Aktenzeichen W 6 E 20.505
Leitsatz
Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist auch im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO angesichts der dringenden praktischen Notwendigkeit hierfür ein Antrag auf Abänderung der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO analog statthaft. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren mit ihrem Antrag die Untersagung von Abschiebungsmaßnahmen.
Die Antragsteller sind ukrainische Staatsangehörige und reisten am 22. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die von ihnen gestellten Asylanträge lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 4. September 2017 ab, die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil vom 29. August 2018 (Az.: W 6 K 17.33284) abgewiesen. Nachdem der hiergegen gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 5. Oktober 2018 durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abgelehnt wurde (Az.: 11 ZB 18.32464), sind die Antragsteller ausreisepflichtig. Einen am 15. Oktober 2018 gestellten Antrag auf vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurde mit Beschluss vom 12. November 2018 (Az.: W 6 E 18.1288) abgelehnt. Ein weiterer am 21. Januar 2019 gestellter Antrag auf vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurde mit Beschluss vom 5. Februar 2019 (Az.: W 6 E 19.51) abgelehnt; die hiergegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 5.3.2020 – 19 CE 19.361). Der am 3. März 2020 gestellte weitere Antrag auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung wurde mit Beschluss vom 25. März 2020 (Az.: W 6 E 20.378) als unzulässig abgelehnt.
Mit bei Gericht per Fax am 7. April 2020 eingegangenen Schreiben ließen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz erheben und beantragen,
dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller durchzuführen,
hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, zehn Tage vor geplanter Abschiebung den Abschiebetermin den Bevollmächtigten schriftlich mitzuteilen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) eine Reiseunfähigkeit anzunehmen sei und eine ärztliche Bescheinigung eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie R. K. vom 2. März 2020 vorgelegt.
Der Antragsgegner, vertreten durch die Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde -, beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Es wurde vorgebracht, dass der Sachverhalt gegenüber dem Beschluss des angerufenen Gerichts vom 25. März 2020 (Az.: W 6 E 20.378) unverändert sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 E 18.1288, W 6 E 19.51 und W 6 E 20.378 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der gestellte Antrag ist in Anwendung von § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Abänderung der Entscheidung vom 5. Februar 2019 (Az.: W 6 E 19.51) über eine Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begehrt wird.
Das angerufene Gericht hat vorliegend jeweils mit Beschluss vom 12. November 2018 und 5. Februar 2019 über eine Aussetzung der Abschiebung in der Sache negativ entschieden und damit die gestellten Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz in der Sache abgelehnt. Beide Entscheidungen sind rechtskräftig. Dagegen wurde der letzte Antrag vom 3. März 2020 als unzulässig abgelehnt (VG Würzburg, B.v. 25.3.2020 – W 6 E 20.378). Der erneute Antrag vom 7. April 2020, mit dem wiederholt die Aussetzung der Abschiebung nach § 123 VwGO begehrt wird, richtet sich daher auf eine Abänderung der zuletzt getroffenen Sachentscheidung (B.v. 15.2.2019 – W 6 E 19.97) gemäß § 80 Abs. 7 VwGO analog (vgl. ausführlich hierzu BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 10 CE 19.650 – juris Rn. 17 m.w.N.). Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist auch im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO angesichts der dringenden praktischen Notwendigkeit hierfür ein Abänderungsverfahren statthaft. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Antragsteller sich auf geänderte Umstände berufen kann.
2. Der Antrag ist mangels Antragsbefugnis unzulässig, denn die Antragsteller haben keine veränderten Umstände gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog vorgetragen.
Wie bereits im Beschluss vom 25. März 2020 im vorangegangenen Verfahren W 6 E 20.378 ausgeführt, sind im Gegensatz zum amtswegigen Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO beim Verfahren auf Antrag eines Beteiligten gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO veränderte Umstände erforderlich. Eine gerichtliche Abänderungsentscheidung setzt voraus, dass der Antrag zulässig und begründet ist (Schoch/Schneider/Bier, 36. EL Februar 2019, § 80 Rn. 571). Im Rahmen der Antragsbefugnis ist beim Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO daher zu prüfen, ob der Antragsteller veränderte oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemachte Umstände vorträgt, aus denen sich die Möglichkeit einer Änderung der früheren Eilentscheidung ergibt (Schoch/Schneider/Bier, a.a.O. Rn. 575). „Veränderte Umstände“ gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die einen Beteiligten zur Stellung eines Antrags berechtigen, sind bei einer Veränderung der Tatsachenlage gegeben (BVerfG NVwZ 2008, 417). Sie liegen aber auch vor bei einer sich nachträglich ergebenden „Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage“ (OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2012, 60449; Schoch/Schneider/Bier a.a.O. Rn. 585). Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO müssen die Umstände nicht in jedem Fall nachträglich entstanden sein, sondern es genügt, dass der Beteiligte sie schuldlos im ursprünglichen Verfahren nicht vorbringen konnte (BeckOK VwGO/Gersdorf, 50. Ed. 1.7.2018, VwGO § 80 Rn. 200). Prozessrechtliche Voraussetzung für die Ausübung der im Rahmen des § 80 Abs. 7 VwGO (analog) dem Gericht eröffneten Abänderungsbefugnis ist eine Änderung der maßgeblichen Umstände, auf die die frühere Entscheidung gestützt war (BVerwG, B.v. 25.8.2008 – 2 VR 1/08 – juris Rn. 5). Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Entscheidung ergeben (BVerwG, B.v. 29.1.1999 – 11 VR 13/98 – juris Rn. 2).
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen ist es damit ausreichend, aber auch erforderlich, dass für das Bejahen einer Antragsbefugnis veränderte Umstände in dem Sinne geltend gemacht werden, dass der Antragsteller, der die Abänderung einer vorhergehenden gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) begehrt, einen schlüssigen Vortrag zur Änderung der Sach- oder Rechtslage, auch der Prozesslage, vorbringt (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Schoch, 37. EL Juli 2019, VwGO § 80 Rn. 576).
Daran fehlt es vorliegend. Der Antragsschriftsatz verweist zur Begründung der behaupteten Reiseunfähigkeit lediglich auf das beigelegte Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie R.K. vom 2. März 2020 für die Antragstellerin zu 2). Hieraus geht jedoch hervor, dass die Behandlung der Antragstellerin zu 2) mittels ambulanter verhaltenstherapeutischer Therapie bei dem unterzeichnenden Arzt zum 31. Dezember 2019 geendet hat. Die ärztliche Exploration der Antragstellerin zu 2) erfolgte ausweislich des Attestes am 5., 12. und 19. November 2018. Inwieweit dieses Attest, das inhaltlich offenkundig keine Aussagen zum gegenwärtigen Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2) machen kann, überhaupt Aussagekraft für das vorliegende Verfahren entfalten könnte, ist weder ersichtlich noch dargelegt. Der Antragstellerbevollmächtigte hat hierzu keine Ausführungen gemacht. Ungeachtet dessen ist das vorgelegte Attest vom 2. März 2020 inhaltsgleich mit dem bereits im Verfahren W 6 E 19.51 vorgelegten Attest desselben Facharztes vom 23. November 2018, in welchem der Antragstellerin zu 2) eine depressive Episode mit schwerem Ausprägungsgrad (ICD-10 F 32.2) attestiert wird. Damit ist das nunmehr vorgelegte Attest vom 2. März 2020 trotz eines aktuellen Datums inhaltlich veraltet und möglicherweise überholt. Folglich handelt es sich gerade um keine neu vorgetragenen Umstände. Die bloße Vorlage ärztlicher Atteste, die zwar unter einem aktuellen Datum ausgestellt wurden, jedoch inhaltlich die Wiederholung von bereits aus dem abschlägig durch das Gericht entschiedenen Vorverfahren bekannten Diagnosen darstellen, stellt schon denknotwendig keine Veränderung der Sachlage dar.
Bei den weiter im Antragsschriftsatz enthaltenen Ausführungen handelt es sich lediglich um abstrakte und allgemeine rechtliche Ausführungen, deren Bezug zum vorliegenden Fall mit keinem Wort hergestellt wird, und die im Übrigen wortgleich mit dem Schriftsatz vom des Antragstellerbevollmächtigten vom 24. März 2020 im Verfahren W 6 E 20.378 sind.
Sonstige Umstände sind weder vorgetragen noch ersichtlich, sodass nicht erkennbar ist, auf welche Veränderung der Sach- oder Rechtslage die Antragsteller ihre Antragsbefugnis stützen wollen. Der pauschale Hinweis, dass es fraglich sei, ob die Antragsteller in Anbetracht der momentanen Corona-Pandemie in ihrem Heimatland überhaupt adäquat versorgt werden könnten, ist keine Frage der Reisefähigkeit im engeren Sinne, sondern ggf. eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots. Die Möglichkeit einer Abänderung der früheren gerichtlichen Eilentscheidung ist damit nicht gegeben.
Nachdem schlechterdings keine veränderten Umstände gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geltend gemacht werden, ist der Antrag schon unzulässig.
3. Das mit Schriftsatz vom 17. April 2020 beantragte Fristverlängerungsgesuch bis zum 20. Mai 2020 konnte das Gericht ablehnen, da „erhebliche Gründe“ im Sinne von § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO, welche die beantragte Fristverlängerung rechtfertigen könnten, weder vorgetragen und glaubhaft gemacht wurden noch unabhängig davon ersichtlich sind.
Durch richterliche Anordnung können im Verwaltungsprozess richterliche und gesetzliche Fristen abgekürzt und verlängert werden, gesetzliche Fristen jedoch nur, soweit dies ausdrücklich bestimmt ist (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung über die Fristverlängerung oder -verkürzung liegt im – pflichtgemäßen – Ermessen des Gerichts, welches u.a. eingeschränkt wird durch das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und der Rücksichtnahme auf Interessen des Antragsgegners (Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, VwGO § 57 Rn. 40).
So kommt dem Beschleunigungsgebot in einem – wie hier – Eilverfahren besondere Bedeutung zu, denn eine zügige Entscheidung liegt in der Natur der Sache. Dagegen hätte die beantragte Fristverlängerung dazu geführt, dass das laufende Eilverfahren bis zum beantragten Fristablauf am 20. Mai 2020 bereits über sechs Woche anhängig gewesen wäre. Die Stellungnahme des Antragstellers müsste wiederum zur Wahrung des rechtlichen Gehörs dem Antragsgegner zur Kenntnis und Gelegenheit zur Stellungnahme zukommen. Damit hätte die beantragte Fristverlängerung im Ergebnis zu einer erheblichen Verzögerung geführt, die bereits für sich gesehen in der Regel kaum mit der besonderen Eilbedürftigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes zu vereinbaren ist. Hinzu kommt, dass die vom Antragstellerbevollmächtigten vorgebrachte Begründung der Fristverlängerung, nämlich die Einschränkungen durch die aktuell bestehende Corona-Krise, vorliegend nicht zu tragen vermag, da die Nutzung der Kommunikationswege über Telefon, Fax und E-Mail uneingeschränkt möglich ist, sodass ein zeitnaher Austausch mit den Mandanten gegeben ist. Ungeachtet dessen ist nicht ersichtlich, weshalb es für die vorliegend im Raum stehende rechtliche Beurteilung der Aussagekraft und damit rechtliche Relevanz des vorgelegten ärztlichen Attestes vom 2. März 2020 überhaupt erforderlich sein sollte, dass der Antragstellerbevollmächtigte eine – noch dazu persönliche – Rücksprache mit seiner Mandantschaft abhalten müsste.
4. Nach all dem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 sowie 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war der in Nr. 8.3 genannte halbe Auffangstreitwert pro Person zu halbieren, so dass 2.500,00 EUR festzusetzen waren.