Aktenzeichen M 12 E 18.1320
ZPO § 579
Leitsatz
1 Das Wiederaufnahmeverfahren ist auch gegen der Rechtskraft fähige verfahrensbeendende Beschlüsse statthaft (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 45386). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Gegen einen im Verfahren gem. § 123 VwGO ergangenen Beschluss ist ein Nichtigkeitsfeststellungantrag mangels Rechtskraftfähigkeit nicht statthaft. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Nichtigkeitsantrag gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2017 (M 12 E 17.3862) wird als unzulässig verworfen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der am … … … geborene Antragsteller ist wohnungslos und beantragte am *. Mai 2017 die Registrierung für eine öffentlich geförderte Wohnung.
Mit Bescheid vom 26. Juni 2017 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller für eine öffentlich geförderte Wohnung vorgemerkt. Als angemessene Wohnungsgröße wurde ein Wohnraum mit einer Fläche ab 10 qm festgesetzt. Die Dringlichkeit des Antrags wurde mit 108 Punkten (96 Grundpunkte, 10 Vorrangpunkte, 2 Anwesenheitspunkte) in Rangstufe I festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom … Juli 2017 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Sozialgericht München gestellt. Mit Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. Juli 2017 wurde der Rechtsstreit an das Bayerische Verwaltungsgericht München verwiesen.
Mit Beschluss vom 29. September 2017 hat das Bayerische Verwaltungsgericht München den Antrag vom … Juli 2017 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom … November 2017 hat der Antragsteller zum Bayerischen Landessozialgericht „Nichtigkeitsfeststellungsklage“ u.a. gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2017 erhoben.
Mit Beschluss vom 2. März 2018 hat das Bayerische Landessozialgericht die „Nichtigkeitsfeststellungsklage“ gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2017 an das Bayerische Verwaltungsgericht München verwiesen.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 29. März 2018 beantragt,
den Nichtigkeitsantrag gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2017 abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die „Nichtigkeitsfeststellungsklage“ hat keinen Erfolg.
Der vom Antragsteller als „Nichtigkeitsfeststellungsklage“ bezeichnete außerordentliche Rechtsbehelf ist als Nichtigkeitsantrag gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2017 auszulegen. Das Wiederaufnahmeverfahren gem. § 153 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist, seinem Zweck entsprechend, ausnahmsweise aus Gründen materieller Gerechtigkeit nicht mehr anfechtbare Gerichtsentscheidungen aufzuheben, auch gegen der Rechtskraft fähige verfahrensbeendende Beschlüsse statthaft (BVerwG, B.v. 8.4.2015 – 1 A 7.15 – juris Rn. 2). Soweit das Wiederaufnahmeverfahren sich gegen einen Beschluss richtet, wird es jedoch nicht durch eine Klage, sondern durch einen Antrag eröffnet, über den durch Beschluss zu entscheiden ist (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 153 Rn. 5). Wird der Rechtsbehelf fälschlicherweise als „Klage“ bezeichnet, kann ihn das Gericht als „Antrag“ auslegen (BVerwG, B.v. 17.3.2015 – 5 A 2.15, 5 PKH 16.15 – juris; BVerwG, B.v. 12.5.2016 – 1 A 4.16 – juris).
Der Nichtigkeitsantrag ist jedoch unzulässig.
Der Nichtigkeitsantrag ist schon nicht statthaft. Der streitgegenständliche Beschluss ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO ergangen. Beschlüsse unterliegen entsprechend § 153 VwGO der Wiederaufnahme jedoch nur, wenn sie – wie Endurteile – ein Verfahren abschließen (s.o.). Dies trifft für gerichtliche Entscheidungen, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80, 123 VwGO ergangen sind, nicht zu. Gem. § 80 Abs. 7 VwGO können Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Sie erwachsen daher nicht in (formelle) Rechtskraft im herkömmlichen Sinn, sondern entfalten lediglich (bis zu ihrer Aufhebung oder Änderung) Bindungswirkung. Auch im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gilt nichts anderes. Auch dort kann das Gericht, das die einstweilige Anordnung erlassen hat, in analoger Anwendung der Vorschriften des § 927 ZPO, § 80 Abs. 7 VwGO auch außerhalb des Rechtsbehelfsverfahrens bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage auf Antrag oder von Amts wegen jederzeit seine Entscheidung aufheben oder ändern (vgl. BayVGH, U.v. 1.3.1994 – 20 A 93.3184 – beck-online; BVerwG, B.v. 17.10.1983 – 2 WBW 1/83 – juris; Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 153 Rn. 6; Kopp/Schenke, a.a.O.; a.A. Happ in Evermann, a.a.O., § 123 Rn 76).
Darüber hinaus wurde ein Wiederaufnahmegrund gem. § 153 VwGO i.V.m. § 579 Zivilprozessordnung (ZPO) auch nicht substantiiert und schlüssig dargelegt (vgl. Rennert in Eyermann, a.a.O., § 153 Rn. 17). Die Nichtigkeitsklage bzw. der Nichtigkeitsantrag findet gem. § 153 VwGO i.V.m. § 579 ZPO statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr. 1), wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist (Nr. 2), wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr. 3) oder wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr. 4). In den Fällen der Nrn. 1 und 3 findet die Klage bzw. der Antrag nach § 579 Abs. 2 ZPO nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte. Von der Möglichkeit der Beschwerde gegen den Beschluss vom 29. September 2017 hat der Antragsteller keinen Gebrauch gemacht. Im Übrigen sind Wiederaufnahmegründe gem. § 579 Abs. 1 ZPO weder substantiiert vorgetragen worden noch ersichtlich.
Nach alledem ist der Nichtigkeitsantrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen (§ 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 VwGO).