Verwaltungsrecht

Unzulässiger und unbegründeter vorläufiger Rechtsschutzantrag wegen gesundheitsbedingter Abschiebungshindernisse betreffend Armenien

Aktenzeichen  W 8 S 17.32991

Datum:
4.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30, § 36 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 43 Abs. 3 S. 1, § 77 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c S. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die Behandlung von Erkrankungen ist in Armenien grundsätzlich gewährleistet und erfolgt kostenlos, wenn auch die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein kann. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen, wie etwa Depressionen, ist in Armenien auf gutem Standard sichergestellt. (Rn. 11) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Enthalten ärztliche Unterlagen entgegen § 60a Abs. 2c S. 3 AufenthG keine Aussagen zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung durch eine Abschiebung für den Betroffenen in seinem Heimatland ergeben würden, kommt ihnen im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa das Bestehen von Reiseunfähigkeit  – sind von der zuständigen Ausländerbehörde nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu prüfen. Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gem. § 43 Abs. 3 S. 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen. (Rn. 16 – 17) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind miteinander verheiratete armenische Staatsangehörige. Die Antragsgegnerin lehnte die bei ihr in getrennten Verfahren geführten Asylanträge der Antragsteller mit je eigenständigem Bescheid vom 19. Juli 2017 jeweils als offensichtlich unbegründet ab und drohte ihnen die Abschiebung nach Armenien an. Die Bescheide wurden den Antragstellern laut Postzustellungsurkunden jeweils am 22. Juli 2017 zugestellt.
Die Antragsteller ließen am 1. August 2017 gegen die Bescheide zusammengefasst im Verfahren W 8 K 17.32990 Klage erheben und gleichzeitig – ebenfalls zusammengefasst – im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen die Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin vom „25.07.2017“, Az: zu 1) …, zu 2) …, anzuordnen.
Zur Begründung ließen die Antragsteller im Wesentlichen ausführen: Sie seien Eheleute. Der Antragsteller zu 1) sei laut der vorgelegten Atteste erkrankt. Diagnose: koronare Mehrgefäßerkrankung, Zustand nach Hinterwandinfarkt und Bypassoperation 2011, Risikoprofil: arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, familiäre Belastung. Außerdem müsse er verschiedene Medikamente nehmen. Beim Antragsteller zu 1) liege neben einer eventuellen Reiseunfähigkeit jedenfalls ein zielstaatsbezogenes Abschiebeverbot vor. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes sei die Verfügbarkeit von Medikamenten in Armenien problematisch. Bei einer Rückkehr werde der Antragsteller zu 1) mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in eine lebensgefährliche Lage versetzt. Eine Behandlungsperspektive der Erkrankung gebe es in seinem Heimatland nicht. Die wenn auch nur mangelhafte medizinische Versorgung sei für ihn finanziell unerreichbar. Der Antragsteller zu 1) habe zudem eine schwerkranke Tochter. Sie sei an Leukämie erkrankt und werde aktuell mit mehreren Therapien in Deutschland behandelt.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 17.32991) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die in den beiden streitgegenständlichen Bescheiden enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist schon unzulässig, weil er wegen der Versäumung der Wochenfrist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG verfristet ist. Denn laut der in den Behördenakten befindlichen Postzustellungsurkunden wurden die Bescheide den Antragstellern jeweils am Samstag, dem 22. Juli 2017, zugestellt. Die Antragsfrist lief demnach am Montag, dem 31. Juli 2017, ab. Der am Dienstag, dem 1. August 2017 bei Gericht eingegangene Antrag ist verspätet.
Der Antrag ist zudem unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beiden Bescheide bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung in den angefochtenen Bescheiden und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen in den beiden Bescheiden decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Republik Armenien vom 21.6.2017, Stand: Februar 2017; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017).
Das Vorbringen der Antragsteller rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die angesprochene persönliche Situation ist offensichtlich nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant, wie die Antragsgegnerin in den streitgegenständlichen Bescheiden zutreffend ausgeführt hat.
Des Weiteren liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen in den streitgegenständlichen Bescheiden, die sich das Gericht zu eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Behandlung von Erkrankungen – der Antragsteller macht insbesondere geltend: koronare Mehrgefäßerkrankung; Zustand nach Hinterwandinfarkt nach Angabe 11/2011; Zustand nach aortokoronarer Bypassoperation 12/2011; aktuell kein Anhalt für Koronarinsuffizienz, ausreichende LV-Funktion, Risikoprofil: arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie; familiäre Belastung – ist in Armenien gewährleistet und erfolgt kostenlos, wenn auch die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein kann. Auch die Behandlung von psychischen Erkrankungen, wie etwa Depressionen, ist in Armenien auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos (vgl. zur medizinischen Versorgung Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 21.6.2017, Stand: Februar 2017, S. 18 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 36 f.).
Des Weiteren ist ergänzend anzumerken, dass Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substanziierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier.
Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeit in der medizinischen Versorgung der Antragsteller stellen sich bei einer Rückkehr nach Armenien nicht anders dar wie vor der Ausreise und wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in vergleichbarer Lage. Dies gilt – wie auch schon die Antragsgegnerin in den streitgegenständlichen Bescheiden ausgeführt hat – auch für die erforderliche Medikation, insbesondere des Antragstellers zu 1). Dieser hat nach eigenen Angaben die erforderlichen Medikamente in Armenien erhalten. Ihm war es möglich, die Medikamente zu finanzieren. Die pauschale gegenteilige Behauptung in der Antragsbegründung rechtfertigt gerade auch angesichts der vorgelegten ärztlichen Stellungnahme keine andere Beurteilung.
Insoweit ist insbesondere anzufügen, dass sich den vorliegenden Attesten nicht entnehmen lässt, dass gegenwärtig eine Rückkehr nach Armenien aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre, weil sich etwaige lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Armenien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des armenischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Die Antragsteller sind gehalten, sowohl die Möglichkeiten des armenischen Gesundheitssowie Sozialsystems auszuschöpfen, als auch gegebenenfalls auf private Hilfemöglichkeiten, etwa durch Verwandte oder Hilfsorganisationen, zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren. Die Antragsteller sind bei einer Rückkehr nach Armenien nicht auf sich allein gestellt bzw. nicht allein und ohne Unterstützung; vielmehr können sie – wie wohl auch schon in der Vergangenheit – auf ihre (Groß-)Familien zurückgreifen (vgl. auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 32 ff.).
Die vorliegenden teilweise veralteten Atteste, die insoweit für den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Juni 2017 ohnehin wenig Aussagekraft besitzen, belegen zudem kein Abschiebungshindernis. Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen enthalten entgegen § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG insbesondere keine Aussage zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung auf die krankheitsbedingte Situation für den Antragsteller zu 1) voraussichtlich ergeben. Den Attesten ist nicht zu entnehmen, dass eine Behandlung bzw. Weiterbehandlung der Krankheit des Antragstellers zu 1) in Armenien nicht möglich wäre. Die ärztliche Bescheinigung von Dr. Z* … vom 22. Juni 2017 fasst zusammen: Es bestehe ein Zustand nach Hinterwandinfarkt, dennoch ausreichende linksventrikuläre Pumpfunktion, keine relevante Klappenfehlfunktion, keine Ischämie zu demaskieren, kein Anhalt für eine Herzinsuffizienz. Letztendlich werde um Fortsetzung der genannten sekundärprophylaktischen Medikation gebeten. Der Bescheinigung der …Klinik vom 25. Juli 2017 ist weiter zu entnehmen, dass der Antragsteller zu 1) über eine depressive Verstimmung und Schlafstörungen klage. Aus ärztlicher Sicht sei ein aktuelles stabiles Umfeld und die Nähe zu seiner schwerkranken Tochter sehr wichtig, einmal um die Tochter zu unterstützen und auch zur psychischen Stabilisierung des Vaters.
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Ausländerbehörde zuständig ist, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa eine Reiseunfähigkeit – zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen.
Die Vermeidung der Trennung der Familie ist ausländerrechtlich gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen und nicht im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Ausländerbehörde die Vorgaben von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK beachtet (vgl. auch VG München, B.v. 15.6.2016 – M 16 S 16.31068 – juris).
Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen der Antragsteller zu ihrer an Leukämie erkrankten, ebenfalls in Deutschland befindlichen Tochter irrelevant, weil dieses Vorbringen keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse der Antragsteller selbst beinhaltet und daher im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen ist. Mögliche Abschiebungshindernisse bezüglich der Tochter sind in deren Asylverfahren zu prüfen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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