Aktenzeichen 4 T 2269/16
Leitsatz
1 Ein nach § 417 Abs. 2 S. 2 FamFG zulässiger Abschiebehaftantrag erfordert insbesondere Darlegungen der Ausländerbehörde zur zweifelsfreien Ausreispflicht des Betroffenen, zu den Zurückschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung und zur notwendigen Haftdauer. Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung des Abschiebehaftantrags wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (vgl. BGH BeckRS 2011, 24121). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 In der Angabe von insgesamt vier verschiedenen Personalien liegt eine Täuschung über die Identität eines Ausländers, die ein konkreter Anhaltspunkt für die Annahme von Fluchtgefahr iSv § 2 Abs. 14 Nr. 2 AufenthG sein kann. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Erklärt ein Ausländer, er sei aus Angst vor Abschiebung in seinen Heimatstaat nicht gewillt, einen Pass zu beschaffen, liegt in dem Umstand, dass er damit eine gesetzliche Mitwirkungshandlung zur Feststellung seiner Identität verweigert oder unterlassen hat, ein konkreter Anhaltspunkt für die Annahme von Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 Nr. 3 AufenthG. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Den Zeitraum, den die Behörden des Heimatstaats benötigen, um die Identität eines Ausländers zu überprüfen, muss sich der Betroffene bei der Verlängerung von Abschiebehaft zurechnen lassen, wenn er zuvor pflichtwidrig Maßnahmen zur Identitätsklärung unterlassen hat. (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Sind Meldeauflagen, die Verwahrung des Passes oder die Anordnung der Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort nicht möglich, weil der Betroffene über keine Ausweispapiere verfügt, oder nicht geeignet, seine Abschiebung sicherzustellen, stellt sich die Anordnung von Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 1 AufenthG als verhältnismäßig dar, weil mildere Mittel zur Sicherung der Abschiebung nicht bestehen. (red. LS Clemens Kurzidem)
Verfahrensgang
3 XIV 69/16 (B) 2016-06-23 Bes AGMUEHLDORF AG Mühldorf
Tenor
1. Die Beschwerde des Betroffenen vom 24.06.2016 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 23.06.2016 wird zurückgewiesen.
2. Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt L. zu den Bedingungen eines im Bezirk des Landgerichts Traunstein ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Betroffene reiste am 03.05.2014 unter den Personalien A. W., geb. 00.00.1900 in Damaskus/Syrien, in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 07.05.2014 einen Asylantrag. Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 18.09.2015 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Nach eigenen Angaben reiste er von Deutschland nach Schweden und stellte dort Asylantrag, wobei er wiederum eine andere Personalie angab und sich als libyscher Staatsangehöriger ausgab.
Am 27.12.2015 reiste der Betroffene gegen 17.40 Uhr mit dem Zug von Österreich aus kommend erneut nach Deutschland ein. Bei seiner polizeilichen Kontrolle konnte er sich mit keinen aufenthaltslegitimierenden Dokumenten ausweisen. Der Betroffene wurde am 28.12.2015 wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise polizeilich vernommen (Protokoll Bl. 14/18). Er gab dabei auf Frage zu seiner Person die Personalien R. M., geb. …1900 in Marokko, an. Am 28.12.2015 wurde ihm die Abschiebung nach Marokko schriftlich angedroht und festgesetzt (Bl. 37/40).
Mit Schreiben vom 28.12.2015 (Bl. 41/48) beantragte die beteiligte Behörde beim Amtsgericht Rosenheim die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 24.06.2016. Der Betroffene sei nach dem Rücknahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko dorthin abzuschieben. Es lägen die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Nr. 1, und Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 2, 3 und 5 AufenthG vor.
Nach Anhörung des Betroffenen am 28.12.2015 ordnete das Amtsgericht Rosenheim mit Beschluss vom 28.12.2015 (Bl. 52/56) gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 24.06.2016 an. Hiergegen legte der Betroffene mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 07.01.2016 Beschwerde ein. Am 11.01.2016 stellte der Betroffene einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag).
Der beauftragte Richter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein hörte den Betroffenen am 26.01.2016 in Anwesenheit von Herrn O., beteiligte Ausländerbehörde, persönlich an (Protokoll Bl. 58/62). Mit Beschluss vom 01.02.2016 (Bl. 64/73) wies das Landgericht Traunstein die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 28.12.2015 zurück. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12.05.2016, Az. V ZB 25/16, zurück. Die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz wurden mit Bescheid des BAMF vom 04.02.2016 (Bl. 83/88) als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
Mit Schreiben vom 17.06.2016 (Bl. 1/10) beantragte die beteiligte Ausländerbehörde die Verlängerung der angeordneten Haft bis zum Vollzug der Abschiebung, längstens bis 15.07.2016. Der Verbindungsbeamte der Bundespolizei sei am 06.06.2016 nochmals persönlich bei dem marokkanischen Innenministerium vorstellig geworden und es sei nach Angabe des Verbindungsbeamten in den nächsten Tagen mit einer Antwort zu rechnen. Das Amtsgericht Rosenheim gab das Verfahren mit Beschluss vom 20.06.2016 an das Amtsgericht Mühldorf ab. Nach Anhörung des Betroffenen am 23.06.2016 (Bl. 95/96) ordnete das Amtsgericht Mühldorf mit Beschluss vom selben Tag (Bl. 97/103) Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 15.07.2016 an.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 24.06.2016 legte der Betroffenen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 23.06.2016 ein, der das Amtsgericht Mühldorf am 27.06.2016 nicht abhalf. Die beteiligte Ausländerbehörde teilte mit Schreiben vom 04.07.2016 (Bl. 118/119/Anl.) mit, dass die Identifizierung des Betroffenen durch die beigefügte Verbalnote der marokkanischen Behörden bestätigt worden und damit die Übernahme des Betroffenen zugesagt sei. Es laufe die Flugbuchung mit Begleitung was nach derzeitigem Stand innerhalb der beantragten Haftdauer möglich sei. Eine Begleitung sei erforderlich, da der Betroffene in der Abschiebehafteinrichtung geäußert habe, dass das Flugzeug abstürzen würde, wenn er in ein arabisches Land abgeschoben werde. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen begründete die Beschwerde mit Schriftsatz vom 05.07.2016 (Bl. 120/121). Eine Überschreitung der Grenze von sechs Monaten setze ein Verhalten des Betroffenen voraus, das die Abschiebung ganz außergewöhnlich stark behindere. Der Betroffene habe darauf hingewiesen, keine marokkanischen Dokumente zu besitzen. Dies könne nicht dazu führen, dass ihm die Verzögerung der Abschiebung zugerechnet werden kann. Die Prognoseentscheidung zur Haftdauer sei unzureichend. Die Zusicherung der marokkanischen Behörden wurde mit Nichtwissen bestritten.
II.
1. Gegen die Anordnung (Verlängerung) der Haft zur Sicherung der Abschiebung durch Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 23.06.2016 ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Diese wurde fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt und ist zulässig.
2. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 23.06.2016 ist unbegründet.
Der Betroffene ist aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 AufenthG). Seine Einreise war unerlaubt, da er den erforderlichen Pass nach § 3 AufenthG oder Aufenthaltstitel nach § 4 AufenthG nicht besaß (§ 14 Abs. 1 AufenthG).
a) Der Verlängerung der Abschiebehaft liegt ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde vom 17.06.2016 zugrunde. Für Abschiebehaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Zurückschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Zurückschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 – 5 FamFG). Inhalt und Umfang der erforderlichen Darlegung bestimmen sich nach dem Zweck des Begründungserfordernisses. Es soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (BGH vom 22. Juli 2010, V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511). Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH vom 15.09.2011, FGPrax 2011, 317).
(1) Aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 17.06.2016 geht hervor, dass der Betroffene nach dem Rücknahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Marokko nach Marokko abgeschoben werden soll.
(2) Der Antrag enthält eine Begründung, dass die beteiligte Behörde voraussichtlich noch weitere vier Wochen für die beabsichtigte Abschiebung benötigt. Da der Betroffene nicht im Besitz eines Reisepasses ist, muss über das marokkanische Konsulat ein Passersatzpapier beschafft werden. Die erforderlichen Passbeschaffungsmaßnahmen wurden nach Mitteilung der beteiligten Ausländerbehörde durch Vorlage der nötigen Unterlagen bei der marokkanischen Botschaft am 06.01.2016 eingeleitet. Wie die beteiligte Behörde mitteilte, werden in regelmäßigen Abständen bei der marokkanischen Botschaft in Berlin und über den Verbindungsbeamten der Bundespolizei bzw. des BKA in Marokko bei den zuständigen Behörden Sachstandsanfragen getätigt; insbesondere wurde der Verbindungsbeamte am 06.06.2016 bei dem marokkanischen Innenministerium vorstellig, wo ihm eine prioritäre Behandlung der aktuellen Haftfälle zugesagt wurde. Da die beteiligte Behörde aufgrund der Angaben des Verbindungsbeamten „in den nächsten Tagen mit einer Antwort“ rechnete, ist der Zeitansatz der Haftverlängerung mit zwei weiteren Wochen Prüfungszeit der Fingerabdrücke durch die marokkanischen Behörden und zwei Wochen Flugbuchung mit Begleitung und Durchführung der Abschiebung schlüssig und nachvollziehbar dargelegt.
(3) Im Haftantrag ist ausgeführt, dass dem Betroffenen nach § 59 Abs. 1 AufenthG die Abschiebung angedroht und festgesetzt wurde.
b) Der Haftantrag enthält das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Traunstein für die geplante Abschiebung (vgl. Antrag Ziffer i). Im Übrigen ist das Einvernehmen nach der aktuellen Fassung des § 72 Abs. 4 AufenthG nicht mehr erforderlich.
c) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr im Sinne von §§ 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5, 2 Abs. 14 Ziffer 2, 3, 5 AufenthG.
Nach § 2 Abs. 14 Ziffer 2 AufenthG kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer über seine Identität täuscht, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisepapieren oder das Vorgeben einer falschen Identität. Vorliegend hat der Betroffene bereits vier verschiedene Personalien verwendet und jeweils eine falsche Identität vorgetäuscht. Wie er bei seinen Vernehmungen einräumte benutzte er die verschiedenen Identitäten in der Hoffnung größere Chancen bei der Anerkennung seiner Asylanträge zu haben. Ob die nunmehr angeführten Personalien richtig sind ist fraglich und im Hinblick auf das bisherige Verhalten des Betroffenen zu bezweifeln. Die Kammer hat keine Zweifel, dass der Betroffene durch das Vortäuschen unterschiedlicher Identitäten seine Abschiebung nach Marokko verhindern will.
Der Betroffene gab bei der polizeilichen Vernehmung zunächst an, dass sich sein Pass in Marokko befindet und äußerte im weiteren Verlauf, dass sich der Reisepass bereits in Italien im Haus seiner Schwester befindet. Er teilte aber mit, dass er nicht gewillt ist, den Pass herbeizuschaffen. Bei der Anhörung am 26.01.2016 teilte er auf Frage mit, keinen Pass zu besitzen. Ein von seiner Tante übersandtes Dokument – das auf seinen Namen lautet – gehöre seinem Cousin. Die Ausführungen des Betroffenen, dass sein Vater seinen Cousin sehr gern gemochte und den Betroffenen und den Cousin gleich genannt habe, ist völlig unglaubwürdig, ebenso wie die Angaben des Betroffenen im Verlauf des Anhörungstermins am 26.01.2016, dass er entgegen seinen vorherigen Angaben keine Tante und keine Schwester in Italien habe. Der Betroffene versucht offensichtlich zum Zwecke der Verhinderung der Abschiebung nach Marokko über seine Identität zu täuschen.
Nach § 2 Abs. 14 Ziffer 3 AufenthG kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer gesetzliche Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen hat und aus den Umständen des Einzelfalls geschlossen werden kann, dass er einer Abschiebung aktiv entgegenwirken will. Wie bereits ausgeführt, hatte der Betroffene bereits eingeräumt, ein Passpapier in Italien zu haben. Er äußerte aber bei seiner polizeilichen Vernehmung dass er nicht gewillt ist, den Pass herbeizuschaffen weil er Angst hat, wieder nach Marokko zu müssen. Hinsichtlich der von seiner Tante übersandten Kopie mit Personalien, die namentlich auf ihn lauten, gab der Betroffene an, dass diese seinem Cousin gehörten. Der Betroffene versucht durch sein Verhalten die beabsichtigte Abschiebung nach Marokko zu verhindern.
Es besteht auch der Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer. 5, § 2 Abs. 14 Ziffer 5 AufenthG. Danach kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine erhebliche Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Diese Voraussetzung liegt nach Ansicht der Kammer hier vor. Der Betroffene hatte bereits anlässlich der polizeilichen Vernehmung am 28.12.2015 die Frage, ob er sich freiwillig nach Marokko begeben oder zu einer angeordneten Rückschiebung erscheinen würde, mit Nein beantwortet und mitgeteilt, dass er auf keinen Fall zurück nach Marokko will. Auch bei der richterlichen Anhörung vor dem beauftragten Richter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein am 26.01.2016 gab er auf Frage an, dass er sich einer Überstellung nach Marokko freiwillig nicht stellen würde. Die Kammer hat daher keine Zweifel, dass der Betroffene sich einer Abschiebung nicht stellen und untertauchen würde.
d) Das Verfahren wird von der beteiligten Behörde mit der nötigen Beschleunigung betrieben. Der erforderliche Antrag für die Beschaffung von Passersatzpapieren wurde am 06.01.2016 bei der marokkanischen Botschaft eingereicht. Auf die weitere Dauer des Verfahrens bei den marokkanischen Behörden hat die beteiligte deutsche Ausländerbehörde keinen Einfluss.
e) Die Abschiebehaft wird in der zentralen Abschiebehafteinrichtung in Mühldorf am Inn vollzogen (§ 62a Abs. 1 AufenthG).
f) Gemäß § 62 Abs. 4 AufenthG kann die Sicherungshaft bis zu sechs Monate angeordnet werden und in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Vorliegend hat der Betroffene die über drei Monate hinausgehende Dauer bis zur Abschiebung und eine damit entsprechend lange Haft selbst zu vertreten und seine Abschiebung verhindert. Ein Verhindern setzt voraus, dass ein von dem Willen des Ausländers abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung nicht erfolgen konnte, wenn also das für die Abschiebung bestehende Hindernis auf ein Tun, zu dessen Unterlassen er verpflichtet ist, oder auf ein Unterlassen zurückgeht, während er zu einem Tun verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25.02.2010, V ZA 2/10). In den dem Betroffenen zuzurechnenden und von ihm hinnehmbaren Zeitraum fällt grundsätzlich auch das Prüfungsverfahren, das die Heimatbehörde bis zur positiven Bescheidung für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. BGH, a. a. O.).
Der Betroffene ist ohne Pass in Deutschland eingereist und hat keine Bereitschaft gezeigt, bei der Beschaffung der erforderlichen Dokumente mitzuwirken. Nach den Angaben bei der polizeilichen Vernehmung befindet sich der Reisepass in Italien im Haus seiner Schwester. Der Betroffene gab aber – wie ausgeführt – an, dass er nicht gewillt ist, den Pass herbeizuschaffen, weil er Angst hat, wieder nach Marokko zu müssen. Ausweislich des Protokolls der polizeilichen Vernehmung wurde die Tante des Betroffenen erreicht. Diese gab zunächst an, den Pass zu haben, teilte dann aber mit, den Pass nicht zu finden und nicht schicken zu wollen. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen einwendet, dass der Betroffene bereits bei der Anhörung zur Haftverlängerung darauf hinwies, keine marokkanischen Dokumente zu haben, ist dies im Hinblick auf die bisherigen Angaben des Betroffenen nicht glaubhaft. Der Betroffene macht ständig wechselnde und widersprüchliche Angaben und hat bislang vier verschiedene Personalien benutzt. Bezüglich der von der Schwester des Betroffenen übersandten Faxkopie eines Ausweises mit den Personalien des Betroffenen wandte der Betroffene bei seiner Anhörung am 26.01.2016 ein, dass ihm dieses Dokument nicht gehöre, sondern seinem Cousin. Dass sein Cousin wiederum genauso heißt wie der Betroffene und am selben Tag – nur drei Jahre früher – geboren ist, hält die Kammer im Hinblick auf das gesamte Aussageverhalten des Betroffenen für nicht glaubwürdig.
Trotz mehrfacher Belehrungen hat der Betroffene während der Bearbeitungszeit keine Versuche unternommen, die Bearbeitung durch eigene Anstrengungen zu beschleunigen, in dem er sich an seine Tante, seine Schwester oder selbst an die Botschaft/das Konsulat gewandt hätte, §§ 48 Abs. 3, 82 AufenthG. Durch die Übersendung von Papieren oder Beibringung von entsprechenden Bestätigungen durch die Tante oder die Schwester des Betroffenen hätte sich das Verfahren beschleunigen lassen. Zur Überzeugung der Kammer war das pflichtwidrige Verhalten des Betroffenen mitursächlich dafür, dass die Abschiebung bislang noch nicht durchgeführt werden konnte.
g) Der Haftgrund ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (§ 62 Abs. 1 AufenthG) zu bejahen, da ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen zur Sicherung der Zurückschiebung nicht gegeben ist. Meldeauflagen, die Verwahrung des Passes oder die Verfügung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten sind entweder nicht möglich, da der Betroffene keine Ausweisdokumente hat, oder nicht geeignet, um seine Abschiebung sicherzustellen. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen einwendet, dass prognostisch die Abschiebung innerhalb der angeordneten Haftdauer nicht gelingen kann steht dem die schlüssige und nachvollziehbare Einschätzung der beteiligten Ausländerbehörde entgegen. Diese teilte mit, dass die Identifizierung des Betroffenen durch die marokkanischen Behörden bestätigt wurde und damit die Übernahme zugesagt ist. Die Flugbuchung ist nach Auskunft der beteiligten Behörde nach „derzeitigem Stand“ innerhalb der beantragten Haftdauer möglich.
h) Die erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren war nicht erforderlich. Der Betroffene wurde bei der erstmaligen Anordnung sowohl durch das Amtsgericht, als auch durch den beauftragten Richter der 4. Zivilkammer persönlich angehört. Bei der Anhörung zu dem Verlängerungsantrag äußerte der Betroffene dass er zu dem Antrag nichts mehr sagen möchte. Von einer erneuten Anhörung sind daher keine neuen Erkenntnisse zu erwarten (§ 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG).
3. Dem Betroffenen war antragsgemäß Verfahrenskostenhilfe zu gewähren und wegen der Schwierigkeit der Rechtslage ein Rechtsanwalt beizuordnen (§ 76 Abs. 1 FamFG; § 114 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG
5. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.