Verwaltungsrecht

Unterlassener Beschluss über eine in der mündlichen Verhandlung erhobene Gegenvorstellung stellt keinen Verfahrensmangel dar

Aktenzeichen  11 ZB 17.31318

Datum:
20.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133228
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 86 Abs. 2, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3, § 146 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, S. 2
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es stellt keinen Verfahrensmangel dar, wenn das Verwaltungsgericht über eine Gegenvorstellung gegen die Ablehnung des Beweisantrags nicht durch förmlichen Beschluss entscheidet (Rn. 3). (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Diplom-Pädagogin ist kein geeignetes Beweismittel für medizinische Fragestellungen, da es ihr an medizinischem Sachverstand fehlt (Rn. 9). (redaktioneller Leitsatz)
3 In Fällen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist die Abschiebung grundsätzlich möglich, es sei denn, es liegt ein besonders gelagerter Ausnahmefall vor, in dem es zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung kommen könnte (Rn. 12). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 9 K 17.33235 2017-08-17 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt sind (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
1. Die Auslegung des Berufungszulassungsantrags vom 21. September 2017 ergibt, dass die Kläger einen Verfahrensmangel in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO geltend machen möchten, da das Verwaltungsgericht ihren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag abgelehnt hat.
Soweit die Kläger rügen, das Verwaltungsgericht habe über ihre Gegenvorstellung gegen die Ablehnung des Beweisantrags nicht durch Beschluss entschieden, stellt dies keinen Verfahrensmangel dar. Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen können nach § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Eine Gegenvorstellung ist im Prozessrecht nicht vorgesehen, sondern stellt eine Anregung dar, eine nicht mit Rechtsmitteln angreifbare gerichtliche Entscheidung im Rahmen der Selbstkontrolle nochmals zu prüfen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Vorb § 124 Rn. 9). Ein förmlicher Beschluss über eine in der mündlichen Verhandlung erhobene Gegenvorstellung ist deshalb nicht erforderlich (vgl. Kopp/Schenke a.a.O. Rn. 9). Das Verwaltungsgericht hat in den Urteilsgründen auch zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen es der Gegenvorstellung nicht folgt.
2. Die Ablehnung von Beweisanträgen i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn.10 m.w.N.). Das rechtliche Gehör ist aber nur versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 4).
Das bezeichnete Beweismittel muss dabei geeignet sein, für den entsprechenden Umstand Beweis zu erbringen (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 86 Rn. 27). Bei einem Beweisantrag zur Vernehmung eines sachverständigen Zeugen muss in nachvollziehbarer Weise dargelegt werden, weshalb die betreffende Person Kenntnis von der in ihr Wissen gestellten Tatsache haben kann und welche rechtlich erheblichen Bekundungen über ihre konkreten Wahrnehmungen zu erwarten sind (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2000 – 9 B 518/99 – InfAuslR 2000, 412 = juris Rn. 11).
Die Ablehnung eines Beweisantrags ist insbesondere auch dann zulässig, wenn das Klagevorbringen keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – InfAuslR 1990, 38 = juris Rn. 8; Geiger in Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 38).
Ist die Begründung der Ablehnung eines unbedingten Beweisantrags prozessordnungswidrig und wird sie erst in den schriftlichen Urteilsgründen durch eine prozessordnungsgemäße Begründung ersetzt, ist eine Gehörsrüge nur dann schlüssig erhoben, wenn dargelegt wird, wie der Betreffende sich auf die erst durch das Urteil bekannt gewordenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe erklärt hätte (vgl. HessVGH, B.v. 14.2.2002 – 9 ZU 1249/98.A – juris; OVG NW, B.v. 25.4.2002 – 8 A 1530/02.A – AuAS 2002, 212; BVerwG, B.v. 13.9.1977 – V CB 68.74 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 20).
3. Hiervon ausgehend ist die Gehörsrüge nicht begründet. Zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger zu 2 unter einer schweren Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung und einem Verdacht auf atypischen Autismus leide und bei Abbruch des engmaschigen und tragenden Therapiebündnisses eine drastische Gesundheitsverschlechterung zu erwarten sei, beantragten die Kläger in der mündlichen Verhandlung den Leitenden Oberarzt Dr. H… und die Diplom-Pädagogin M. P… als Sachverständige zu hören. Das Verwaltungsgericht legte den Beweisantrag dahingehend aus, dass die Einvernahme der beiden Personen als sachverständige Zeugen beantragt sei und lehnte ihn mit der Begründung ab, es sei nicht hinreichend dargelegt, dass die als sachverständige Zeugen benannten Personen etwas anderes aussagen könnten als sie schon in den schriftlichen Arztbriefen und Bescheinigungen ausgeführt hätten. Darüber hinaus sei nicht dargelegt, dass der Leitende Oberarzt den Kläger zu 2 selbst medizinisch betreut habe und die Sozialpädagogin habe keinen ärztlichen Status.
Soweit die Kläger beantragt haben, Frau Diplom-Pädagogin M. P… als sachverständige Zeugin zu medizinischen Fragen zu hören, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag ohne Rechtsfehler abgelehnt, da es einer Diplom-Pädagogin an medizinischem Sachverstand fehlt und sie daher kein geeignetes Beweismittel für medizinische Fragestellungen ist.
Auch den Antrag auf Einvernahme des Leitenden Oberarztes Dr. H… hat das Verwaltungsgericht nicht in willkürlicher Weise abgelehnt.
Aufgrund der ärztlichen Bescheinigungen vom „14.0.2016“, 22. Juni 2017 und 19. Juli 2017 steht fest, dass Dr. H… von der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und dem Verdacht auf einen atypischen Autismus bei dem Kläger zu 2 ausgegangen ist. Auch das Bundesamt hat seinem Bescheid vom 24. Mai 2017 zugrunde gelegt, dass eine solche Gesundheitsstörung vorliegt, die durch die Bombeneinschläge in der Schule des Klägers zu 2 und im Wohnhaus der Kläger hervorgerufen worden sei. Die Einvernahme des Dr. H… zu der Frage, ob beim Kläger zu 2 eine solche Gesundheitsstörung vorliegt, ist daher nicht erforderlich.
Hinsichtlich der Frage, ob es sich bei der diagnostizierten Gesundheitsstörung des Klägers zu 2 um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der ab 17. März 2016 geltenden Fassung (BGBl I S. 390) klarstellen wollte, dass aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen) als Abschiebungshindernis nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellen (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann nach der Gesetzesbegründung bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) regelmäßig nicht angenommen werden. In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung grundsätzlich möglich, es sei denn, sie würde zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen (BT-Drs. 18/7538 a.a.O.). Somit könnte ein Abschiebungshindernis wegen der diagnostizierten PTBS des Klägers zu 2 allenfalls in einem besonders gelagerten Ausnahmefall angenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 11 ZB 17.31463).
Mit den aktuellen ärztlichen Bescheinigungen des Dr. H… vom 22. Juni 2017 und 19. Juli 2017 wird ausgeführt, dass nicht absehbar sei, ob und in welchem Umfang es durch die Rückkehr ins Heimatland zu einer erneuten Verunsicherung und psychischen Erschütterung des Klägers zu 2 kommen werde, eine Retraumatisierung sei aber nicht auszuschließen. Es würde sehr wahrscheinlich negative Auswirkungen haben, wenn die Rückkehr unvermittelt und unvorbereitet geschehen würde.
Die Kläger haben demgegenüber nicht hinreichend dargelegt und es musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht aufdrängen, dass es sich beim Kläger zu 2 um einen besonders gelagerten Ausnahmefall handeln könnte, bei dem durch den Abbruch der Behandlung der PTBS in Deutschland und Rückkehr in die Ukraine eine wesentliche Gesundheitsgefährdung i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eintreten werde. Den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen lässt sich die Gefahr einer so massiven Gesundheitsverschlechterung nicht entnehmen. Dass Dr. H… entsprechende Wahrnehmungen gemacht hat, die in den von ihm unterzeichneten ärztlichen Bescheinigungen, die ausdrücklich zur Vorlage beim Amt bestimmt waren, keinen Niederschlag gefunden haben, ist nicht ersichtlich.
Rechtlich vertretbar ist das Verwaltungsgericht daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einvernahme des Dr. H … nicht geboten war.
4. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung nicht prozessordnungsgemäß begründet worden ist, könnte die Gehörsrüge keinen Erfolg haben. In den Urteilsgründen hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Beweiserhebung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 VwGO schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt und die Beweismittel verspätet angegeben worden seien. Damit setzt sich die Antragsbegründung auch nicht ansatzweise auseinander und legt nicht dar, wie die Kläger auf diese erst durch das Urteil bekannt gewordenen Ablehnungsgründe in der mündlichen Verhandlung reagiert hätten.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass psychische Erkrankungen auch im Heimatland der Kläger grundsätzlich behandelbar sind und die den Kläger zu 2 derzeit behandelnden Ärzte davon ausgehen, dass mit einer Vorbereitung auf die Rückkehr, die Folgen gemildert werden können. Es ist daher Sache der Klägerin zu 1 als Erziehungsberechtigter, dafür Sorge zu tragen, dass der Kläger zu 2 auf die Rückkehr angemessen vorbereitet wird.
5. Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15/03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 32. Erg.lfg. Oktober 2016, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52/14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ, a.a.O.; Rudisile, a.a.O.). Der Antragsbegründung kann schon kein Rechtssatz entnommen werden, den das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll und der von einem Rechtssatz der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht, sondern es wird nur die inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils kritisiert. Dies kann aber nicht zur Zulassung der Berufung führen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
7. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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