Aktenzeichen Au 4 K 17.30459
Leitsatz
In Sierra-Leone können Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind, ohne Probleme insbesondere in größeren Städten leben. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes oder die Feststellung von Abschiebungsverboten. Der Bescheid des Bundesamts vom 24. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger befürchtet bei Rückkehr nach Sierra-Leone Verfolgung (§§ 3 ff. Asyl) bzw. Bedrohung (§ 4 AsylG) durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG), weil er einer Geheimgesellschaft nicht beitreten wollte. Dies ist indes bei zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts nicht beachtlich wahrscheinlich (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2017 – 9 ZB 17.30027 – juris Rn. 4). Der Kläger hat nach seinen Angaben bis zu seiner Ausreise im Oktober 2013 – also bis kurz vor seinem 37. Geburtstag – in Freetown gelebt; in all diesen Jahren ist er nach seinem Vorbringen lediglich drei Mal aufgesucht und gefragt worden, ob er der Geheimgesellschaft beitrete. Dabei ist letztlich lediglich versucht worden, den Kläger zum Beitritt zu überreden. Zu nennenswerten Konsequenzen hat seine jeweilige Weigerung, der Gesellschaft beizutreten, nicht geführt, insbesondere nicht zu körperlichen Bedrohungen oder Angriffen. Vielmehr ist seit dem letzten Aufsuchen im Jahr 2012 bis zur Ausreise des Klägers niemand mehr bei ihm erschienen. Ein solches weiteres Aufsuchen wurde ihm, wie der Kläger auf Frage seines Bevollmächtigten ausgeführt hat, auch nicht angekündigt. Insofern ergibt sich auch keine andere Beurteilung aus den Angaben des Klägers, man müsse bis spätestens 40 Jahren der Geheimgesellschaft beitreten. Wäre ein derartiger Zwang wirklich vorhanden, hätte es nahe gelegen, dass die Bemühungen um den Beitritt des Klägers intensiver geworden wären, je näher sein 40. Geburtstag rückte. Dies ist nicht geschehen; vielmehr haben letztlich keine Besuche mehr stattgefunden. Die allgemeine Befürchtung des Klägers, man werde ihn im Auge behalten, bietet keinen zureichenden objektiven Anhaltspunkt für die Annahme, es werde – entgegen den bisherigen Vorkommnissen – dem Kläger in Zukunft nicht mehr möglich sein, einen Beitritt zu der Geheimgesellschaft erforderlichenfalls (wiederum) abzulehnen oder gar dafür, dass es nunmehr zu Verfolgungshandlungen oder der Bedrohung mit einem ernsthaften Schaden kommen würde.
Die Schilderungen des Klägers stehen im Übrigen im Einklang mit der aktuellen und nicht in Zweifel zu ziehenden Auskunftslage. So gibt es in Sierra-Leone viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind. Sie können insbesondere in den größeren Städten ohne Probleme leben. (Auswärtiges Amt an VG Augsburg vom 9.1.2017). Dementsprechend konnte auch der Vater des Klägers, obwohl er sogar aus der Geheimgesellschaft austreten wollte, von mindestens 1976 (Geburtsjahr des Klägers) bis 1991 offenbar unbehelligt in Freetown leben. Dafür, dass der Tod des Vaters des Klägers etwas mit seinem Austritt zu tun haben könnte, wie vom Kläger angedeutet, bestehen keine Anhaltspunkte. Hiergegen spricht vielmehr entscheidend, dass der Vater erst 15 Jahre nach seinem Umzug nach Freetown gestorben ist. Auch der Kläger hat – nach seinen Angaben vor dem Bundesamt ist er Einzelkind und hat auch keine Verwandten – jedenfalls seit dem Tod seiner Mutter 1999 alleine und – bis auf die, jedoch unproblematisch verlaufenen, Besuche von Mitgliedern der Geheimgesellschaft – letztlich unbehelligt in Freetown gelebt. Dies gilt auch für die vom Kläger genannten „Poro-Tage“ in Freetown, denen sich die Bewohner offenkundig durch Zu-Hause-Bleiben ohne weiteres entziehen können.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich ferner, dass für den Kläger in Sierra-Leone interner Schutz gem. § 3e AsylG (bezüglich des subsidiären Schutzes i.Vm. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) besteht. Nochmals ist insoweit auf die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 9. Januar 2017 zu verweisen, wonach in Sierra-Leone die – vielen – Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind, ohne Probleme insbesondere in größeren Städten leben können. Für den Kläger gilt nichts anderes. Seine Weigerung auf die Anfragen, ob er Mitglied werde, sind ohne nennenswerte Konsequenz geblieben. Der Kläger hat vor dem Bundesamt angegeben, als Hilfskraft in verschiedenen Jobs gearbeitet zu haben. Hierdurch ist es ihm nach seinen Angaben möglich gewesen, die Reise nach Deutschland – wie er angegeben hat, eine direkte Schiffsreise nach Hamburg – zu finanzieren. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht in der Lage sein sollte, dieses Leben bei einer Rückkehr fortzusetzen.
Auch im Übrigen bestehen nach gegenwärtiger Auskunftslage keine stichhaltigen Gründe dafür, dass dem Kläger in Sierra Leone ein ernsthafter Schaden droht, da dort seit Ende des Bürgerkriegs im Jahre 2002 stabiler Frieden herrscht.
Hinsichtlich des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Gewährung des subsidiären Schutzes wird im Übrigen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids wird ebenfalls gem. § 77 Abs. 2 AsylG bezüglich des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG Bezug genommen; ferner wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Insbesondere folgt auch aus den schwierigen Lebensverhältnissen in Sierra Leone kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Bei den dort vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb insoweit Abschiebeschutz gem. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu gewähren wäre. Anhaltspunkte für eine extreme Gefährdungslage, bei der die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausnahmsweise nicht greifen würde, sind nicht erkennbar (vgl. VG München, U.v. 10.1.2017 – M 21 K 13.30391 – juris Rn. 51). In Bezug auf den Kläger gilt insoweit zudem erneut, dass er arbeitsfähig ist, er in Sierra-Leone auch gearbeitet hat und es ihm offenbar über viele Jahre möglich war, dort trotz schwieriger Lebensumstände seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Rechtsfehler des streitgegenständlichen Bescheids in Bezug auf die Abschiebungsandrohung (Nr. 5) und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Nr. 6) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf die Begründung des Bescheids wird erneut Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.