Verwaltungsrecht

Unglaubhaftes Vorbringen zum Fluchtgrund

Aktenzeichen  B 9 K 18.31599

Datum:
5.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41857
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 87b Abs. 3 S. 1, § 108 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 31. Januar 2019 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Der angefochtene Bescheid vom 27. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c Abs. 1 Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft muss sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (EU-Qualifikations-RL) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird.
Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht schließt sich zunächst den zutreffenden Gründen im angefochtenen Bescheid der Beklagten an und sieht daher insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zum gerichtlichen Verfahren der Kläger Folgendes auszuführen:
Selbst unter Berücksichtigung der Schilderungen der Klägerin zu 1 im Klageverfahren besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Klägerin zu 1 hat vor dem Bundesamt lediglich eine fragmentarische Rahmengeschichte geschildert, die nicht den Eindruck erweckt, als dass es sich hierbei um tatsächliche Erlebnisse der Familie handeln würde. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt, dass eine Fluchtgeschichte referiert wurde, die so jedenfalls nicht stattgefunden hat, sondern die sich die Kläger zurechtgelegt haben, um ihre Chancen im Asylverfahren zu verbessern.
a) Die Glaubwürdigkeit der Kläger, insbesondere der Klägerin zu 1, und auch die Glaubhaftigkeit des gesamten Vorbringens, werden bereits durch die nachgewiesenermaßen falschen Angaben der Klägerin zu 1 und ihres Ex-Mannes hinsichtlich der Einreise nach Deutschland schwer erschüttert.
Die Frage des Reisewegs ist zwar kein wesentlicher Bestandteil der Schilderung des Verfolgungsschicksals. Allerdings stellt der Tatsachenvortrag zu den Reisemodalitäten ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit eines Verfolgungsschicksals und der Glaubwürdigkeit eines Asylsuchenden dar (vgl. VG Augsburg, U.v. 10.7.2013 – Au 7 K 13.30163 – juris m.w.N.).
Die Klägerin zu 1 gab – übereinstimmend mit ihrem Ex-Mann – im Gespräch zur Vorbereitung der Anhörung am 4. November 2013, in ihrer Anhörung am 23. Juni 2016, in ihrer aktuellen schriftlichen Stellungnahme vom 25. Januar 2018 und auch zunächst in der mündlichen Verhandlung am 31. Januar 2019 an, die Familie habe Tschetschenien am 26. Oktober 2013 um 7 Uhr morgens in einem weißen Kleinbus verlassen. In der Ukraine sei die Familie dann in einen Lastwagen umgestiegen. Hinter Kisten versteckt, auf der Ladefläche des Lastwagens sei die Fahrt nach Berlin fortgesetzt worden. Mit dem Fahrer habe sich die Familie über Klopfzeichen verständigt. Auf die Toilette habe die Familie nur nach einem Signal an der Tankstelle gedurft – für die Kinder habe es hierfür einen Eimer im LKW gegeben. Insgesamt habe die Flucht 3.000 Euro gekostet. Dieses Geld habe sich die Familie von einem Freund des Ex-Mannes der Klägerin zu 1 geliehen.
In der Behördenakte der Kläger findet sich allerdings ein Schreiben des Grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten vom 21. November 2013 an das Bundespolizeipräsidium in Potsdam. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Französische Botschaft die Deutsche Botschaft Moskau über das mutmaßliche Verschwinden russischer Staatsangehöriger in Deutschland während einer organisierten Busreise informiert habe. Der Mitteilung zufolge seien in der Nacht 26./27. Oktober 2013 während ihrer Übernachtung im Hotel „…“ im Rahmen einer organisierten Busreise zehn Personen verschwunden. Diese Personen seien nicht programmgemäß zur Weiterreise nach Frankfurt erschienen. Es handelte sich hierbei um eine tschetschenische Familie und vier weitere Personen. Die Personalien seien aus der Anlage des Schreibens zu entnehmen. Das Programm habe planmäßig eine Reise von Moskau über Brest und Berlin nach Paris (mit Besuch des Disneylands), anschließendem Transfer nach Luxemburg und die Rückreise über Tschechien und Polen vom 24. Oktober 2013 bis 2. November 2013 beinhaltet.
In der genannten Anlage des Schreibens informiert der Reiseveranstalter die Konsularabteilung der Französischen Botschaft, dass die Touristen
1. …, geb. …, Passnr. …
2. …, geb. …, Passnr. …
3. …, geb. …, Passnr. …
4. …, geb. …, Passnr. …
5. …, geb. …, Passnr. …
6. …, geb. …, Passnr. …
auf dem Weg nach Frankreich im geplanten Zeitraum 24. Oktober 2013 – 2. November 2013 ihre Reisegruppe während der Übernachtung in Düsseldorf vom 26. Oktober 2013 bis 27. Oktober 2013 verlassen hätten.
In der mündlichen Verhandlung fragte das Gericht die Klägerin zu 1 zunächst noch einmal, ob sie dabei bleibe, mit dem LKW nach Deutschland eingereist zu sein. Dies wurde von der Klägerin zu 1 erneut ausdrücklich bejaht. Erst als ihr das Schreiben des Grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten samt Anlage, aus der sich eindeutig die Personalien der Klägerin zu 1 und ihrer gesamten Familie ergeben (übereinstimmende Namen, Geburtsdaten und Passnummern), in der mündlichen Verhandlung vorgehalten wurde, gab diese zu, dass „es wohl so gewesen sei“ wie im vorgehaltenen Dokument beschrieben. Auf Nachfrage der Einzelrichterin, was dies bedeute, erklärte die Klägerin zu 1, dass die Schilderung hinsichtlich der Flucht im LKW gelogen sei.
Die Entschuldigung der Klägerin zu 1 hierfür, nämlich dass die Familie bei wahrheitsgemäßen Angaben Angst gehabt habe, direkt wieder ausgewiesen zu werden und unbedingt ein Asylverfahren in Deutschland durchlaufen wollte, überzeugt das Gericht nicht. Dies lässt vielmehr darauf schließen, dass die Kläger nicht davor zurückschrecken, auch unwahre Tatsachen für eine dramatische Fluchtgeschichte vorzuspiegeln, um das gewünschte Ziel – die Zuerkennung internationalen Schutzes – mit allen Mitteln zu erreichen.
b) Abgesehen von den unwahren Angaben zum Reiseweg der Familie, hält das Gericht auch die vorgetragene Verfolgungsgeschichte und die angegebenen Nachfluchtgründe nicht für überzeugend.
aa) Die Schilderungen der Klägerin zu 1 hinsichtlich der vor der Ausreise der Familie behaupteten Vorkommnisse im Jahr 2013 sind nicht glaubhaft, denn sie sind in vieler Hinsicht nicht nachvollziehbar und sehr detailarm. Darüber hinaus sind die Ausführungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung teilweise widersprüchlich und wurden gesteigert.
Insgesamt entstand in der mündlichen Verhandlung der Eindruck, dass die Klägerin zu 1 und ihr Ex-Mann bemüht waren, die gemeinsame Fluchtgeschichte und ihre Angaben hierzu gut miteinander abgestimmt in der mündlichen Verhandlung zu präsentieren. Diese Abstimmung fand jedoch offensichtlich trotzdem nur oberflächlich statt. Als das Gericht in der mündlichen Verhandlung nach Details fragte, wurde die Klägerin zu 1 in ihren Antworten unmittelbar unsicher. Besonders deutlich wurde dies bei der Bitte des Gerichts an die Klägerin zu 1, die Männer, welche die Familie angeblich überfallen hatten, näher zu beschreiben. Zunächst blieb die Klägerin bei ihren pauschalen Angaben aus der Anhörung. Die Männer seien uniformiert und maskiert gewesen und hätten Uniformen der Polizei bzw. Spezialeinheiten getragen. Sie könne dies nicht so genau auseinanderhalten. Als die Einzelrichterin die einfache Frage nach der Farbe der Uniform stellte, welche bisher von der Klägerin zu 1 und ihrem Ex-Mann noch nicht erwähnt worden war, erklärte die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung, die Uniformen seien grün gewesen bzw. zwischen grün und dunkelblau. Es habe sich um ein grünliches Blau bzw. Türkis gehandelt. Ihr Ex-Mann wollte sich in seiner anschließenden Anhörung durch das Gericht jedoch – wohl auch um der Gefahr eines Widerspruchs zu den vorherigen Angaben seiner Ex-Frau zu begegnen – an eine Farbe der Uniformen überhaupt nicht mehr erinnern können. Dies gelang ihm auch auf mehrfache Nachfrage hin nicht, obwohl er sich an viele andere Details (Maske, Bewaffnung, Wortwahl der Männer) noch erinnern konnte. In diesem Punkt handelt es sich offensichtlich auch nicht um ein unwesentliches Detail, vielmehr wäre insoweit zu erwarten, dass es der Klägerin zu 1 und ihrem Ex-Mann auch zum jetzigen Zeitpunkt noch ohne weiteres möglich sein müsste, die Männer bis ins Detail zu beschreiben, da sich ein derart gravierendes Ereignis fest in das Gedächtnis eingeprägt habe müsste.
Widersprüchlich sind ferner die Angaben der Klägerin dazu, woher die maskierten Männer von dem Anruf des Cousins gewusst haben wollen. In der mündlichen Verhandlung gab sie danach befragt an, das wisse sie nicht. Sie vermute, das Gespräch sei abgehört worden. In ihrer Anhörung beim Bundesamt erklärte sie hingegen, die Männer hätten ihnen gesagt, dass das Gespräch abgehört worden sei.
Überdies steigerte die Klägerin zu 1 ihren Vortrag auch erheblich, indem sie in der mündlichen Verhandlung geltend machte, dass die Familie den Cousin bereits drei Jahre vor der Ausreise (u.a. finanziell) unterstützt habe. Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt und auch in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 25. Januar 2019 sprach die Klägerin lediglich von einem einzigen Anruf des Cousins am 15. Oktober 2013 mit belanglosem Inhalt. Von weiteren Unterstützungstätigkeiten war nicht die Rede. Die Tatsache, ob die Familie einen angeblich gesuchten Rebellen über Jahre unterstützt hat oder aufgrund eines einzigen Telefonats mit ihm aufgesucht wird, macht einen erheblichen Unterschied und wäre sicher nicht von beiden Eheleuten in den getrennten Anhörungen unerwähnt geblieben. Die von der Klägerin zu 1 und ihrem Ex-Mann in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte „erweiterte“ Unterstützung stellt daher eine ganz erhebliche Steigerung im Vortrag dar, die nach der Überzeugung des Gerichts rein verfahrenstaktische Gründe hat und damit nicht glaubhaft ist. Die Klägerin zu 1 hat sich damit – neben den gelogenen Angaben zum Reiseweg – auch hierdurch in ihrer Person unglaubwürdig gemacht.
Gegen das Vorliegen eines staatlichen Verfolgungsinteresses an den Klägern spricht außerdem maßgeblich, dass den Klägern die Ausreise im Rahmen der organisierten Reise nach Disneyland mit ihren eigenen Pässen und Visa möglich war, obwohl sie angeblich verfolgt wurden. Die Kläger reisten nachgewiesenermaßen ganz legal aus Russland aus. Die Reise führte mit dem Zug von Moskau nach Brest und dort über die Grenze nach Polen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Kläger, sollten sie tatsächlich als Unterstützer eines gesuchten Rebellen angesehen worden sein, auf diesem Weg – trotz stattfindender Grenzkontrollen – hätten ausreisen können.
Allgemein ist außerdem festzustellen, dass die Klägerin zu 1 Geschehnisse am Rande, Gefühlsregungen, Zeitangaben oder ähnliche Angaben, die normalerweise zur Schilderung eines wahrheitsgemäßen Sachverhaltes gehören und die dem Hörer dieser Schilderung ein anschauliches Bild vermitteln, nicht erwähnte. Für das Gericht ist es deshalb nicht glaubhaft, dass die Klägerin zu 1 ein reales Geschehen geschildert hat.
bb) Es liegt auch kein Nachfluchtgrund vor, auf welchen sich die Klägerin zu 1 mit Erfolg berufen könnte. Zwar ermöglich § 28 Abs. 1a AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat.
In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin zu 1 diesbezüglich an, sich wie eine Christin zu kleiden und keinen Hijab mehr zu tragen. Als 50 Jährige Frau müsse sie jedoch die traditionelle Kleidung tragen, ansonsten könne sie getötet werden.
Generell garantiert Art. 28 der russischen Verfassung Gewissens- und Glaubensfreiheit. Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben eine herausgehobene Stellung in der Russischen Föderation, wobei die Russisch-Orthodoxe Kirche vom Staat bevorzugt behandelt wird. Der Islam ist dennoch eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich jedoch von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden. (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 7 f.). Von einer landesweiten Diskriminierung der Klägerin wegen ihres „christlichen“ Kleidungsstiles kann demnach – im Hinblick auf die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit und die bestehende Vielfalt der Religionen in der Russischen Föderation – nicht ausgegangen werden.
In Tschetschenien, der Herkunftsregion der Kläger, setzt Machtinhaber Ramzan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines „nicht traditionellen“ Islams können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte werden. Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem „guten“ sufistischen Islam dem von in weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Kämpfern propagierten „schlechten“ fundamentalistischen Islam entgegenzuwirken. Hierdurch werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Einige der aufgrund der (Re-)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder die Befürwortung der Polygamie, widersprechen zwar russischem Recht. Beobachter sind sich allerdings einig, dass dies von föderaler Seite solange geduldet wird, wie es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage in Tschetschenien zu erhalten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Russische Föderation vom 12.11.2018, S. 62 f.).
Selbst wenn danach in Tschetschenien von einer flüchtlingsrechtlich relevanten, der Klägerin zu 1 drohenden Verfolgung i.S.d. § 3a AsylG auszugehen wäre, wären die Kläger nach § 3e AsylG auf die Möglichkeit internen Schutzes zu verweisen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Für politisch unverdächtige und erwerbsfähige tschetschenische Volkszugehörige besteht in anderen Teilen der Russischen Föderation – jedenfalls außerhalb von Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Dagestan, Nord-Ossetien, Krasnodar und Stawropol – regelmäßig eine inländische Fluchtalternative, in denen sie vor Verfolgung sicher sind und ihr Existenzminimum gesichert ist (so die ganz überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung: BayVGH München, U.v. 31.8.2007, 11 B 02.31724 – juris; U.v. 19.6.2006 – 11 B 02.31598 – juris; U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.30469 – juris; NdsOVG, B.v. 16.1.2007 – 13 LA 67/06 – juris; VGH BW, U.v. 25.10.2006 – A 3 S 46/06 – juris; OVG Saarl, B.v. 12.7.2006 – 3 Q 101/06 – juris; B.v. 29.6.2006 – 3 Q 2/06 – juris; U.v. 23.6.2005 – 2 R 11/03 – juris; OVG SH, U.v. 11.8.2006 – 1 LB 125/05 – juris; U.v. 3.11.2005 – 1 LB 211/01 – juris; OVG NW, U.v. 12.7.2005 – 11 A 2307/03.A – juris; ThürOVG, U.v. 16.12.2004 – 3 KO 1003/04 – juris; HessVGH, U.v. 21.2.2008 – 3 UE 191/07.A – juris, der sogar eine „hinreichende Sicherheit“ in Tschetschenien bejaht).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 1 sich in besonderer Weise politisch oder anderweitig engagiert hätte, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie außerhalb Tschetscheniens im Vergleich zu anderen Tschetschenen besonders auffallen würde. Zwar mag der Kontrolldruck gegenüber „kaukasisch aussehenden“ Personen aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus erheblich sein. In diesem Zusammenhang erfolgende Personenkontrollen und häufig ohne Durchsuchungsbefehle stattfindende Hausdurchsuchungen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 22) weisen jedoch trotz ihres teilweise durchaus diskriminierenden Charakters nicht eine derartige Intensität auf, dass ein Aufenthalt außerhalb des Kaukasus generell als unzumutbar eingestuft werden müsste (ebenso VG Berlin, U.v. 24.3.2015 – VG 33 K 229.13 A – juris Rn. 21). In der Russischen Föderation leben über einhundert anerkannte Nationalitäten sehr unterschiedlicher Größe, die gegenüber der russischen Bevölkerung in den meisten Gebieten in der Minderheit sind. Eine nach ethnischer oder sprachlicher Zugehörigkeit diskriminierende Gesetzgebung gibt es nicht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 15 f.). Was die Gefahr fremdenfeindlicher und rassistischer Übergriffe aus Teilen der Bevölkerung anbelangt, so sind solche zwar ebenfalls nicht zu leugnen (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 7). Blutige Zusammenstöße der Ethnien hat es anders als im Kaukasus selbst in anderen Regionen der Russischen Föderation dagegen nicht gegeben. Es ist zwar zutreffend, dass es insbesondere bei den Antiterroroperationen aus Anlass der Bombenattentate in russischen Großstädten im Jahre 1999 und 2000, für die tschetschenische Kräfte verantwortlich gemacht wurden, zu Kontrollen und Festnahmen insbesondere von Kaukasiern gekommen ist. Dieses – in vielen Fällen aus rechtsstaatlicher Sicht zwar überzogene – Vorgehen hat aber nach Ansicht des Gerichts zunächst einen einsehbaren sicherheitspolitischen Anlass und richtet sich auch nicht in erster Linie gegen Kaukasier, sondern gegen Verdächtige, welche zwar vor allem in den Reihen der Kaukasier vermutet werden, wofür es aber auch sachliche, ermittlungstechnische Anhaltspunkte gab und gibt. Zum anderen ist dieses teilweise überzogene, rechtsstaatlichen Anforderungen und der Achtung der Menschenwürde nicht gerecht werdende Vorgehen in der Praxis jedoch auch weitgehend durch ein allgemein nicht ausgeprägtes oder gar verinnerlichtes rechtsstaatliches Selbstverständnis vieler Amtswalter bzw. eine insoweit fehlende Tradition der Sicherheitsbehörden bedingt, welches bei vergleichbarem Anlass in etwa gleichem Ausmaß auch andere Volkszugehörige treffen würde. Auch wenn der Krieg in Tschetschenien bzw. generell im Kaukasus von offizieller Seite als Vorgehen gegen „Terroristen“ bezeichnet wird und zunehmend die Kennzeichen eines Guerillakrieges annimmt, bestehen doch keine Anhaltspunkte dafür, dass nunmehr jeder tschetschenische und umso mehr jeder Kaukasier allein wegen seiner Volkszugehörigkeit außerhalb des Kaukasus derart intensiv verfolgt wird, dass er in eine ausweglose Lage geriete (vgl. VG Ansbach, U.v. 13.2.2006 – AN 10 K 06.30008). Angesichts der im Verhältnis zur kaukasischen Bevölkerung in der Russischen Föderation (allein in Moskau sollen über 200.000 Tschetschenen leben, vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 14) geringen Opferzahlen kann nicht angenommen werden, dass Kaukasier außerhalb ihrer Heimatregionen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe werden (vgl. VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris Rn 55; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Russische Föderation vom 7.5.2018, S. 93 f.). Für ein „flächendeckendes“, eine reale Gefahr begründendes Vorgehen des russischen Staates gegen zehntausende von tschetschenischen Flüchtlingen und zehntausende von jeher außerhalb Tschetscheniens in der übrigen Russischen Föderation lebende Tschetschenen gibt es im Übrigen auch keinen einsehbaren Grund. Hinsichtlich des Interesses, Tschetschenien wieder unter Kontrolle zu bringen, würde den russischen Staat ein Vorgehen gegen Tschetschenen, welche nicht direkt in Tschetschenien kämpfen oder gekämpft haben und auch nicht außerhalb Tschetscheniens Anschläge verüben oder sich sonst besonders für die tschetschenische Sache engagieren, diesem Ziel nicht näher bringen, sondern die Russische Föderation sähe sich dann einem nochmals verstärkten internationalen Druck ausgesetzt und zudem der Erhöhung des Risikos, dass die Auseinandersetzung noch intensiver und großflächiger in die Russische Föderation getragen würde (vgl. VG Ansbach, U.v. 14.9.2007 – AN 10 K 07.30008 – juris).
Soweit von Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens (und der oben genannten weiteren Regionen) durch die Verweigerung von Registrierungen, polizeiliche Übergriffe, ungerechtfertigte strafrechtliche Anschuldigungen oder fremdenfeindliche Aggressionen auszugehen ist, handelt es sich entweder nicht um asylrelevante Übergriffe oder sie erreichen nicht, auch nicht in der Gesamtschau, eine Häufigkeit bzw. Intensität, dass sie asylrelevante Übergriffe für tschetschenische Flüchtlinge wie die Kläger als nicht ganz entfernte und damit durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen. Es ist auch nicht pauschal davon auszugehen, dass tschetschenische Flüchtlinge wie die Kläger einer realen Gefahr tätlicher Übergriffe in Zusammenhang mit Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen oder der falschen Beschuldigung eines Verbrechens mittels gefälschter Beweismittel, fremdenfeindlichen Übergriffen von Privatpersonen o.ä. ausgesetzt wären (vgl. VG Berlin, U.v. 12.3.2008 – 38 X 33.08 – juris Rn. 65 ff. m.w.N.)
Auch wenn man – die Angaben der Klägerin zu 1 zu ihren Nachfluchtgründen als wahr unterstellt – von einer Verfolgung aus religiösen Gründen ausginge, führte dies nicht dazu, dass eine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e Abs. 1 AsylG zu verneinen wäre. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln betreibt Ramsan Kadyrow als „Oberhaupt“ der Tschetschenischen Republik eine extreme strafrechtliche Verfolgung potentieller Gegner und deren Unterstützer. Dies resultiert daraus, dass Kadyrow die Anti-Terrorismusbekämpfung aufrechterhält, um dem Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin gegenüber das riesige Sicherheitsdispositiv Tschetscheniens zu rechtfertigen. Behörden nutzen jeden Vorwand, um Personen zu verhaften und als Aufständische zu verurteilen. Polizei, Untersuchungsausschuss sowie die Staatsanwaltschaft müssen Ergebnisse in Bezug auf getötete Aufständische, untersuchte Verbrechen oder verurteilte Mitglieder und Unterstützende von illegalen bewaffneten Gruppierungen aufzeigen. Polizei-Departemente müssten monatlich mindestens einen solchen Fall vorbringen (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tschetschenien: Aktuelle Menschenrechtslage, 13.5.2016, S. 16). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows de-facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als „unerwünscht“ erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Russische Föderation vom 12.11.2018, S. 47). Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Russische Föderation vom 12.11.2018, S. 63 m.w.N.). Es ist vor diesem Hintergrund aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln aber nichts dafür ersichtlich, dass der in Tschetschenien bestehende Verfolgungsdruck sich in dieser Form auch in anderen Regionen der Russischen Föderation wiederfinden ließe. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes Kadyrow gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer – anders als bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern – auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Russische Föderation vom 12.11.2018, S. 81 f.). Ebenso wenig liegen gesicherte Erkenntnisse dafür vor, dass Personen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach einer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt wären oder allein deshalb staatlich verfolgt werden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 22).
Zurückkehrenden tschetschenischen Volkszugehörigen ist es auch möglich, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens (und der o.g. Gebiete) ein zumutbares Unter- und Auskommen zu finden. Dabei wird es den Betroffenen regelmäßig zwar nicht leicht gemacht; in der Regel wird es ihnen administrativ erschwert, insbesondere einen legalen Aufenthalt und diesen wiederum insbesondere an bestimmten Orten zu nehmen. Dies ist im Endeffekt jedoch nicht unmöglich, mag es auch nicht immer am bevorzugten Ort oder stets auf Anhieb möglich sein. In diesem Zusammenhang ist auf die Verhältnisse in der Russischen Föderation insgesamt abzustellen, insbesondere ohne die Verhältnisse in den russischen Großstädten, wie etwa Moskau und St. Petersburg, zu verallgemeinern, weil dort u.a. wegen der angespannten Wohnraumsituation ein besonderer Zuwanderungsdruck für die hinsichtlich der restlichen Russischen Föderation (mit Ausnahme Tschetscheniens) nicht repräsentativen Verhältnisse ursächlich ist, wovon im Übrigen nicht nur Tschetschenen betroffen sind. Bei hinreichendem Bemühen können russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit in der Russischen Föderation eine Registrierung erreichen. Sollten die amtlichen Stellen entgegen der Rechtslage eine Registrierung verweigern, können sich Tschetschenen hiergegen mit sehr guten Erfolgsaussichten selbst in Moskau zur Wehr setzen. Darüber hinaus lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass die Registrierungsschwierigkeiten „flächendeckend“ in der Russischen Föderation bestehen. Es gibt Regionen, in denen keine örtlichen Vorschriften zur Registrierung erlassen worden sind oder diese nicht restriktiv angewandt werden, in denen also eine Registrierung leichter möglich ist (vgl. – insbesondere auch zum Registrierungsverfahren – VG Berlin, U.v. 12.3.2008 – 38 X 33.08 – juris Rn. 74 ff.).
Im Übrigen können Tschetschenen auch ohne eine legale Registrierung ein zumutbares Auskommen finden. Die vergleichsweise hohe Zahl der in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen belegt, dass es unabhängig von bürokratischen Schwierigkeiten (etwa bei Registrierung oder Ausweispapierbeschaffung), teilweisen Diskriminierungen und auch Übergriffen von Behördenangehörigen und trotz Ressentiments in der Bevölkerung möglich ist, zumindest einen faktischen Aufenthalt zu erlangen und – wenn auch auf dem landesüblichen niedrigen Niveau – dabei eine wirtschaftliche Grundlage zu finden und sei es auch nur im Bereich der – sehr weit verbreiteten – Schattenwirtschaft (vgl. VG Augsburg, U.v. 12.6.2006 – Au 2 K 05.30203 – juris Rn. 19). Es ist daher davon auszugehen, dass eine Registrierung oder das Innehaben von Personalpapieren zwar durchaus hilft, das Leben in der Russischen Föderation leichter zu gestalten, jedoch nicht unabdingbare Voraussetzung dafür ist, Lebensverhältnisse zu schaffen, welche – unter Berücksichtigung des allgemeinen Lebensstandards in der Russischen Föderation – als zumutbar anzusehen sind (vgl. VG Berlin, U.v. 12.3.2008 – 38 X 33.08 – juris Rn. 79 m.w.N.).
Die Gebiete, in denen eine inländische Fluchtalternative offen steht, sind für die Kläger auch erreichbar. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht dorthin gelangen könnten oder gar mit einer zwangsweisen Rückführung nach Tschetschenien rechnen müssten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018, S. 22 f.). Selbst für den Fall, dass die behördliche Registrierung außerhalb Tschetscheniens verweigert werden sollte, bestünde für die Kläger keine reale Gefahr, zwangsweise nach Tschetschenien zurückkehren zu müssen; für eine Rückverbringung von russischen Staatsangehörigen aus einem Landesteil, in dem sie nicht registriert sind, in ihre Heimat besteht keine Rechtsgrundlage, und es dürfte dem russischen Staat hierfür auch an Mitteln fehlen (OVG NRW, U.v. 12.7.2005 – 11 A 2307/03.A – juris Rn. 107 f.).
Den Klägern ist es daher zumutbar und es kann von ihnen auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum durch eigene Berufstätigkeit (der Klägerin zu 1) gewährleistet ist (vgl. VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris Rn 34 ff. m.w.N.).
Überdies macht das Gericht – ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt – von seinem Ermessen Gebrauch und weist den klägerischen Vortrag hinsichtlich der Verfolgung aus religiösen Gründen als verspätet zurück (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 13.2.2015 – 13a ZB 14.30432 – juris). Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel sind nämlich nicht gemäß § 74 Abs. 2 AsylG innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung der Beklagten angegeben worden (vgl. auch OVG Bautzen, B.v. 18.11.2013 – A 1 A 544/13 – juris). Die Voraussetzungen der Anwendung des § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO, der gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG entsprechende Anwendung findet, lagen vor. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht Tatsachen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würden (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) und der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumnis belehrt worden ist (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Es bestehen vorliegend keine Zweifel daran, dass die Zulassung der erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Tatsachen (kein Hijab, christliche Kleidung und Lebensstil) die Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits verzögern würde, da das Gericht u.U. weitere Nachforschungen anstellen müsste. Eine genügende Entschuldigung dieser Verspätung durch die Klägerin zu 1 ist nicht ersichtlich und auch nicht erfolgt. Es wurde nicht dargelegt warum die Aspekte nicht rechtzeitig in das Klageverfahren eingeführt wurden. Die Beklagte hat die Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung:des angefochtenen Bescheids über die Folgen einer Versäumung der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG belehrt. Auch die Klageeingangsmitteilung des Gerichts vom 18. April 2017 enthielt eine Belehrung gemäß § 74 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO, so dass die Voraussetzungen des § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO vorlagen. (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, B.v. 18.11.2013 – A 1 A 544/13 – juris; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 21 ZB 14.30468 – juris). Zudem wurde in der Ladung vom 14. Dezember 2018*von der Einzelrichterin unter Hinweis auf § 87b Abs. 3 VwGO eine Ausschlussfrist verfügt. Das Gericht macht daher von seinem Ermessen Gebrauch und weist den Vortrag insoweit als verspätet zurück.
cc) Dem Kläger zu 2 steht ebenfalls kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Eine Vorverfolgung scheidet aus, weil die Klägerin zu 1 als seine gesetzliche Vertreterin im gesamten Verfahren keine gesonderten Fluchtgründe für ihren Sohn geltend gemacht hat. Nachdem die Klägerin zu 1 – wie oben beschrieben – für sich keine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG glaubhaft gemacht hat, gilt dies dementsprechend auch für den Kläger zu 2. dd) Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass den Klägern unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht.
2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG. Es fehlt schon offensichtlich an den inhaltlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Flüchtlingsschutz wird verwiesen.
3. Den Klägern steht des Weiteren kein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG zu. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht nur vom Staat drohen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, weil er dort Zugang zu Schutz vor einem solchen ernsthaften Schaden i.S.d. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG). Zunächst wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Klägerin zu 1 hat in der mündlichen Verhandlung und ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 25. Januar 2019 vorgetragen, dass ihr aufgrund der „neuen“ Lebensweise und der nicht mehr islamisch geprägten Kleidung bei einer Rückkehr durch ihre drei Brüder und Cousins drohe. Diese hätten geschworen, ihre Tochter Rajana und sie selbst zu töten, sobald sie zurück nach Russland kämen um die Familienehre zu retten. Die Klägerin zu 1 konnte jedoch nicht schlüssig darlegen, wie sie ihre Brüder bzw. Verwandten bei einer Rückkehr nach Russland überhaupt finden sollten, wenn die Familie sich nicht in Tschetschenien, sondern einem anderen Teil Russlands niederlassen sollte (vgl. dazu auch die Ausführungen unter Punkt 1 b) bb) zur inländischen Fluchtalternative). Die Klägerin zu 1 führte in der mündlichen Verhandlung hierzu lediglich aus, in Russland sei alles bekannt, egal wo man sich aufhielte. Die Leute wüssten auch, wenn Personen abgeschoben würden. Diese pauschale Einlassung überzeugt die Einzelrichterin nicht. Die Klägerin gab nämlich direkt anschließend auf Vorhalt des Gerichts zu, dass es richtig sei, dass die Verwandtschaft nichts davon wüsste, dass ihre beiden volljährigen Söhne bereits seit ihrer Abschiebung im November 2018 bei ihrem Neffen lebten.
Auch insoweit ist also nicht im Ansatz erkennbar, weshalb den Klägerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG drohen sollte.
Ferner wurde dieser Punkt erstmals im Schreiben vom 25. Januar 2019, welches bei Gericht am 28. Januar 2019 einging, angesprochen. Das Gericht macht daher auch diesbezüglich von seinem Ermessen Gebrauch und weist den Vortrag insoweit als verspätet zurück (vgl. Ausführungen unter Punkt 1 b) bb)).
4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird ebenfalls auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 VwGO).
a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Russischen Föderation führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Die Klägerin zu 1 ist gesund und erwerbsfähig und hat selbst angegeben, die Familie auch bisher alleine versorgt zu haben. Sie hat eine abgeschlossene Berufsausbildung und in Russland ihr eigenes Geschäft betrieben. Es ist nicht ersichtlich und nichts vorgetragen, dass die Klägerin zu 1 zur Versorgung der Familie an diese Verhältnisse nicht anknüpfen könnte. Selbst wenn sie einer derartigen Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann, ist es ihr zur Sicherung des Existenzminimums zumutbar, sämtliche Tätigkeiten – auch schlichte Hilfstätigkeiten – auszuüben. Der Kläger zu 2 ist mittlerweile 12 Jahre alt und könnte während der Arbeitszeiten der Klägerin zu 1 auch alleine bleiben. Darüber hinaus verfügen die Kläger über familiären Rückhalt in der Russischen Föderation, sodass bei einer Rückkehr in Notsituationen von einer Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes auszugehen ist. Der Neffe der Klägerin hilft auch bereits den beiden bereits abgeschobenen volljährigen Söhnen der Klägerin. Überdies hat die Russische Föderation ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 101 ff.). Auch hier können die Kläger ggf. auf Unterstützungsleistungen zurückgreifen. Die hohen Voraussetzungen für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind daher schon im Ansatz nicht erfüllt.
b) Den Klägern droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Aus den für die Klägerin zu 1 im Laufe des Verfahrens angegebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergibt sich kein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat wesentlich verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Darüber hinaus kann sich – trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung – das Abschiebungsverbot aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung mit einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer wesentlichen Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt jedoch nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr entspricht der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr für „diesen Ausländer“ das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten oder erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris; VG Bayreuth, U.v. 8.8.2018 – B 7 K 17.33133 – juris).
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene schwerwiegende Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes gesprochen werden, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren physischen oder psychischen Schäden oder Zuständen. Dies stellt auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klar, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt. Insbesondere ist es gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation mit der der Versorgung in Deutschland vergleichbar ist (vgl. zum Ganzen auch VG Bayreuth, U.v. 25.01.2018 – B 7 K 17.31917 – juris und VG Bayreuth, U.v. 8.8.2018 – B 7 K 17.33133 – juris).
Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Klägerin zu 1 eine wesentliche Verschlechterung einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung alsbald nach der Rückkehr in die Russische Föderation droht. Eine psychische Erkrankung der Klägerin zu 1 wurde nicht substantiiert dargelegt, da keine aktuellen Atteste vorgelegt wurden. Die letzten, noch im behördlichen Verfahren eingereichten Atteste datieren auf Juli 2014 – Rückschlüsse auf den momentanen Gesundheitszustand der Klägerin lassen sich jedoch aus über viereinhalb Jahre alten Attesten nicht ziehen.
Die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c AufenthG, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, kann damit dementsprechend nicht widerlegt werden.
Auch aus der am 28. Januar 2019 bei Gericht eingegangenen „Bescheinigung“ der Hypnose-Praxis … vom 15. Januar 2019 ergibt sich nichts anderes. Zum einen handelt es sich bereits nicht um ein fachärztliches Attest, denn die Unterzeichnerin ist Diplom-Psychologin. Zum anderen ist auch keine Diagnose enthalten und werden der Anamnese die Angaben der Klägerin zu 1 ungefiltert zu Grunde gelegt.
Grundsätzlich wird die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation zwar nicht dem Standard in Deutschland entsprechen, dennoch besteht auch für das Gericht kein ernstlicher Zweifel daran, dass hieraus für die Klägerin zu 1 eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben entsteht. Hinsichtlich des Klägers zu 2 wurden keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen geltend gemacht.
5. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gem. § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn sie sind, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtlinge anzuerkennen. Ihnen steht auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Sie besitzen zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
6. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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