Verwaltungsrecht

unbegründete Asylklage – Einzelfall

Aktenzeichen  M 30 K 19.34400

Datum:
16.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30474
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 1
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Bei einer Rückkehr nach Sierra Leone droht wegen der dort (noch) grassierenden Ebola-Epidemie nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes vom 22. November 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Die Ablehnung insoweit durch das Bundesamt als offensichtlich unbegründet ist zudem nicht zu beanstanden. Ebenso liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Abschiebung des Klägers nach Sierra Leone vor.
1. Soweit das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet i. S.v. § 30 Abs. 1 AsylG abgelehnt hat, ist dies – wie bereits im Beschluss vom 2. Januar 2020 ausgeführt – nicht zweifelhaft.
Der Kläger hat beim Bundesamt keinerlei Aspekte vorgetragen, die diesbezüglich asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich nach §§ 3 ff. AsylG bzw. Art. 16a GG erheblich sein könnten. Das Bundesamt hat dies in der Bescheidsbegründung zutreffend dargestellt. Auf die Ausführungen wird daher gemäß § 77 Abs. 2 AsylG ergänzend Bezug genommen. Auch der schriftlichen Klagebegründung lassen sich keine Ausführungen mit flüchtlingsschutzrechtlicher Relevanz entnehmen.
Der Kläger hat Sierra Leone seinen Angaben nach bereits am 25. August 2015 verlassen, um im Ausland zu arbeiten, nachdem seine Eltern und eine Schwester im Jahre 2015 an Ebola verstorben seien. Er nahm zunächst Arbeit auf einer Baustelle in Guinea an, bevor er seinen Angaben zufolge im Jahre 2017 dann weiter in den Senegal ging, um dort zu fischen. Offensichtlich hat der Antragsteller damit aber Sierra Leone im August 2015 aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Als am 14. August 2017 seine in Sierra Leone zurückgelassene Ehefrau und seine Tochter bei einer Überflutung ums Leben gekommen seien, habe er sich entschieden, nicht mehr zurückzukehren. Das Fehlen eines flüchtlingsschutzrelevanten Anknüpfungsmerkmals i. S.v. § 3b AsylG bzw. eines Akteurs i.S.v. §§ 4, 3c AsylG ist daher offensichtlich.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung (erstmalig) ausführte, durch seinen Namen bei einer Rückkehr nunmehr wegen politischer und ethnischer Spannungen im Land Probleme zu bekommen, da er dadurch der Gruppe der Gegner des Präsidenten zugeordnet würde, verfängt dies nicht. Zum einen ist der Vortrag schon wegen des späten Vorbringens kaum glaubhaft, sondern als gesteigert und Schutzbehauptung zu werten. Dies wird zudem dadurch gestützt, dass die Angaben sehr vage gehalten sind und sich trotz Nachfragen auch des Klägerbevollmächtigten allgemein, eher monoton und ohne substantiierte, detaillierte Angaben in der mündlichen Verhandlung wiederholten. Jedenfalls ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnissen über Sierra Leone gerade nicht, dass es dort derartige ethnische Spannungen gibt, bei der allein die Zugehörigkeit zu einem Stamm – und durch Namensführung ggf. eine entsprechende Zuordbarkeit von Personen zu diesem – flüchtlingsschutzrechtliche relevante Nachteile oder Bedrohungen nach sich ziehen würde. Dass Personen mit dem Namen „…“ in Sierra Leone Probleme mit der Regierung oder Polizei bekommen würde, weil ihnen eine Ablehnung des Präsidenten vorgeworfen würde, findet in den vorliegenden Erkenntnissen keinerlei Anhaltspunkte und ist unglaubhaft.
2. Auch die Ablehnung von Abschiebungsverboten im angegriffenen Bescheid ist rechtmäßig. Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten in der Klagebegründung lassen die individuellen Verhältnisse des Klägers vollständig außer Betracht und sind nicht geeignet, die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts in Zweifel zu ziehen.
Daher bestand keine Veranlassung den schriftlichen Beweisanregungen aus dem Klageschriftsatz nachzukommen.
a) Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Sierra Leone unmenschlichen Verhältnissen i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt würde und daher ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht käme.
Dabei verkennt das Bundesamt – ebenso wie vorliegend das Gericht – die allgemeine schlechte wirtschaftliche und soziale Lage in Sierra Leone nicht. Diese hat das Bundesamt sehr ausführlich dargestellt, worauf gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird.
Nach den individuellen Angaben des Klägers ist dessen wirtschaftliche Situation vor Ausreise aus Sierra Leone jedoch gut gewesen. Er hat monatlich 250.000 Leone durch seine Arbeit als Fischer und auf Baustellen verdient. Von dem Geld konnte sich der Kläger sogar ein Grundstück in den Bergen kaufen und ein Haus bauen, das allerdings bei der Überschwemmung im Jahre 2017 wohl auch weggerissen worden sei. Die Angaben des Klägers belegen, dass es ihm möglich war, nicht nur sein Existenzminimum in Sierra Leone zu sichern, sondern gute wirtschaftliche Verhältnisse für sich und seine Familie zu erlangen. Warum dem Kläger nun bei Rückkehr aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse in Sierra Leone nicht mehr gelingen sollte, zumindest existenzgesichert zu leben, vermag das Gericht in Übereinstimmung mit dem Bundesamt nicht zu erkennen. Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten, der Kläger müsse im Freien übernachten und das wenige Geld, sollte er überhaupt eines verdienen können, für die Unterkunft zahlen und hätte dann nichts Weiteres, um Lebensmittel zu erhalten, entbehren einer tatsächlichen individuellen Grundlage. Der Kläger kann schließlich nicht nur auf seine gute Schulbildung und berufliche Erfahrung als Fischer und auf Baustellen in Sierra Leone, sondern auch seine Berufserfahrung in Guinea, Senegal usw. zurückblicken. Einschränkungen in der Erwerbsfähigkeit des Klägers sind dabei nicht ersichtlich. Zudem leben in Sierra Leone noch die beiden Söhne des Klägers, auch wenn der Kläger zu diesen keinen Kontakt mehr haben mag, aber von ihrem Verbleib bei der Großmutter mütterlicherseits weiß. Dadurch hätte der Kläger zumindest eine erste Anlaufstelle bei Rückkehr nach Sierra Leone. Auch auf sich alleine gestellt, ist jedoch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Obdachlosigkeit und Unvermögen, seine Existenz zu sichern, beim Kläger auszugehen.
Die aktuelle Covid-19-Pandemie mit den diesbezüglich einhergehenden Einschränkungen steht dem (jedenfalls derzeit) nicht entgegen. Den allgemein zugänglichen Quellen ist nicht zu entnehmen, dass das öffentliche Leben in Sierra Leone derzeit derart eingeschränkt ist, dass es dem Kläger nicht möglich wäre, bei Rückkehr seine Existenz mit den elementaren Grundbedürfnissen zu sichern.
b) Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten zu einem bestehenden Risiko, bei Rückkehr an Ebola, dem Lassafieber oder Bilharziose zu erkranken, sind nicht geeignet, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen.
Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer – vorliegend nicht bestehenden – Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der gesunde Kläger nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 – 11 A 2468/14.A – juris Rn. 14). Dass der Kläger in derart erbärmlichen Umständen leben müsste, in denen ein erheblich erhöhtes Erkrankungsrisiko bestünde, ist gerade nicht erkennbar (s.o.).
Die Ebola – Epidemie in Sierra Leone wurde von der WHO am 7. November 2015 für beendet erklärt. Ein Aufflammen des Ebola – Virus im Januar 2016 ist nach Angaben der WHO am 17. März 2016 wiederum beendet worden. Ein verbleibendes Risiko durch Überleben des Virus in den Körpern von Überlebenden wird zwar attestiert. Eine derzeitig hinreichend beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit dem Ebola – Virus infiziert würde, besteht aber nicht.
Hierzu hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits im Jahre 2015 während der noch grassierenden Ebola-Epidemie ausgeführt, dem sich das Gericht vorliegend erst recht unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Sierra Leone anschließt:
„So setzt die Gewährung von Abschiebungsschutz aufgrund von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG voraus, dass dort für den betreffenden Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß Satz 2 dieser Bestimmung sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Fehlt – wie hier – eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG, kann der Kläger Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (vgl. OVG Münster, B.v. 17.12.2014 a.a.O. – juris Rn. 10 ff.; BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226, und v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.).
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt aber wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich daher zum einen einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung und damit zum andern auch einer grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit. Die drohenden Gefahren müssen jedenfalls nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist zudem von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist der Sache nach in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. OVG Münster, B.v. 17.12.2014 a.a.O. – juris Rn. 14 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerwG zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG a. F.).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Sierra Leone wegen der dort (noch) grassierenden Ebola-Epidemie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben drohen würde (ebenso für Guinea OVG Münster, B.v. 17.12.2014 a.a.O. – juris Rn. 16 ff.) Soweit der Kläger in seinem Zulassungsantrag unter Hinweis auf Presseberichte und Berichte von Hilfsorganisationen vorträgt, dass wegen der Ebolakrise das Gesundheitssystem in Sierra Leone zusammengebrochen sei, das Epizentrum der Epidemie sich nach Sierra Leone verlagert habe, in Sierra Leone jeder Distrikt von der Epidemie betroffen sei und die Ansteckungszahlen weiter stiegen, ist darauf zu verweisen, dass nach den einschlägigen aktuellen Quellen bezüglich der gegenwärtigen Situation in den westafrikanischen Ländern – was das Auftreten von Neuinfektionen mit dem Ebolavirus betrifft – zwar bezüglich Sierra Leone zweifellos noch keine Entwarnung gegeben werden kann, weil es dort immer noch zu Neuinfektionen kommt, die Zahl der Neuinfektionen gegenüber dem Höhepunkt der Seuche allerdings deutlich zurückgegangen ist (vgl. WHO Ebola Situation Report – 13 May 2015; WHO Ebola Situations Report – 22 July 2015; Ärzte ohne Grenzen „Fragen und Antwort zum Ebola-Ausbruch in Westafrika“ Stand: 17.7.2015). Auch die zweifellos viel zu spät angelaufene internationale Hilfe zur Bekämpfung der Seuche ist nach den vorliegenden Erkenntnisquellen mittlerweile deutlich verstärkt worden, so dass trotz des durch die Ebolaseuche stark in Mitleidenschaft gezogenen nationalen Gesundheitssystems die Auswirkungen nicht mehr ein Ausmaß erreichen, dass vom Vorliegen eines Abschiebungshindernisses im Sinne des § 60 Abs. 2, 5 und 7 AufenthG auszugehen wäre. Die Tatsache, dass insoweit die konkreten Umstände in Sierra Leone – auch was das örtliche Auftreten der Ebolainfektionen betrifft – ständigen Veränderungen unterliegen, macht im Übrigen auch deutlich, dass die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind.“
(BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 10-12)
c) Soweit sich der Kläger gegenüber dem Bundesamt darauf berufen hat, bei Rückkehr nach Sierra Leone psychische Probleme zu bekommen bzw. dass Deutschland ihn in psychischer Hinsicht auffange, vermag dies ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu begründen.
(1) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erfasst sind davon nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben‚ wenn diese sich im Heimatstaat wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert. Es ist aber nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Es kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben‚ die dazu führen‚ dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände‚ die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Von einer konkreten Gefahr ist in Krankheitsfällen dann auszugehen, wenn die erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris; BVerwG‚ U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – NVwZ 2007, 712).
Allerdings hat der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG soll diese ärztliche Bescheinigung insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Diese Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG an ein ärztliches Attest sind dabei auf die Substantiierung der Voraussetzungen an ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu übertragen (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn 7 m.w.N.; B.v. 4.10.2018 – 15 ZB 18.32354 – beckonline; B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris). Dies ergibt sich seit der Gesetzesänderung mit Wirkung vom 21. August 2019 auch ausdrücklich aus § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Die Überprüfung, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen diesen Anforderungen entsprechen, ist dabei Aufgabe des erkennenden Gerichts. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – beckonline).
(2) Trotz entsprechender Aufforderung durch das Bundesamt mit ausführlichen Hinweisen auf die Anforderungen an ein Attest i.S.v. § 60a Abs. 2c AufenthG hat der Kläger kein Attest vorgelegt.
Seinen eigenen Angaben gegenüber dem Bundesamt lässt sich zudem in keiner Weise entnehmen, welche psychischen Probleme der Kläger hat und unter welchen Symptomen er ggf. leidet. Er gab nur an, sehr gestresst gewesen zu sein, „wegen der Dinge die mir widerfahren sind“ und daher denke, dass „Deutschland mich in psychischer Hinsicht“ auffange. Zielstaatsbezogen gab der Kläger an, „bei einer eventuellen Rückkehr nach Sierra Leone würde sich das negativ auf meinen Geisteszustand auswirken, wegen dem was meine Familie, also meine Eltern und meine Ehefrau dort erleiden mussten“. Zweifel an der Ablehnung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vermögen diese pauschalen Aussagen nicht zu wecken.
In der mündlichen Verhandlung gab er insoweit nur an, einen Arzt in W* … zu besuchen, bei dem er einmal bisher gewesen sei und demnächst einen weiteren Termin habe.
(3) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Kläger auch nicht aus der weltweiten Covid-19 Pandemie.
Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer – vorliegend nicht bestehenden – Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der Kläger nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 – 11 A 2468/14.A – juris Rn. 14).
Bei dem Großteil der Bevölkerung verläuft das Coronavirus in der Regel eher mild. Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen, auch wenn schwere Verläufe auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung auftreten können und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden (vgl. Steckbrief des RKI, Stand 29.5.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, Stand: 12.6.2020).
Darüber hinaus sind Aspekte wie aktuelle Reisebeschränkungen, die die Durchführung einer Abschiebung betreffen, asylrechtlich nicht von Belang und von der Ausländerbehörde vor Durchführung der Abschiebung zu prüfen. Die Ausländerbehörde wird darüber hinaus etwaige Veränderungen in den humanitären Verhältnissen Sierra Leones vor einer Abschiebung prüfen und ggf. berücksichtigen müssen.
3. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes vom 22. November 2019 Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichts kosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).

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