingeschränkten Rahmen nach § 114 Satz 1 VwGO verwaltungsgerichtlich überprüft werden kann. Im Übrigen wird in der amtlichen Begründung zum Ersten Gesetz zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts (BTDrs. 10/1232, 75) die Stellvertretererlaubnis nach § 35 Abs. 2 GewO ausdrücklich als Verwaltungsakt bezeichnet, der nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen wird (vgl. hierzu ausdrücklich Marcks a. a. O., Rn. 129). Dieser Einschätzung der Rechtslage schließt sich das Gericht nach summarischer Überprüfung für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren an. Somit könnte ein Anordnungsanspruch im oben genannten Sinne nur dann anerkannt werden, wenn von einer sogenannten Ermessensreduzierung „auf Null“ auszugehen wäre. Hiervon kann vorliegend jedoch, auch im Hinblick auf die in Kopie vorgelegte Gewerbeanmeldungsbestätigung für Herrn …, keine Rede sein. Die Ausübung eines stehenden Gewerbes ist nämlich grundsätzlich – vorbehaltlich gesetzlich besonders geregelter Fälle (vgl. etwa §§ 34a ff. GewO) – nicht von einer erfolgreich durchgeführten vorherigen gewerberechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung abhängig, vielmehr genügt grundsätzlich eine schlichte Anzeige der gewerblichen Tätigkeit nach § 14 GewO. Demgegenüber ist im hier vorliegenden Fall des Antrags auf Gestattung der Fortführung eines – zumal bestandskräftig untersagten – Gewerbes durch einen Stellvertreter eine vorherige Prüfung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des in Aussicht genommenen Stellvertreters erforderlich (§ 35 Abs. 2 i. V. m. § 45 GewO).
Selbst wenn es sich jedoch bei der Entscheidung nach § 35 Abs. 2 i. V. m. § 45 GewO um eine gebundene Rechtsentscheidung handeln würde, wäre keine anders lautende Entscheidung im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren veranlasst, zumal, wie oben dargelegt, die vorgelegte Gewerbeanmeldebestätigung für Herrn … keine ausreichenden Rückschlüsse auf dessen gewerberechtliche Zuverlässigkeit zulässt.
Nach alledem ist der Antrag nach § 123 VwGO mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Auch für eine Untersagung von Vollstreckungsmaßnahmen aus dem unanfechtbar gewordenen Gewerbeuntersagungsbescheid ist kein Raum (Ziffer I des Antrages).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, wobei das Gericht dem Vorschlag in Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 folgt.

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