Verwaltungsrecht

Unzulässiges Bürgerbegehren

Aktenzeichen  M 7 K 17.3914

Datum:
7.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5231
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO Art. 18a, Art. 30 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Ein Bürgerbegehren ist unzulässig, wenn seine Fragestellung nicht auf eine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter gerichtet ist, sondern mangels der Gemeinde verbleibender anderer Handlungsoptionen letztlich darauf beschränkt ist, ein unverbindliches politisches Signal auszusenden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Bürgerbegehren ist unzulässig, wenn es gegen das als ungeschriebene Rechtmäßigkeitsvoraussetzung bestehende Täuschungs- bzw. Irreführungsverbot verstößt.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Zulassung des Bürgerbegehrens „Kein Tunnel in Starnberg“ (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Das Bürgerbegehren ist unzulässig, weil es nicht auf eine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter gerichtet ist (dazu 1.1) und den zur Abstimmung berufenen Gemeindebürger durch die gewählte Fragestellung irreführt, indem suggeriert wird, dass der Beklagten noch solch konkrete Handlungsoptionen in Form verbindlicher Maßnahmen zur Verfügung stehen (dazu 1.2).
1.1 Das Bürgerbegehren ist unzulässig, weil es bzw. seine Fragestellung nicht auf eine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter gerichtet ist, sondern mangels der Beklagten verbleibender anderer Handlungsoptionen letztendlich darauf beschränkt ist, ein unverbindliches politisches Signal auszusenden.
Nach Art. 18a Abs. 4 GO hat der aus einem Bürgerbegehren resultierende Bürgerentscheid im Falle seines Erfolgs (positives Votum) die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses. Anders als beim Gemeindebzw. Stadtrat, dem die umfassende Vertretung der Gemeindebürger zugewiesen ist (vgl. Art. 30 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GO i.V.m. Art. 29 GO) und der daher grundsätzlich auch Meinungskundgaben, Resolutionen oder (unverbindliche) politische Appelle beschließen kann, tritt für den Bürgerentscheid als „Gemeinderatsbeschluss kraft Gesetzes“ noch die weitere Voraussetzung dazu, dass es sich um eine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter handeln muss. Denn Bürgerbegehren und Bürgerentscheid können, wie sich aus dem Namen und dem Wesen des Rechtsinstituts ergibt, nur zu Angelegenheiten stattfinden, über die die Kommune jetzt oder in absehbarer Zukunft sinnvoll entscheiden kann. Wo es nichts zu entscheiden gibt, kann auch kein Bürgerbegehren/Bürgerentscheid stattfinden. Mit der Einführung des Rechtsinstituts sollte erreicht werden, dass die Gemeinde- und Landkreisbürger am kommunalen Geschehen stärker beteiligt werden und über bestimmte Angelegenheiten der Kommunen selbst entscheiden können. Art. 18a Abs. 4 Satz 1 setzt eine mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung voraus. An dem verlangten Entscheidungscharakter und der nach Art. 18a Abs. 14 GO „verlangten Maßnahme“ fehlt es, wenn die Abstimmungsfrage auf eine unverbindliche Meinungsumfrage gerichtet ist. Bürgerbegehren, die nur eine nachträgliche Meinungsäußerung der Gemeindebürger zu einer bereits vom Gemeinderat entschiedenen Verwaltungsmaßnahme herbeiführen wollen, die also keine rechtlichen Auswirkungen haben, sondern denen allenfalls politische Signalwirkung zukommt, sind unzulässig (BayVerfGH, E.v. 21.12.2015 – Vf. 14-VII-13 – juris Rn. 38 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 22.3.1999 – 4 ZB 98.1352 – juris Rn. 12; vgl. in diesem Sinne auch OVG NW, U.v. 23.4.2002 – 15 A 5594/00 – juris Rn. 12 ff. zu § 22 Abs. 1 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 1 GO NRW, der quasi inhaltsgleich zu Art. 18a Abs. 1 und Abs. 13 Satz 1 GO ist). Zwar ist dabei nicht ausgeschlossen, dass Grundsatzbeschlüsse, die noch der Ausführung und Ausfüllung durch spätere Detailentscheidungen bedürfen, durch Bürgerentscheid getroffen werden können. Daher ist nicht erforderlich, dass nur noch der Vollzug der Entscheidung durch den Bürgermeister zur Umsetzung des Bürgerbescheids notwendig ist (so – als Erfordernis einer ausreichend bestimmten Fragestellung und nicht als Aspekt der zulässigen Zielsetzung – BayVGH, U.v. 19.2.1997 – 4 B 96.2928 – BayVBl 1997, 276 ff.; st.Rspr, vgl. etwa BayVGH, B.v. 8.4.2005 – 4 ZB 04.1264 – juris Rn. 10 und BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 24).
In diesem Spannungsfeld zwischen Grundsatzbeschluss und bloßem politischen Appellcharakter verbleiben der Beklagten vorliegend zur Verhinderung des B2-Tunnels rechtlich und faktisch keine konkreten, validen und vollziehbaren Handlungsmaßnahmen, die es rechtfertigen würden, das Bürgerbegehren (noch) als zulässige Grundsatzentscheidung einzuordnen. Tatsächlich beschränken sich die der Beklagten konkret zur Verfügung stehenden Maßnahmen im Wesentlichen auf politische Appelle an den Bund als Straßenbaulastträger, den B2-Tunnel nicht zu bauen.
1.1.1 Der von den Bevollmächtigten der Kläger angeführte Antrag bzw. die Anregung (im Folgenden: Antrag) auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses auf der Grundlage von §§ 48 f. VwVfG (ggf. in Verbindung insbesondere mit § 51 Abs. 5 VwVfG) stellt für sich genommen noch keine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter im Sinne der o.g. Kriterien dar. So ist bereits grundsätzlich zweifelhaft, ob in Konstellationen, in welchen einer Kommune (wenn auch als beispielsweise betroffener Grundstückseigentümerin) als rechtliche Handlungsoption nach bestandsbzw. rechtskräftig abgeschlossenem Planfeststellungsverfahren allein ein Antrag auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nach §§ 48 f. VwVfG verbleibt, ein darauf abzielendes Bürgerbegehren zulässig ist. Anders als während eines laufenden Planfeststellungsverfahrens, in welchem einer Kommune schon gesetzlich Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte eingeräumt und ihr dadurch Handlungsspielräume eröffnet sind (vgl. dazu bspw. BayVGH, B. v. 12.3.1997 – 4 CE 96.3422 – juris Rn. 16, 22) würde sich der Vollzug eines solchen Bürgerentscheids schlicht auf das Stellen eines Antrags auf Aufhebung nach §§ 48 f. VwVfG (und einem ggf. daran anknüpfenden Gerichtsverfahren bei Ablehnung) beschränken. Dies widerspricht letztendlich dem o.g. aufgezeigten Grundsatz, nachdem der Gemeinde nicht bloß ein theoretischer, sondern ein rechtlich und faktisch nicht bloß unbedeutender, sondern substantieller eigener Handlungsspielraum zur Umsetzung verbleiben muss.
Jedenfalls aber reicht ein Antrag auf der Grundlage von §§ 48 f. VwVfG als verbleibende Maßnahme dann nicht aus, wenn allein die theoretisch/abstrakte Möglichkeit einer Antragstellung besteht und der Antrag schon kursorisch betrachtet keine konkreten/erkennbaren Erfolgsaussichten hat. Indizien, dass ein Antrag gemäß § 48 VwVfG oder § 49 VwVfG auf vollständige Aufhebung (und nicht bloße Änderung einzelner Festlegungen) vorliegend Aussicht auf Erfolg hätte, sind aber nicht ersichtlich. Planfeststellungsbeschlüsse genießen ohnehin eine erhöhte Bestandskraft (vgl. § 17 Satz 2 Bundesfernstraßengesetz – FStrG – i.V.m. § 75 Abs. 2 VwVfG). Zwar sind die §§ 48 f. VwVfG grundsätzlich auch auf Planfeststellungsbeschlüsse anwendbar (vgl. etwa BVerwG, U.v. 19.12.2017 – 3 A 8/15 – juris Rn. 23); unterliegen aber je nach Fachrecht und einschlägiger Rechtsprechung weiteren Einschränkungen. So wird § 48 VwVfG vorliegend tatbestandlich bereits deswegen ausscheiden, weil die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschluss durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinen Urteilen vom 9. Juli 2008 festgestellt wurde und nachträgliche Änderungen keine Auswirkung auf seine Rechtmäßigkeit haben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit im Planfeststellungsrecht ist nämlich der der Beschlussfassung über den Plan (st.Rspr., vgl. etwa für eine Planfeststellung nach FStrG BayVGH, U.v. 27.7.2017 – 8 A 16.40019 – juris Rn. 83 m.w.N.). Im Hinblick auf § 49 VwVfG dürfte allenfalls der Tatbestand des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG in Frage kommen. Schon angesichts des Tatbestandsmerkmals „nachträglich eingetretener Tatsachen“ bestehen aber – ungeachtet der Rechtsfolgenseite (Ermessen, Frage der Teil- oder Gesamtaufhebung) bereits erhebliche rechtliche Bedenken, weil sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 9. Juli 2008 vielfach mit den jetzt im Rahmen des Gutachtens von Prof. K. vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt hat und generell zweifelhaft ist, ob es sich überhaupt um (neue) Tatsachen handelt. Denn eine Änderung der Sachlage liegt nicht vor, wenn sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen oder im rechtskräftigen Urteil nicht berücksichtigte Beweismittel finden, oder wenn der Beteiligte sein Vorbringen aufgrund neuer Beweismittel „besser“ beweisen kann (VGH B-W, U.v. 3.7.2014 – 5 S 2429/12 – juris Rn. 37, bestätigt durch BVerwG, B. v. 27.5.2015 – 3 B 5/15 – juris Rn. 7; vgl. zum Ganzen auch BVerwG, U.v. 28.4.2016 – 4 A 2/15 – juris Rn. 36 ff.).)
1.1.2 Ebenso stellt auch die bloße, von den Bevollmächtigten zu 1) der Kläger vorgetragene Möglichkeit einer Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses vom 20. Februar 2017 keine (ausreichend substantielle, vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter dar. Anders als etwa bei Aufstellungsbeschlüssen zur Bauleitplanung knüpfen sich an den Beschluss vom 20. Februar 2017 keine unmittelbaren rechtlichen Folgen, die quasi im Wege eines „actus contrarius“ wieder aufgehoben werden könnten. Insbesondere wurden der Beklagten solche Rechte nicht mit den Äußerungen der (damals) zuständigen Minister Dobrindt und Herrmann quasi „konstitutiv“ oder rechtlich verbindlich eingeräumt. Auch ist nicht ersichtlich, dass das Bundesverkehrsministerium der Beklagten weiterhin ein (wesentliches) politisches Mitspracherecht gewähren oder gar den Tunnelbau (weiter) vom Willen der Beklagten abhängig machen will. Eher spricht vieles dafür, dass das Bundesverkehrsministerium und auch die Oberste Baubehörde zum Zeitpunkt der getätigten Äußerungen den „politischen Druck“ auf die Beklagte angesichts des näher rückenden Ablaufs der Geltungsdauer des Planfeststellungsbeschlusses und der sich damit zugleich stellenden Frage einer etwaigen (rechtzeitigen) Mittelbereitstellung erhöhen wollten. Man forderte daher ein eindeutiges Bekenntnis der Beklagten ein, um die nächsten Schritte zur Realisierung des Tunnelbaus einzuleiten. Dies ist – verbunden mit dem Einsatz bzw. der gesetzlich verankerten (und insoweit auch grdl. verbindlichen) Freigabe von nicht unerheblichen Steuermitteln – zwischenzeitlich geschehen. Der Beschluss des Stadtrats vom 20. Februar 2017 war damit letztendlich ein – wenn auch vom damaligen Bundesverkehrsminister Dobrindt eingefordertes, aber eben auch einmaliges – politisches Votum, das sich zugleich mit der Beschlussfassung und Übermittelung an den Bundesverkehrsminister verbraucht hat bzw. bereits vollzogen (abgeschlossen) ist (vgl. zu vollzogenen Maßnahmen auch BayVGH, B. v. 21.10.1999 – 4 ZE 99.2944 – juris Rn. 19). Ein etwaiger Aufhebungsbeschluss wäre damit ebenso ein rein politisches Signal. Ein Heranziehen von §§ 36 und 38 BauGB in analoger Anwendung oder vom Rechtsgedanken her auf den Stadtratsbeschluss vom 20. Februar 2017 erübrigt sich schon deswegen, weil es sich dabei um ein rein politisches Votum gehandelt hat, das in dieser Form gesetzlich nicht normiert ist und daher auch keine Rechtsfolgen auslöst. Für die Änderung einer zuvor mitgeteilten, unverbindlichen politischen Meinungsäußerung bedarf es keiner Rechtsgrundlage in Form einer „Widerruflichkeit“ oder gar einer „Anfechtung“; umgekehrt sind an die Mitteilung einer solchen Meinungsänderung auch keinerlei Rechtsfolgen geknüpft.
1.1.3 Soweit die Klägerbevollmächtigten als im Übrigen denkbare, weitere Maßnahmen politische Initiativen, Gespräche oder etwa das Verfassen unverbindlicher Schreiben an politische Mandats- und Entscheidungsträger anführen, ergibt sich bereits aus ihrem eigenen Vortrag, dass es sich hierbei sämtlich um rein politische Appelle ohne (der Beklagten zustehendem) Vollzugscharakter handelt.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass das Bürgerbegehren letztendlich auf unverbindliche, im Wesentlichen politische Maßnahmen ohne einen für die Beklagte vollziehbaren Entscheidungscharakter gerichtet ist, was in der Konsequenz eine unzuverlässige Zielsetzung (so als daraus ableitbare Rechtsfolge BayVGH, B.v. 22.3. 1999 – 4 ZB 98.1352 – a.a.O.) bzw. eine unzulässige Fragestellung (in diesem Sinn etwa BayVGH, B.v. 8.4.2005 – 4 ZB 04.1264 – juris Rn. 10) darstellt.
1.2 Selbst wenn man aber diese Mindestanforderungen an einen Grundsatzbeschuss als zu streng oder überzogen erachten würde, wäre jedenfalls die gewählte Fragestellung – selbst bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung (st.Rspr, vgl. etwa BayVGH, U.v. 4.7.2016 – 4 BV 16.105 – juris Rn. 32 m.w.N.) – unzulässig, weil sie gegen das nach ständiger Rechtsprechung als ungeschriebene Rechtmäßigkeits-voraussetzung bestehende sog. Täuschungs- und Irreführungsverbot verstößt.
Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss ein Bürgerbegehren eine (auf allen Unterschriftslisten gleichlautende) Begründung enthalten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren VerfGH, E.v. 13.4.2000 – Vf. 4-IX-00 – VGH n.F. 53, 81/105). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 Bayerische Verfassung – BV) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Gemeindebürger können nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden und von ihrem Eintragungsrecht Gebrauch machen, wenn sie nicht durch den vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend bzw. unvollständig erläutert wird (st.Rpsr., vgl. dazu m.w.N. BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 33). Diese zwingenden Anforderungen gelten nicht nur für die Begründung des Bürgerbegehrens, sondern in gleichem Maße auch für dessen Fragestellung. Werden in der Fragestellung eines Bürgerbegehrens in einer für die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert wird, so ist die Fragestellung unzulässig (BayVGH, B.v. 20.1.2012 – 4 CE 11.2771 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Anforderungen ist die gewählte Fragestellung irreführend, weil sie durch die Formulierung „alles unternimmt“ fälschlicherweise den Eindruck erweckt, dass der Beklagten noch konkrete, valide und substantielle Handlungsoptionen zur Verfügung stehen, um den Tunnelbau zu verhindern. Insofern ist zunächst klarzustellen, dass ein Bürgerentscheid die Beklagte nur zu rechtmäßigen Maßnahmen verpflichten könnte; ein auf ein rechtswidriges Ziel gerichtetes Bürgerbegehren ist unzulässig (BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 4 B 11.221 – juris Rn. 24). Überdies unterliegt die Beklagte in all ihrem Handeln dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG. Handlungsmöglichkeiten, wie etwa Demonstrationen oder politische Proteste, stehen ihr daher im Vergleich zu privaten Initiativen ohnehin nicht oder allenfalls sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die der Beklagten so verbleibenden, rechtlich zulässigen Optionen beschränken sich – wie eben unter 1.1 dargelegt – im Wesentlichen auf kaum aussichtsreiche politische Appelle. Letztendlich im deutlichen, wenn nicht krassen Widerspruch steht dem die Formulierung „alles unternimmt“ gegenüber, die ein verständiger, objektiver Empfänger (Rechtsgedanke der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB), nur so verstehen kann, dass die Beklagte bei positivem Bescheid nun „alle, insbesondere auch erfolgversprechende Register zieht“, um den B2-Tunnelbau zu verhindern. Dieser Eindruck bzw. die irreführende Suggestion, dass noch effektive Abwehrmittel gegen den Tunnelbau bestehen, wird auch nicht durch die Formulierung „planfestgestellte[r] B2-Tunnel“ relativiert. Allenfalls ein fachkundiger Gemeindebürger könnte daraus wohl die oben angeführten, sehr beschränkten Optionen der Beklagten bei einem bestandsbzw. rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss ableiten bzw. „herauslesen“. Abgesehen davon, dass dafür bereits die Präzisierung „bestandskräftigem/rechtskräftigem“ im Fragetext fehlt, würde ein solcher Schluss selbst bei wohlwollender Auslegung die in gewissem Maße gegebene Obliegenheit des Gemeindebürgers, sich selbst ein Bild vom Thema und Inhalt des Bürgerbegehrens zu machen – deutlich – überspannen. Zwar müssen sich die um ihre Unterschrift gebetenen Gemeindebürger selbständig ein Urteil darüber bilden, ob sie die – in der Regel einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens – vorgebrachten Gründe für stichhaltig halten oder ob sie sich zusätzlich aus weiteren Quellen informieren wollen. Zu beanstanden ist die Begründung eines Bürgerbegehrens aber, wenn sie über eine bloß tendenziöse Wiedergabe hinaus einen entscheidungsrelevanten Umstand nachweislich falsch oder in objektiv irreführender Weise darstellt (BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – a.a.O. Rn. 35). Es kann nicht vom Gemeindebürger verlangt werden, dass er bereits die Formulierung der Fragestellung derart kritisch hinterfragt und nur aufgrund eigener Recherche zum Ergebnis kommt bzw. kommen kann, dass sich „alles Unter[nehmbare]“ auf wenige unverbindliche Schreiben reduziert (vgl. in diesem Sinne bzw. in einer ähnlichen Konstellation auch BayVGH, B.v. 20.12.2012 – 4 CE 11.2771 – a.a.O. Rn. 27, wonach Fragestellung oder Begründung unzulässig sind, wenn die Gemeindebürger, soweit sie nicht über spezielle Vorkenntnisse verfügen, den eigentlichen Inhalt des [dem dortigen Bürgerbegehren zugrundeliegenden] Regelungsvorschlags nicht erfassen können). Da es für die Gemeindebürger von maßgeblicher, wenn nicht entscheidender Bedeutung ist, dass ihr Votum effektiv umgesetzt wird, ist eine solche Täuschung bzw. Irreführung auch abstimmungsrelevant (vgl. dazu BayVGH, B.v. 14.10.2014 – 4 ZB 14.707 – juris Rn. 6).
1.3 Bereits aus den eben in 1.1 und 1.2 genannten Gründen ist das Bürgerbegehren unzulässig; daher bedarf es bzgl. der von Beteiligten im Übrigen angeführten Aspekte keiner weiterer Erläuterung. So kann etwa offen bleiben, ob das Bürgerbegehren gegen verbindliche Regelungen in Form der Luftreinhalteplanung verstößt und seine Begründung den gesetzlichen Anforderungen im Übrigen entspricht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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