Verwaltungsrecht

unzulässiger Zweitantrag

Aktenzeichen  W 8 S 20.30549

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 11231
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5,§ 36 Abs. 4, § 43 Abs. 3 S. 1, § 71a, § 77 Abs. 2
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs.7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird sowohl im vorliegenden Sofortverfahren als auch im Klageverfahren W 8 K 20.30548 abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, nigerianische Staatsangehörige, verließ ihr Heimatland nach eigenen Angaben im Jahr 2015 und hielt sich mehrere Jahre in Italien auf. In Italien wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Am 2. April 2019 stellte die Antragstellerin einen weiteren Asylantrag in Deutschland. Zur Begründung ihres Asylantrags brachte sie im Wesentlichen vor: Ihr Mann, den sie auf traditionelle Weise geheiratet habe, habe sich geweigert, Mitglied des Kultes „Aye“ zu werden. Die Antragstellerin sei bedroht worden. Im Übrigen sei sie beschnitten. Sie habe zwei kleine Kinder.
Mit Bescheid vom 20. April 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Asylantrag sei unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Die Antragstellerin habe keine neuen Gründe und Beweismittel vorgelegt. Sie habe sich nur auf die Sachverhalte berufen, die sie schon im früheren Asylverfahren vorgebracht habe bzw. hätte vorbringen können. Die Antragstellerin sei hinsichtlich der Bedrohung durch Kultisten auf die zuständigen Stellen ihres Heimatlandes zu verweisen. Grundsätzlich sei insoweit von der Schutzfähigkeit und -willigkeit des nigerianischen Staates gegen diese Form der Bedrohung auszugehen. Abgesehen davon bestehe grundsätzlich die Möglichkeit Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias zu entgehen. Eine erneut drohende Genitalverstümmelung sei nicht beachtlich wahrscheinlich. Des Weiteren gebe es Hilfseinrichtungen sowie auch Rückkehr- und Starthilfen sowie Reintegrationsprogramme. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehe, ökonomisch eigenständig alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter (etwa Verwandter) zu überleben. Die Antragstellerin könne sich eine Existenz aufbauen. Die 28-jährige Antragstellerin sei jung, gesund und erwerbsfähig. Darüber hinaus verfüge sie über familiäre Beziehungen. Für Mütter mit kleinen Kindern gebe es besondere Hilfemöglichkeiten insbesondere von NGOs. Außerdem werde von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ausgegangen.
Am 22. April 2020 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 8 K 20.30548 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und – neben Prozesskostenhilfe – im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Zur Begründung ließ die Antragstellerin auf die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragenen Gründe verweisen und weiter ausführen: Ungeachtet vom Ausgang des Asylverfahrens sei eine Abschiebung der Antragstellerin derzeit wegen Verstoßes gegen Art. 1 und 2 GG sowie Art. 3 EMRK nicht zulässig, weil dies zumindest zu Gefahren für Leib, Leben und Freiheit der Antragstellerin führen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.30548 sowie der Gerichtakten der Kinder W 8 K 20.30550 und W 8 K 20.30551) sowie die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Akten des Mannes und der Kinder) Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 20. April 2020 begehrt.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen (§ 36 Abs. 3 und 4 AsylG). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Entscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Wiederaufgreifens- und Asylgründe sowie Abschiebungshindernisse bei der hier gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
Der Asylantrag der Antragstellerin ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG unzulässig, weil er nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG, insbesondere eine entscheidungsrelevante Veränderung der dem Erstverfahren zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, liegen nicht vor. Ebenso bestehen keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insbesondere von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes decken sich mit den vorliegenden Erkenntnissen.
Das Bundesamt hat schon zutreffend auf das Schreiben der Republik Italien vom 14. April 2020 verwiesen, wonach der Asylantrag der Antragstellerin in Italien erfolglos abgeschlossen worden sei. Der Asylantrag der Antragstellerin sei abgelehnt worden; ihr sei jedoch am 9. Januar 2019 eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen erteilt worden. Diese Mitteilung aus Italien deckt sich mit dem betreffenden Vorbringen der Antragstellerin.
Das Bundesamt hat des Weiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin keine neuen relevanten Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht hat, sondern vielmehr die Gründe vorgebracht hat, die sie auch schon in ihrem erfolglosen Asylverfahren in Italien angegeben hatte bzw. hätte vorbringen können. Das Bundesamt hat zudem ausgeführt, dass sich die Antragstellerin bei Bedrohungen durch Kultisten an die zuständigen Stellen ihres Heimatlandes hätte wenden müssen. Der nigerianische Staat sei gegen diese Form der Bedrohung grundsätzlich schutzfähig und schutzwillig. Infolge bereits erfolgter zwangsweiser Beschneidung sei des Weiteren eine erneute Genitalverstümmelung bei der Klägerin nicht beachtlich wahrscheinlich. Das Bundesamt hat zudem auch darauf aufmerksam gemacht, dass die Klägerin möglichen Bedrohungen durch Umzug in einen anderen Teil des Landes entgehen könne. Dies gilt auch für Frauen oder Mädchen, die von Genitalverstümmelung bedroht seien (vgl. BFA, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 18.12.2019, S. 39; sowie etwa schon ausführlich VG Würzburg, G.v. 22.4.2020 – W 10 K 19.31906; U.v. 25.3.2020 – W 10 K 20.30061).
Denn der Antragstellerin ist es jedenfalls möglich und zumutbar, sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen, in welchem sie vor eventuellen privaten Verfolgern – sowohl im Hinblick auf Mitglieder des Kultes sowie auf eine drohende Genitalverstümmelung – sicher wäre (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Die Antragstellerin kann sich beispielsweise in einer der zahlreichen Großstädte Nigerias, insbesondere in der Hauptstadt Abuja, oder im christlich geprägten Südwesten des Landes, beispielsweise in Lagos oder in einer anderen Stadt niederlassen. Sie genießt Freizügigkeit in ganz Nigeria, so dass sie ihren Wohn- und Aufenthaltsort grundsätzlich frei bestimmen kann. Wenn die Antragstellerin ihren Heimatort meidet, ist es unwahrscheinlich, dass sie in einer anonymen Großstadt nach mehrjähriger Abwesenheit (seit dem Jahr 2015) außerhalb der Heimatregion aufgefunden würde, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 m² aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt. Grundsätzlich besteht nach der Erkenntnislage in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Der Antragstellerin ist ein Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias auch zumutbar. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnissen hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben. Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 18.12.2019, S. 46 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2019, vom 16.1.2020, S. 16, 21). Die Antragstellerin könnte jedoch im Fall der Rückkehr nach Nigeria – wie auch schon vom Bundesamt im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid zutreffend ausgeführt – auch ohne solche Bindungen zusammen mit ihren Kindern (und ihrem Mann) ohne gravierende gesundheitlichen Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin im Falle einer freiwilligen Rückkehr sowohl Start- als auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann. Zudem hat er sich auch schon in der Vergangenheit mit einfachen Arbeiten beholfen. Sie hat berufliche Erfahrungen gesammelt und ist auch mit den Umständen in Nigeria vertraut. Somit ist davon auszugehen, dass sich die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums erwirtschaften kann (OVG NRW, B.v. 15.4.2020 – 19 A 915/19.A – juris; B.v. 18.3.2020 – 19 A 147/20.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 19 A 183/18.A – juris; VG München, B.v. 20.3.2020 – M 8 S 19.34200 – juris; B. 13.12.2019 – M 12 S 19.34141 – juris; VG Augsburg, B.v. 10.3.2020 – Au 9 S 20.30327 – juris; B.v. 4.3.2020 – Au 7 K 18.31993 – juris; B.v. 20.2.2020 Au 9 K 17.35117 – juris; B.v. 16.1.2020 – Au 9 K 19.30382 – juris; VG Karlsruhe, B.v. 26.2.2020 – A 4 K 7158/18 – juris; VG Kassel, B.v. 21.1.2020 – 6 L 2648/19.KS.A – juris).
An der vorstehenden Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, dass in die Betrachtung miteinbezogen wird, dass die Antragstellerin mit ihren beiden kleinen Kindern und dem Mann, mit dem sie angeblich traditionell verheiratet ist, zurückkehrt. Auch insofern hält es das Gericht für möglich, dass sich die Antragstellerin eine Existenz für sich und ihre Familie in zumutbarer Weise sichern kann. Insofern ist bei realitätsnaher Betrachtung im Rahmen der Gefährdungsprognose vom Regelfall der Annahme einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband auszugehen (OVG NRW, B.v. 15.4.2020 – 19 A 915/19.A – juris m.w.N.). Auch und gerade der Ehemann kann zusätzlich durch eigene Erwerbstätigkeit zum Familienunterhalt beitragen. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass beide über verwandtschaftliche Beziehungen verfügen, auf die sie nötigenfalls zurückgreifen könnten. So ist nicht ersichtlich, dass sich die Antragstellerin und ihre Familie in einer solchen speziellen Situation befänden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sehenden Auges mit dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wären, wenn auch möglicherweise gewisse Anfangsschwierigkeiten zu überwinden sein mögen.
Des Weiteren ist auch in dem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass abgesehen von privaten Hilfemöglichkeiten und Hilfsorganisationen auch auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückgegriffen werden kann. So hat die Antragstellerin die Option, ihre finanzielle Situation in Nigeria aus eigener Kraft zu verbessern, um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr besser zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeiten kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris).
Ernstliche Zweifel ergeben sich nach den vorstehenden Ausführungen des Weiteren nicht mit Bezug auf § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG, auch nicht im Hinblick auf eventuelle gesundheitlichen Aspekte. Auch insofern kann das Gericht auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides Bezug nehmen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
An der vorstehenden Beurteilung ändert sich des Weiteren auch nichts durch die weltweite Corona-Pandemie. Zunächst ist festzuhalten, dass kein weiteres Asylverfahren mit einer erneuten sachlichen Prüfung des Asylantrages zu erfolgen hat. Dies wäre, wie das Bundesamt schon zutreffend ausgeführt hat, nur dann der Fall, wenn ein schlüssiger Vortrag vorliegen würde, der eine günstige Entscheidung möglich erscheinen ließe. Daran fehlt es. Die Antragstellerin hat bezogen auf die Corona-Pandemie auch nicht nur ansatzweise substantiiert vorgebracht, dass und inwieweit ihr persönlich zum jetzigen Zeitpunkt insofern eine konkrete Gefahr mit beachtlicher bzw. hoher Wahrscheinlichkeit drohen könnte. Zu den konkreten Verhältnissen in Nigeria ist überhaupt nichts vorgebracht.
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es indes in Nigeria 8.344 bestätigte Corona-Fälle. Davon sind 2.385 Personen genesen. Außerdem gibt es 249 Todesfälle (Stand: 27.5.2020; siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control https://c..c.gov.ng/ oder https://www.w…info/coronavirus/country/nigeria/). Darüber hinaus bleibt der nigerianische Staat nicht tatenlos, wobei in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedliche Maßnahmen getroffen werden (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, Covid-19 – aktuelle Lage vom 23.3.2020, S. 2). So gelten angesichts der Corona-Pandemie in bestimmten Landesteilen bzw. Staaten – gerade in Hotspots – teilweise strenge Ausgangssperren und Quarantäneregelungen in Nigeria, die von den nigerianischen Sicherheitskräften auch überwacht werden. Die Regierung hat hingegen mittlerweile etwa die Ausgangssperre für Lagos und Abuja wieder aufgehoben, allerdings an anderen Stellen (etwa in Kano) verlängert und erweitert (vgl. New York Times vom 17.5.2020, https://www.n…com/2020/05/17/world/africa/coronavirus-kano-nigeria-hotspot.html; ferner n-…de vom 15.4.2020, https://www.n-…de/panorama/Corona-Krise-entfacht-Gewalt-in-Nigeria-article21716861.htmloder me…de vom 16.4.2020 https://www.me…de/welt/coronavirus-afrika-news-nigeria-suedafrika-uganda-katastrophe-experte-warnung-pandemie-covid-19-who-zr-13606904.html).
Dem Gericht fehlen vor diesem Hintergrund jegliche Anhaltspunkte für die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes, weil nicht ersichtlich ist, dass – bezogen auf eine mögliche Covid-19-Erkrankung – eine menschliche oder erniedrigende Behandlung einem Akteur im Sinne von § 3c AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG zugeordnet werden kann.
Aber auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt offensichtlich nicht vor. Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend sind (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.).
Weiter ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Fehlt – wie hier – ein solcher Erlass kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG allenfalls ausnahmsweise in verfassungskonformer Auslegung in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Allgemeine Gefahren können aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes grundsätzlich nicht rechtfertigen. Die Antragstellerin hat aber offensichtlich keinen Anspruch wegen einer extremen Gefahrenlage. Eine verfassungswidrige Schutzlücke liegt nur dann vor, wenn der Schutzsuchende bei einer Rückkehr in das Aufnahmeland mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise Opfer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Eine Abschiebung müsste dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N., vgl. auch schon VG Würzburg, U.v. 6. Mai 2020 – W 8 S 20.30493; B.v. 17.4.2020 – W 8 S 20.30448 – juris; G.v. 14.5.2020 – W 8 K 20.30421; B.v. 27.3.2020 – W 8 S 20.30378).
Eine solche konkrete außergewöhnliche Gefahrenlage für die Antragstellerin ist vorliegend im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) auch vor dem Hintergrund des erforderlich hohen Wahrscheinlichkeitsgrades für das Gericht nicht erkennbar. Das Ansteckungsrisiko mit der Gefahr eines schwerwiegenden Verlaufs ist im Vergleich zu den über 181.000 Infektionsfällen und über 8.300 Todesfällen in Deutschland mit 8.344 bestätigten Infektionsfällen und 249 Todesfällen in dem deutlichen bevölkerungsreicheren Nigeria deutlich geringer. Des Weiteren gehört die 28 Jahre alte Antragstellerin ohne erkennbare Vorerkrankungen nicht zu einer besonderen Gruppe mit höherem Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung (vgl. RKI, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf, abrufbar unter https://www.r…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html; Stand 13.5.2020; zuletzt abgerufen 27.5.2020). Die Antragstellerin muss sich letztlich – genauso wie bei etwaigen anderen Erkrankungen, wie etwa Malaria, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung um ein Vielfaches höher liegt als bei dem Corona-Virus (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 26.2.2020 – A 4 K 7158/18 – juris) – gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen. Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus auch in Nigeria nicht in allen Landesteilen gleich hoch ist. Vielmehr gibt es erhebliche regionale Unterschiede (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, Covid-19 – aktuelle Lage vom 23.3.2020, S. 2; New York Times vom 17.5.2020, https://www.n…com/2020/05/17/world/africa/coronavirus-kano-nigeria-hotspot.html) beim Risiko, angesteckt zu werden. Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Im Übrigen ist die Antragstellerin gehalten, im Bedarfsfall die Möglichkeiten des – zugegebenermaßen mangelhaften – nigerianischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 18.12.2019, S. 48 ff. u. 51 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2019, vom 16.1.2020, S. 22 ff.) auszuschöpfen. Gegebenenfalls kann sie auch auf private Hilfemöglichkeiten oder Hilfsorganisationen sowie auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückzugreifen, sodass sie nicht völlig mittellos wäre und sich in Nigeria etwa auch Medikamente oder Gesichtsmasken besorgen könnte. Abgesehen davon könnten der Antragstellerin bei Bedarf für eine Übergangszeit auch Medikamente sowie Gesichtsmasken mitgegeben werden (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris; BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Des Weiteren hat das Gericht keine triftigen Anhaltspunkte geschweige denn konkrete Belege, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen infolge der Corona-Pandemie in Nigeria in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrenden eine Extremgefahr im oben skizzierten Sinn mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Gerade angesichts der regionalen Unterschiede und dem unterschiedlichen Vorgehen der einzelnen Bundesstaaten bestehen weiterhin ausreichend Möglichkeiten, sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften, so dass eine Rückkehr nach Nigeria zumutbar ist.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern (https://www.t…com/26444/coronavirus-recession-in-nigeria-likely-despite-measures-in-place/; vom 20.4.2020, zuletzt abgerufen am 6.5.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar gewährt (https://www…org/en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-nigeria-imf-executive-board-approves-emergency-support-to-address-covid-19; vom 28.4.2020). Das Gericht geht zudem davon aus, dass gerade der für viele Nigerianer als Einnahmequelle bedeutende informelle Sektor nach dem Aufheben der vorübergehenden, nicht landesweit gleich strikten und im Übrigen bereits teilweise gelockerten Ausgangsbeschränkungen (vgl. etwa https://www.a…com/2020/05/26/nigeria-coronavirus-hub-updates-covid-19/, zuletzt abgerufen am 27.5.2020; https://www.k…de/de/laenderberichte/detail/-/content/nigeria-seit-vier-wochen-im-lockdown; vom 29.4.2020) auch der Antragstellerin und ihrem Mann wieder zur Verfügung stehen wird (vgl. dazu ausführlich schon VG Würzburg, U.v. 6. Mai 2020 – W 8 S 20.30493 mwN.)
Das Gericht verkennt – auch unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie -nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Nigeria. Diese betreffen jedoch nigerianische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Des Weiteren ist die Ausländerbehörde (und nicht die Antragsgegnerin) zuständig, über eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa Ehe und Familie (Art. 6 GG) oder Reiseunfähigkeit – zu entscheiden (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um eine gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund spielt der Hinweis der Antragstellerin auf ihren traditionell verheirateten Mann sowie die gemeinsamen Kinder und ein damit zusammenhängendes eventuelles inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im vorliegenden Verfahren keine Rolle (vgl. VG Augsburg, U.v. 4.3.2020 – Au 7 K 18.31993 – juris).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Nach den vorstehenden Erwägungen war schließlich auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten sowohl für das vorliegende Sofortverfahren als auch für das Klageverfahren W 8 K 20.30548 mangels hinreichender Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen