Aktenzeichen M 7 K 17.3741
Leitsatz
1. Bei sogenannten doppelfunktionalen Maßnahmen der Polizei hat das Gericht anhand des (erkennbaren) Grunds oder Ziels des polizeilichen Einschreitens und ggf. dessen Schwerpunkts zu bestimmen, ob die streitbefangene Maßnahme der präventiven Gefahrenabwehr und damit dem Verwaltungsrechtsweg oder der repressiven Strafverfolgung und damit dem ordentlichen Rechtsweg zuzuordnen ist (ebenso BayVGH BeckRS 2009, 41748 Rn. 9, 12 mwN) (Rn. 6 und 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Rechtsschutz gegen eine behördlich angeordnete Unterbringung und gegen eine polizeiliche Gewahrsamsnahme ist den Amtsgerichten zugewiesen. (Rn. 10 und 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht Weilheim verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt in der von ihr mit Schreiben vom 9. August 2017 erhobenen Klage zum Verwaltungsgericht München die Feststellung, dass das Handeln von Polizeibeamten der Polizeiinspektion Schongau und Mitarbeitern beim Landratsamt Weilheim-Schongau im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz sowie einer sich anschließenden Unterbringung am 30. August 2016 nicht rechtmäßig gewesen wäre.
Bereits mit Klage vom 8. Oktober 2016 (M 10 K 16.4582) und einem Eilantrag (M 10 E 16.4912) hat sich die Klägerin gegen die polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit einem Einsatz am 30. August 2016 gewandt. Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 22. Dezember 2016 an das Amtsgericht Weilheim verwiesen worden, eine Beschwerde hiergegen wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Januar 2017 verworfen (10 C 17.79). Der Verweisung lag zugrunde, dass die polizeilichen Maßnahmen schwerpunktmäßig repressiv einzustufen seien und daher der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. Oktober 2017 wurden die Parteien in Bezug auf eine beabsichtigte Verweisung auch dieses Verfahrens an das Amtsgericht Weilheim angehört. Hierzu nahm die Klägerin unter dem 14. Oktober 2017 und 15. Oktober 2017 unter anderem dahingehend Stellung, dass eine Verweisung an das ordentliche Gericht nicht zulässig sei. Es gehe um das geheime, hinterhältige Vorgehen der Beamten, die in einem Dienstverhältnis des Freistaats Bayern stünden, und durch das sie als deutsche Staatsangehörige diskriminiert worden sei. Zudem gehe es um die Nichtzustellung eines Unterbringungsbeschlusses. Auch sei sie für die Beantragung und das Warten auf die Ausfertigung des Unterbringungsbeschlusses über mehrere Stunden eingesperrt gewesen. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd erhob am 11. Oktober gegen eine Verweisung keine Einwände. Eine Äußerung des Landratsamtes Weilheim-Schongau unterblieb.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten des Polizeipräsidiums und des Landratsamtes verwiesen.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist vorliegend nicht eröffnet. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist.
1. Bei Maßnahmen der Polizei ist für die Frage des Rechtswegs entscheidend, in welcher Funktion die Polizei im konkreten Fall tätig geworden ist. War dies zum Zwecke der Strafverfolgung (repressiv), hat die Polizei funktional als Justizbehörde im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) gehandelt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Auflage 2015, § 23 EGGVG Rn. 2). Wird die Polizei hingegen zur Gefahrenabwehr (präventiv) tätig, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. Art. 12 Abs. 1 Polizeiorganisationsgesetz (POG)).
Das Verwaltungsgericht München hat das polizeiliche Handeln im Zusammenhang mit einem Nachbarstreit am 30. August 2016 im Verfahren M 10 K 16.4582 bereits schwerpunktmäßig als repressiv eingestuft und hierzu folgendes ausgeführt:
„Die hier streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen gehören zu den so genannten doppelfunktionalen Maßnahmen der Polizei. Darunter werden Handlungen verstanden, die sich nicht ohne Weiteres als Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung einordnen lassen, weil sie nach Maßgabe entsprechender Befugnisnormen sowohl nach Polizeirecht als auch nach der Strafprozessordnung vorgenommen worden sein könnten. Bei doppelfunktionalen Maßnahmen der Polizei hat das Gericht anhand des (erkennbaren) Grunds oder Ziels des polizeilichen Einschreitens und ggf. dessen Schwerpunkts zu bestimmen, ob die streitbefangenen Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dienten (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – juris Rn. 9, 12 m.w.N.).
Vorliegend stuft das Gericht die polizeilichen Maßnahmen, deren Rechtswidrigkeitsfeststellung und zukünftiges Unterlassen die Antragstellerin beantragt, nach den Umständen der Einsätze als schwerpunktmäßig repressiv ein. Die Beamten wurden aufgrund eines Nachbarschaftsstreits am 30. August 2016 an der Wohnung der Antragstellerin tätig. Aufgrund dieses Einsatzes haben die Polizeibeamten die Antragstellerin mehrfach in der Folge aufgesucht, um die Antragstellerin als Beschuldigte bezüglich des Vorfalls am 30. August 2016 zu vernehmen und sie nach einem möglichen Tatwerkzeug zu befragen. Zudem wurde sie als Zeugin vorgeladen. Grundlage des polizeilichen Handelns waren daher §§ 161 und 163 StPO. Dass diese Einsätze möglicherweise auch dazu dienen sollten, zukünftigen Nachbarschaftsstreitigkeiten vorzubeugen, ist unschädlich, da diese Zweckrichtung angesichts der Gesamtumstände nur von untergeordneter Bedeutung ist.“
Vorliegend ist für das Gericht aus den klägerischen Ausführungen nicht erkennbar, inwieweit sich das Begehren im vorliegenden Verfahren vom vorangegangenen unterscheidet und auf einzelne rein präventiv einzustufende polizeiliche Maßnahmen beziehen sollte. Den Ausführungen der Klägerin ist vielmehr eine breit angelegte, allgemeine Feststellung der Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns zu entnehmen.
Somit ist insoweit das Amtsgericht Weilheim gemäß § 23 EGGVG i.V.m. Art. 5 Nr. 69 Gerichtsorganisationsgesetz (GerOrgG) zuständig.
2. Soweit die Klage zudem gegen die sofortige vorläufige Anordnung der Unterbringung mit Bescheid des Landratsamtes vom 30. August 2016 verstanden werden kann, ist der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht ebenfalls nicht eröffnet, sondern den Amtsgerichten als sog. Unterbringungssache i.S.d. § 312 Nr. 4, § 313 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) i.V.m. § 23a Abs. 2 Nr. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) – auch bei nachträglichen Feststellungsklagen – zugewiesen (VG Bayreuth, B.v. 14.10.2013 – 2 B K 13.726 – juris). Hierauf wurde in der Rechtsbehelfsbelehrung:des Bescheids vom 30. August 2016 auch ausdrücklich hingewiesen.
3. Eine etwaige Mitwirkung der Polizei bei der Unterbringung – den behördlichen Akten lassen sich hierzu keine Informationen entnehmen – würde eine Vollzugshilfe nach Art. 50 Abs. 1 PAG i.V.m. Art. 8 Abs. 2 Bayerisches Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG) darstellen. Hinsichtlich der Art und Weise einer Vollzugshilfe könnte der Verwaltungsrechtsweg zwar eröffnet sein. Eine Vollzugshilfe in diesem Sinne, z.B. durch die Einlieferung einer Person in eine entsprechende Einrichtung, würde jedoch erst mit der entsprechenden Anordnung durch das Landratsamt beginnen. Den klägerischen Ausführungen ist jedoch diesbezüglich kein Klageinhalt zu entnehmen.
4. Vielmehr rügt die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 14. Oktober 2017, in ihrer Wohnung am 30. August 2016 von 6:30 Uhr bis 7:15 Uhr festgehalten worden zu sein etc.. Dabei handelt es sich um keinen Bestandteil einer Vollzugshilfe zur Unterbringung, sondern des – vom Verwaltungsgericht München im Beschluss vom 22. Dezember 2016 als schwerpunktmäßig repressiv – eingestuften polizeilichen Handelns.
Ebensowenig um den Bestandteil einer Vollzugshilfe handelt es sich, soweit sich die Klägerin im Schriftsatz vom 14. Oktober 2017 darüber beklagt, über mehrere Stunden für die Beantragung und das Warten auf die Ausfertigung des Unterbringungsbeschlusses eingesperrt worden zu sein. Dies bezieht sich vielmehr auf eine erfolgte Gewahrsamnahme der Klägerin, die auch der polizeilichen Behördenakte in der Kurzmitteilung an das Landratsamt vom 30. August 2016 entnommen werden kann. Der Rechtschutz gegen Gewahrsamnahmen nach Art. 17 PAG ist nach Art. 18 Abs. 3 PAG jedoch ebenfalls zu den Amtsgerichten eröffnet, auch in Bezug auf nachträgliche Feststellungsbegehren.
Daher war gem. § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG festzustellen, dass der von der Klägerin beschrittene Verwaltungsrechtsweg unzulässig ist, und der Rechtsstreit an das Amtsgericht Weilheim zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG.