Aktenzeichen M 6 S 16.51134
Leitsatz
1 Ein irrtümlich erstellter und nicht versandter Bescheid stellt keinen Verwaltungsakt dar, der mit der Anfechtungsklage angefochten werden könnte. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein aus dem Umstand, dass ein in der Akte befindlicher Bescheid nicht unterschrieben und weder ein Anschreiben an den Antragsteller noch eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, lässt nicht darauf schließen, dass der Versand des Bescheids noch nicht erfolgt und auch nicht (mehr) beabsichtigt war. Vielmehr ist bei verständiger Würdigung des Sachverhalts davon auszugehen, dass der Versand zumindest unmittelbar bevorsteht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Bevollmächtigten des Antragstellers für das Antragsverfahren M 6 S 16.51134 wird abgelehnt.
II. Der Antrag wird abgelehnt.
III. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die mit Bescheid vom 17. November 2016 (vermeintlich) angeordnete Abschiebung nach Ungarn im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist seinen Angaben zufolge 1994 geboren und marokkanischer Staatsangehöriger. Er wurde am … Oktober 2016 in Deutschland aufgegriffen und stellte dort am selben Tag einen Asylantrag (Bl. 1, 73 der Behördenakte).
Die Ermittlungen der Bundespolizei ergaben am … Oktober 2016 jeweils einen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Ungarn („HU1…“) und für Österreich („AT1…“). Danach hat der Antragsteller bereits am … August 2016 in Ungarn und am … August 2016 in Österreich einen Asylantrag gestellt (Bl. 5 der Behördenakte).
Bei seiner Vernehmung als Beschuldigter gab der Antragsteller zu seinem Reiseweg an, er sei von Casablanca nach Istanbul geflogen. Dann sei er von Izmir nach Kos mit dem Schlauchboot geschleust worden. In Griechenland sei er fünf Monate gewesen. Anschließend sei er in Mazedonien, Serbien (2 Monate), Ungarn (1 Monat) und in Österreich gewesen. Ihm seien in Griechenland, Ungarn und Österreich Fingerabdrucke genommen worden (Bl. 9 der Behördenakte).
Am 2. November 2016 richtete die Antragsgegnerin unter Berufung auf den Eurodac-Treffer für Ungarn, insbesondere den dort am … August 2016 gestellten Asylantrag, ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO (Bl. 34 ff. der Behördenakte).
Mit E-Mail vom 16. November 2016 teilte die ungarische Dublin-Einheit dem Bundesamt mit, dass dem Wiederaufnahmegesuch nicht stattgegeben werden könne („that your application for admission of the below referred person […] cannot be approved“). Da der Antragsteller zunächst nach Griechenland und nicht nach Ungarn eingereist sei, sei Griechenland der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat. Außerdem sei der Antragsteller als Minderjähriger registriert (Bl. 92 der Behördenakte).
Hierauf teilte das Bundesamt dem ungarischen Staatsministerium des Innern mit E-Mail vom 17. November 2016 unter Berufung auf Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 mit, dass es mit der ablehnenden Entscheidung nicht einverstanden sei (Bl. 101 der Behördenakte).
In der Behördenakte befindet sich ein Bescheid vom 17. November 2016, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ablehnt (Nr. 1 des Bescheids), feststellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), die Abschiebung nach Ungarn anordnet (Nr. 3) und das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Der in der Akte befindliche Bescheid ist nicht unterschrieben, weder ein Anschreiben an den Antragsteller noch eine Rechtsmittelbelehrungsind beigefügt. Ein Nachweis dafür, dass der Bescheid dem Antragsteller zugestellt worden ist, insbesondere eine Postzustellungsurkunde, findet sich in der Behördenakte nicht.
Auf den Antrag der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 14. November 2016 hin gewährte die Antragsgegnerin diesen unter dem 18. November 2016 Akteneinsicht durch Übersendung eines Ausdrucks der elektronischen Akte.
Mit Schriftsatz vom 25. November 2016, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers Klage für diesen mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom 17. November 2016 (M 6 K 16.51133) und beantragten,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zugleich beantragten die Bevollmächtigten des Antragstellers, diesem für das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe unter ihrer Beiordnung zu gewähren.
Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2017 teilte die Antragsgegnerin mit, dass der in der Akte ersichtliche Bescheid vom 17. November 2016 irrtümlich erstellt und nicht versandt worden sei. Leider sei dies in der Akte nicht richtig erfasst.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Antragsverfahren und im Klageverfahren M 6 K 16.51133 und die Behördenakte der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.
II.
Sowohl der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – als auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind ohne Erfolg.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist bereits unzulässig. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nur statthaft, wenn in der Hauptsache die Anfechtungsklage die richtige Klageart ist. Das ist vorliegend nicht der Fall, da es bereits an einem Verwaltungsakt fehlt, der mit der Anfechtungsklage zulässigerweise angefochten werden könnte (§ 42 Abs. 1 VwGO). Die Antragsgegnerin hat dem Gericht mitgeteilt, dass der in der Akte befindliche Bescheid vom 17. November 2016 irrtümlich erstellt und nicht versandt worden sei. Es fehlt damit an der Bekanntgabe des Bescheids. Dementsprechend findet sich in der Akte auch kein Zustellnachweis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 4 VwGO. Danach können Kosten, die durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch die Antragsgegnerin hätte das vorliegende Gerichtsverfahren vermieden werden können. Unter dem 14. November 2016 haben die Bevollmächtigten des Antragstellers bei der Antragsgegnerin Akteneinsicht beantragt. Spätestens mit Übersendung des Ausdrucks der elektronischen Akte an die Bevollmächtigten des Antragstellers hätte kenntlich gemacht werden können und müssen, dass es sich bei dem in der Akte befindlichen Bescheid vom 17. November 2016 lediglich um einen Entwurf handelt. Allein aus dem Umstand, dass der in der Akte befindliche Bescheid nicht unterschrieben und weder ein Anschreiben an den Antragsteller noch eine Rechtsmittelbelehrungbeigefügt war, konnten und mussten die Bevollmächtigten nicht darauf schließen, dass der Versand des Bescheids noch nicht erfolgt und auch nicht (mehr) beabsichtigt war. Vielmehr mussten sie bei verständiger Würdigung des Sachverhalts davon ausgehen, dass der Versand zumindest unmittelbar bevorstand. Es erscheint daher ermessensgerecht, der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.
Da die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, bedarf der Antragsteller der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht (mehr).
Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei. Auslagen werden insoweit nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).