Aktenzeichen M 4 K 15.1900
Leitsatz
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO).
Bei der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids, durch den eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen oder widerrufen wird, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.2010 – 1 C 10/09 – juris).
Der angefochtene Bescheid stützt sich zu Recht auf Art. 48 BayVwVfG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG liegen vor und die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung ist frei von Ermessensfehlern.
I.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG liegen vor.
Die dem Kläger mit Bescheid vom 29. Oktober 2012 nach § 35 Abs. 1 AufenthG erteilte Niederlassungserlaubnis war von Anfang an rechtswidrig.
Der Kläger besaß mit seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG keine „Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt“ im Sinne des § 35 Abs. 1 AufenthG, da hiermit der Abschnitt 6 („Aufenthalt aus familiären Gründen“) gemeint ist, § 25 Abs. 2 AufenthG sich jedoch im Abschnitt 5 („Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen“) befindet.
Zudem stand der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auch der Versagungsgrund des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a. F. und n. F. entgegen, da ein auf dem persönlichen Verhalten des Klägers beruhendes Ausweisungsinteresse im Sinne der § 54 Abs. 2 Nr. 8 und 9 AufenthG bzw. ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 a) und 2 AufenthG a. F. bestand. Denn der Kläger hat im Verwaltungsverfahren zur Erteilung seiner Aufenthaltserlaubnis und der Niederlassungserlaubnis falsche Angaben zu seinem Alter gemacht und auch einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen, der zu einer Verurteilung des Klägers wegen Erschleichens eines Aufenthaltstitels führte.
II.
Die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis nach Art. 48 BayVwVfG war auch ermessensfehlerfrei.
1. Die Beklagte hat ihr Ermessen betätigt, wie aus der Wortwahl und dem Inhalt des streitgegenständlichen Bescheids klar erkennbar ist.
Sie hat auch alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Ermessensabwägung eingestellt. Bei der Ausübung ihres Rücknahmeermessens ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass bei einer Täuschung in der Regel ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis besteht. Die Beklagte hat auch die persönlichen Belange des Klägers, insbesondere seine familiären und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und die Folgen, die eine Rückkehr in den Irak hätte, zutreffend gewürdigt. Insbesondere hat sie von einer Ausweisung abgesehen, weil bereits die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis ein geeignetes, aber auch erforderliches Mittel darstellte. Auch den gemäß Art. 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG nicht bestehenden Vertrauensschutz des Klägers hat die Beklagte ordnungsgemäß in die Ermessensabwägung miteingestellt (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Stand 2014, § 48 Rn. 177 ff.). Der Kläger kann sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, da er zum einen die Niederlassungserlaubnis durch bewusste Angabe eines unrichtigen Geburtsdatums und damit durch arglistige Täuschung erwirkt hat, Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG, und zum anderen insofern die von ihm angegebenen Tatsachen in wesentlicher Beziehung unrichtig waren und er die Rechtswidrigkeit des erlassenen Bescheids kannte, Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 BayVwVfG. Auch der Zeitpunkt der Rücknahme ex tunc ist aus den im Bescheid genannten Gründen nicht zu beanstanden (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Stand 2014, § 48 Rn. 108).
2. Der Kläger kann sich gegenüber der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er nach jetziger Rechtslage einen Anspruch auf Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels habe. Zwar trifft es zu, dass die Behörde einen Aufenthaltstitel, den sie dem Ausländer aus anderen Rechtsgründen sogleich wieder erteilen müsste, weder widerrufen noch mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.2010 – 1 C 10/09 – juris Rn. 18). Ein Anspruch auf Erteilung eines gleichwertigen Aufenthaltstitels aus anderen Rechtsgründen stand dem Kläger aber weder zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids noch steht er ihm heute zu.
a) Dieser ergibt sich nicht aus § 25b AufenthG. Selbst wenn der Kläger die dort genannten Voraussetzungen erfüllte, hätte er keinen Anspruch auf einen gleichwertigen Aufenthaltstitel, denn nach § 25b Abs. 5 AufenthG erhielte er nur eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis.
Zudem wäre – ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankommt – der Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG in der Person des Klägers erfüllt, da der Kläger seine Aufenthaltsbeendigung durch vorsätzlich falsche Angaben und Täuschung über seine Identität verhindert oder zumindest verzögert hat. Denn bei seinem Erstantrag auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und bei allen darauf folgenden Anträgen gab der Kläger vorsätzlich ein falsches Geburtsdatum an. Die Regelung des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG knüpft zwar an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers an, ist jedoch keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in vorangegangen Verfahren. Sie wurde eingeführt, um Ungerechtigkeiten gegenüber nicht täuschenden Ausländern zu vermeiden. Zu Beginn des Verfahrens begangene Täuschungshandlungen können zwar unberücksichtigt bleiben, wenn sie nicht alleine kausal für die lange Aufenthaltsdauer gewesen sind (vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/4097, S. 44). Vorliegend war jedoch die falsche Altersangabe ein Hauptgrund für die Erteilung der zunächst befristeten Aufenthaltserlaubnisse und später der Niederlassungserlaubnis. Das Gericht sieht daher keinen Grund, diese Täuschungshandlungen nicht zu berücksichtigen und den Kläger insofern mit nichttäuschenden Ausländern gleichzustellen.
b) Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG zu.
(1) Der vom Kläger geltend gemachte „Anspruch“ auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 26 Abs. 4 AufenthG vermittelt schon deshalb keinen die Rücknahme ausschließenden Rechtsanspruch, weil die Vorschrift die Erteilung eines solchen Daueraufenthaltsrechts in das Ermessen der Behörde stellt und deshalb nur einen Anspruch auf ermessensfehlerhafte Entscheidung einräumt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.2010 – 1 C 10/09 – juris Rn. 18). Ob insofern eine Ermessensreduzierung auf Null überhaupt ausreichen würde oder Voraussetzung das Vorliegen eines gebundenen Anspruchs ist, kann offen bleiben, da schon keine Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen.
(2) Weiterhin würde eine Niederlassungserlaubnis – die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG unterstellt – nach dieser Vorschrift auch nicht auf anderen Rechtsgründen beruhen, sondern letztlich auf der (aufgehobenen) Flüchtlingsanerkennung des Klägers. Die fälschlicherweise erteilte Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AufenthG beruhte offensichtlich auf diesen asylrechtlichen Gründen, denn der Kläger besitzt (und besaß) keine Familienangehörigen in der Bundesrepublik („keine eigene Kernfamilie in Deutschland“).
Der nach § 26 Abs. 4 AufenthG erforderliche Besitz einer Aufenthaltserlaubnis würde damit offensichtlich seine maßgebliche Grundlage in der widerrufenen Flüchtlingsanerkennung finden. Ein derartiges zeitlich auf einem vorangegangen asylbedingten Aufenthaltsrecht (hier die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 25 Abs. 2 AufenthG) aufbauendes Daueraufenthaltsrecht wäre selbst asylbedingt und stünde der Rücknahme der asylbedingten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis auch deshalb nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.2010 – 1 C 10/09 – juris Rn. 18; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Stand 2016, § 52 AufenthG Rn. 13).
(3) Im Übrigen erfüllte der Kläger weder zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung die Voraussetzungen für ein humanitäres Daueraufenthaltsrecht im Sinne des § 26 Abs. 4 AufenthG. Denn der Kläger besaß nicht seit fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis (§§ 26 Abs. 4, 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
Für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG genügt es insofern nicht, dass der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt fünf Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war. Er muss dies auch noch im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gewesen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2009 – 1 C 24.08 – juris Rn. 13; BayVGH, Urteil vom 02.09.2013 – 10 B 10.1713 – juris Rn. 37 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand November 2015, § 26 AufenthG Rn. 17a). Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Denn ihm sind nach Aufhebung seiner Niederlassungserlaubnis keine weiteren Aufenthaltsgenehmigungen mehr erteilt worden. Zwar kann es dem fortbestehenden Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gleichstehen, wenn der jeweilige Antragsteller während des Verfahrens einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erworben hat (BayVGH, Urteil vom 25.06.2013 – 10 B 12.2500 – juris Rn. 29). Allerdings setzt dies die Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2010 – 1 B 26/09 – juris Rn. 3; BVerwG, Urteil vom 22.01.2002 – 1 C 6/01 – juris Rn. 13; Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Stand 2011, § 26 Rn. 25.1). Einen solchen Antrag hat der Kläger nie gestellt.
Selbst wenn man über die Voraussetzung der Antragstellung hinwegsähe, wären auch keine Gründe vorgetragen oder ersichtlich, wonach der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gehabt hätte. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 20. Januar 2011 widerrufen und festgestellt hatte, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.
(4) Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankommt, ist zudem zweifelhaft, ob der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 5 „Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen“ überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt für fünf Jahre besaß. Ein Anrechnung der Asylverfahrenszeit nach § 55 Abs. 3 Asylgesetz -AsylG- kommt nur in Frage, „wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt ist oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 zuerkannt wurde.“ Nach dem Wortlaut ist es zumindest fraglich, ob nicht die Flüchtlingseigenschaft aktuell noch zuerkannt sein muss. Diese wurde jedoch bestandkräftig widerrufen. (vgl. auch VG Gießen, Urteil vom 15.04.2002 – 10 E 3032/01 – juris Rn. 27).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Teil hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.