Aktenzeichen M 2 K 16.5973
AGVwGO Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Leitsatz
1 Soweit das Landesrecht ein Wahlrecht einräumt, Widerspruch einzulegen oder unmittelbar Klage zu erheben, wird eine unmittelbare Klage nach Einlegung eines Widerspruchs bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens unzulässig, sofern nicht die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) vorliegen (Anschluss an VGH München BeckRS 2012, 25729). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einer verfrühten Klageerhebung kommt jedenfalls in den Fällen des Wahlrechts zwischen Widerspruch und unmittelbarer Klageerhebung vor Ablauf der Frist des § 75 S. 2 VwGO auch keine Aussetzung gemäß bzw. entsprechend § 75 S. 3 VwGO oder ein „schlichtes Liegenlassen“ der Klage in Betracht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage war abzuweisen, da sie unzulässig ist.
Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Nr. 1 AGVwGO kann gegen einen Verwaltungsakt im Bereich des Kommunalabgabenrechts – dazu gehören u.a. auch Vorausleistungsbescheide auf den Erschließungsbeitrag – wahlweise Widerspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben werden. Die Kläger haben durch ihre Widersprüche vom 5. Dezember 2016 gegen die Bescheide vom 18. November 2016 von der erstgenannten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dies hat zur Folge, dass vorliegende Anfechtungsklage gegen diese Bescheide bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens unzulässig ist, sofern nicht die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) vorliegen (vgl. dazu BayVGH, B. v. 10.2.2012 – 11 ZB 11.2813 – juris Rdnr. 40 m.w.N.; VG Bayreuth, GB. v. 5.9.2014 – B 1 K 14.521 – juris Rn. 16 m.w.N).
Vorliegend ist das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen: Bei den „Bescheiden“ der Beklagten vom 6. und 8. Dezember 2016 handelt es sich nicht um Widerspruchsbescheide. Vielmehr werden mit diesen die Anträge der Kläger auf Aussetzung der Vollziehung vom 5. Dezember 2016 abgelehnt. Dies geht aus diesen Bescheiden eindeutig hervor und war auch für die Kläger ohne weiteres zu erkennen (siehe nur den Tenor der Bescheide vom 6. und 8. Dezember 2016 und den Hinweis am Ende dieser Bescheide). Daran können auch die von den Klägern im Schriftsatz vom 18. Januar 2017 vorgebrachten „besonderen Umstände“ (u.a. die Beklagte habe zum Widerspruchsvorbringen inhaltlich Stellung genommen; es sei kein Hinweis erfolgt, dass die Widerspruche an die Widerspruchsbehörde weitergegeben worden seien; es habe an Transparenz der Bescheide gefehlt; es sei auf eine Belehrung über die Unzulässigkeit der Klage vor einem endgültigen Widerspruchsbescheid verzichtet worden) nichts ändern.
Die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage sind noch nicht erfüllt, da bereits die nach § 75 Satz 2 VwGO vor einer Untätigkeitsklage abzuwartende Dreimonatsfrist seit der am 5. Dezember 2016 erfolgten Widerspruchseinlegung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch nicht abgelaufen ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine Untätigkeitsklage ausnahmsweise bereits vorher zulässig ist, wurden seitens der Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere führen auch die von den Klägern im Schriftsatz vom 18. Januar 2017 vorgebrachten „besonderen Umstände“ nicht zu einer Verkürzung der Dreimonatsfrist.
Bei einer verfrühten Klageerhebung kommt jedenfalls in den Fällen des Wahlrechts zwischen Widerspruch und unmittelbarer Klageerhebung gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AGVwGO vor Ablauf der Frist des § 75 Satz 2 VwGO auch keine Aussetzung gemäß bzw. entsprechend § 75 Satz 3 VwGO oder ein „schlichtes Liegenlassen“ der Klage in Betracht: Der Gesetzgeber sieht vor, dass der Betroffene „entweder Widerspruch einlegen oder unmittelbar Klage erheben“ kann. Wäre bei verfrühter Klageerhebung auch vor Ablauf der Frist des § 75 Satz 2 VwGO das Verfahren stets auszusetzen oder wäre das Gericht gehalten, die Klage bis zum Ablauf dieser Frist schlicht liegenzulassen, eröffnete sich für den Betroffenen jedenfalls faktisch die Möglichkeit, stets zugleich Widerspruch einzulegen und unmittelbar Klage zu erheben. Es liegt auf der Hand, dass dies mit dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AGVwGO und dem Sinn und Zweck eines Wahlrechts unvereinbar wäre.
Nach alledem ist die Klage bereits unzulässig. Auf die im Rahmen der Begründetheit zu prüfenden materiell-rechtlichen Rügen der Kläger kommt es daher nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).