Aktenzeichen W 8 S 20.30075
AsylG § 3e, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 3, Abs. 4, § 43 Abs. 3 S. 1, § 71a
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2
Leitsatz
1. Im Fall der Rückkehr nach Nigeria kann ein junger Mann ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen – auch ohne soziale Bindungen – in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, kann nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller, nigerianischer Staatsangehöriger, verließ sein Heimatland nach eigenen Angaben im Jahr 2015 und hielt sich mehrere Jahre in Italien auf. In Italien wurde sein Asylantrag abgelehnt. Am 28. März 2019 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylantrag in Deutschland. Zur Begründung seines Asylantrags brachte er im Wesentlichen vor: Ebenso wie sein Vater müsse er als Erstgeborener im Alter von 20 Jahren Mitglied eines Clans bzw. betreffenden Clubs namens “Ogboni” werden. Er sei wegen einer Weigerung auch schon tätlich angegriffen und schwer verletzt worden und werde mit dem Tode bedroht.
Mit Bescheid vom 9. Januar 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Asylantrag sei unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Der Antragsteller habe keine neuen Gründe und Beweismittel vorgelegt. Er habe sich nur auf die Sachverhalte berufen, die er schon im früheren Asylverfahren vorgebracht habe. Außerdem habe das Vorbringen des Antragstellers nicht überzeugen können. Dem Antragsteller sei es zuzumuten, sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen. Der Antragsteller habe auch schon in der Vergangenheit gearbeitet und für seinen Unterhalt gesorgt. Es gebe außerdem Hilfseinrichtungen sowie auch Rückkehr- und Starthilfen sowie Reintegrationsprogramme. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehe, ökonomisch eigenständig alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter (etwa Verwandter) zu überleben. Der Antragsteller könne sich eine Existenz aufbauen, ohne dass etwaige Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinem Sohn dagegensprächen.
Am 15. Januar 2020 ließ der Antragsteller zu Protokoll des Urkundsbeamten im Verfahren W 8 K 20.30074 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragenen Gründe und führte weiter aus: Er sei im November telefonisch kontaktiert und erinnert worden, dass er den Platz seines Vaters einnehmen solle. Müsste er zurückgehen, würde seinem Sohn das gleiche Schicksal wie ihm drohen. Wenn sein Sohn alt genug wäre, würden sie seinen Sohn zwingen, Mitglied zu werden und er hätte das gleiche Problem, da der Clan immer den erstgeborenen Sohn hole. Der Antragsteller möchte mit seinem Sohn und seiner Frau zusammen in Deutschland leben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.30074) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 9. Januar 2020 begehrt.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen (§ 36 Abs. 3 und 4 AsylG). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Entscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Wiederaufgreifens- und Asylgründe bei der hier gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
Der Asylantrag des Antragstellers ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG unzulässig, weil er nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG, insbesondere eine entscheidungsrelevante Veränderung der dem Erstverfahren zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, liegen nicht vor.
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insbesondere von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes decken sich mit den vorliegenden Erkenntnissen.
Das Bundesamt hat schon zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsteller keine neuen relevanten Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht hat, sondern vielmehr die Gründe vorgebracht hat, die er auch schon in seinem erfolglosen Asylverfahren in Italien angegeben hatte, und zwar Probleme mit dem Clan bzw. Club namens “Ogboni”, die im Übrigen nicht glaubhaft seien.
Des Weiteren und vor allem ist dem Antragsteller möglich und zumutbar, sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen, in welchem er auch vor seinen privaten Verfolgern sicher wäre (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Der Antragsteller kann sich beispielsweise in einer der zahlreichen Großstädte Nigerias, insbesondere in der Hauptstadt Abuja, oder im christlich geprägten Südwesten des Landes, beispielsweise in Lagos oder in einer anderen Stadt niederlassen. Er genießt Freizügigkeit in ganz Nigeria, so dass er seinen Wohn- und Aufenthaltsort grundsätzlich frei bestimmen kann. Wenn der Antragsteller seinen Heimatort meidet, ist es unwahrscheinlich, dass er in einer anonymen Großstadt nach mehrjähriger Abwesenheit (seit dem Jahr 2015) außerhalb seiner Heimatregion aufgefunden würde, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 m² aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt. Grundsätzlich besteht nach der Erkenntnislage in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dem Antragsteller ist ein Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias auch zumutbar. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnissen hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben. Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 12.4.2019, S. 46 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: Oktober 2018, vom 10.12.2018, S. 16, 21). Der Antragsteller könnte jedoch im Fall der Rückkehr nach Nigeria – wie auch schon vom Bundesamt im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid zutreffend ausgeführt – auch ohne solche Bindungen als junger Mann ohne gravierende gesundheitlichen Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller im Falle einer freiwilligen Rückkehr sowohl Start- als auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann. Zudem hat er sich auch schon in der Vergangenheit mit einfachen Arbeiten beholfen. Er hat beruflich Erfahrungen gesammelt und ist auch mit den Umständen in Nigeria vertraut. Somit ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums erwirtschaften kann (VG München, B. 13.12.2019 – M 12 S 19.34141 – juris; ebenso schon VG Würzburg, B.v. 20.12.2019 – W 10 S 19.32023).
An der vorstehenden Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, dass in die Betrachtung miteinbezogen wird, dass der Antragsteller gegebenenfalls mit seiner Frau und seinem Kind zurückkehrt. Auch insofern hält es das Gericht für möglich, dass sich der Antragsteller eine Existenz für sich und Frau mit Kind in zumutbarer Weise sichern kann. Auch seine Frau kann wie in der Vergangenheit womöglich zusätzlich durch eigene Erwerbstätigkeit zum Familienunterhalt beitragen. Des Weiteren ist nicht ausgeschlossen, dass beide über verwandtschaftliche Beziehungen verfügen, auf die sie nötigenfalls zurückgreifen könnten. So ist nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller samt Frau und Kind in einer solchen speziellen Situation befänden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sehenden Auges mit dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wären, wenn auch möglicherweise gewisse Anfangsschwierigkeiten zu überwinden sein mögen.
Des Weiteren ist auch in dem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass abgesehen von privaten Hilfemöglichkeiten und Hilfsorganisationen auch auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückgegriffen werden kann. So hat der Antragsteller die Option, seine finanzielle Situation in Nigeria aus eigener Kraft zu verbessern, um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr besser zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeiten kann der Antragsteller nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris).
Ernstliche Zweifel ergeben sich nach den vorstehenden Ausführungen des Weiteren nicht mit Bezug auf § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG, auch nicht im Hinblick auf eventuelle gesundheitlichen Probleme. Auch insofern kann das Gericht auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides Bezug nehmen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht verkennt nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Nigeria. Diese betreffen jedoch nigerianische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Des Weiteren ist die Ausländerbehörde (und nicht die Antragsgegnerin) zuständig, über eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa Ehe und Familie (Art. 6 GG) oder Reiseunfähigkeit – zu entscheiden (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um eine gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund spielt der Hinweis des Antragstellers auf seine Frau bzw. sein Kind und ein damit zusammenhängendes eventuelles inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im vorliegenden Verfahren keine Rolle.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.