Verwaltungsrecht

Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen Zuerkennung subsidiären Schutzes durch Italien

Aktenzeichen  W 3 S 17.50150

Datum:
29.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150441
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Für anerkannte Flüchtlinge stellen sich die Lebensverhältnisse in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinn von Art. 3 EMRK dar; sie sind grds. italienischen Staatbürgern gleichgestellt und können erforderlichenfalls staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der zur Person nicht ausgewiesene Antragsteller, nach seinen eigenen Angaben ein am … 1992 geborener somalischer Staatsangehöriger, beantragte am 6. März 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Gewährung politischen Asyls.
Für den Antragsteller ergaben sich EURODAC-Treffer vom 12. April 2013 und vom 2. März 2015 für Schweden.
Im Rahmen einer Anhörung durch die Regierung von Unterfranken am 23. Februar 2017 gab der Antragsteller an, er habe im November 2008 Somalia verlassen und sei über Äthiopien in den Sudan und von dort weiter nach Libyen gereist, wo er im Juli 2011 angekommen sei. Im August 2012 sei er mit dem Boot nach Italien gelangt. Mit einem gefälschten Flüchtlingsausweis sei er im Jahr 2013 nach Schweden gelangt. Dort habe er einen Asylantrag gestellt. Am 1. September 2015 sei er nach Italien abgeschoben worden, nachdem das Asylgesuch in Schweden abgelehnt worden sei. Am 2. Februar 2017 sei er mit dem Zug über die Schweiz nach Deutschland gereist.
Im Rahmen eines Gesprächs vor dem Bundesamt am 6. März 2017 gab der Antragsteller an, am 8. Juli 2012 seien ihm in Italien Fingerabdrücke abgenommen worden, desgleichen am 5. Februar 2013 in Schweden.
In einem Vermerk vom 6. März 2017 hat das Bundesamt festgehalten, der Asylantrag des Antragstellers in Schweden sei abgelehnt worden, er sei über das Dublin-Verfahren nach Italien geschickt worden. Dort habe er zwar eine Aufenthaltsgestattung für sechs Monate erhalten, aber keinen Asylantrag gestellt.
In einer Anhörung vor dem Bundesamt am 6. März 2017 gab der Antragsteller an, im Oktober 2016 habe er sich beim Fußballspielen den Fuß gebrochen, er habe derzeit immer noch Probleme damit. Er wolle nicht nach Italien überstellt werden, da die Lebensumstände dort kein Leben seien. Seine Asylanträge in Schweden seien abgelehnt worden.
Am 7. März 2017 richtete das Bundesamt gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO ein Aufnahmegesuch an Schweden. Mit Schreiben vom 10. März akzeptierten die schwedischen Behörden dieses Aufnahmegesuch nicht mit der Begründung, dem Antragsteller sei von den italienischen Behörden am 17. März 2015 subsidiärer Schutz in Italien gewährt worden. Die Schutzgewährung sei bis 16. November 2015 gültig. Dem Schreiben war ein Schreiben des Ministero dell ´Interno vom 16. März 2015 beigefügt, aus welchem sich ergibt, dass dem Antragsteller subsidiärer Schutz (subsidiary protection) in Italien gewährt worden ist.
Mit Bescheid vom 14. März 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer I), stellte fest, das Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen (Ziffer II), forderte den Antragsteller unter Abschiebungsandrohung nach Italien zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und legte fest, dass der Antragsteller nicht nach Somalia abgeschoben werden darf (Ziffer III) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer IV). Dies stützte das Bundesamt auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG mit der Begründung, dem Antragsteller sei in Italien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Eine Abschiebung nach Italien sei nicht unzulässig, da kein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vorliege. Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab hinsichtlich einer Verletzung des Art. 3 EMRK seien nicht erfüllt. Hinsichtlich seines gebrochenen Fußes könne sich der Antragsteller in Italien, soweit nötig, behandeln lassen. Im Übrigen wird auf die weitere Begründung des Bescheides Bezug genommen. Der Bescheid wurde am 15. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben.
Am 22. März 2017 ließ der Antragsteller im Verfahren W 3 K 17.50149 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird wiederhergestellt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die angefochtene Entscheidung beruhe auf der Annahme, dem Antragsteller sei in Italien internationaler Schutz gewährt worden. Nach dem Aktenvermerk vom 6. März 2017 habe der Antragsteller jedoch nur in Schweden Asyl beantragt und nicht in Italien. Aus diesem Grund sei das Asylverfahren weiterzuführen, bis die Zuständigkeiten geklärt seien.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf die der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes, welche Gegenstand des Verfahrens waren und dem Gericht in elektronischer Form vorliegen, Bezug genommen.
II.
Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung zulässig, jedoch unbegründet. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung unter anderem bei Abweisung des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt und offenkundig (§ 34 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative AsylG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht stand hält (BVerwG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfG 94, 166 ff.) Anknüpfungspunkt bei der Überprüfung durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ferner die – nach § 31 Abs. 3 AsylG auch bei unzulässigen Asylanträgen zutreffende – Feststellung des Bundesamtes zum Vorliegen zielstaatbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zum Gegenstand der Prüfung zu machen (vgl. VG München, B.v. 13.2.2017 – M 21 S 16.33951 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 14. März 2017. Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Bescheides, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dabei stellt jede Zuerkennung von Schutz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Form des internationalen Schutzes im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG dar (vgl. VG Hamburg, U.v. 22.11.2016 – 16 A 5054/14 – juris Rn. 22 ff.). Diese Voraussetzungen liegen entsprechend der Mitteilung des Ministero dell ´Interno vom 16. März 2015 vor. Entsprechend dieser Mitteilung hat der Antragsteller subsidiären Schutz (subsidiary protection) erhalten. Dass dieser Schutzstatus zunächst bis zum 16. November 2015 begrenzt ist, kann in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, da der Antragsteller jederzeit eine Verlängerung dieses Schutzstatus in Italien beantragen kann. Damit ist der in Deutschland gestellte Asylantrag des Antragstellers unzulässig.
Entsprechend den ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes zu der im Hinblick auf § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zutreffend auf Italien beschränkten Prüfung von nationalen Abschiebungsverboten (vgl. BVerwG, U. v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – juris Rn. 32) bestehen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dem Antragsteller droht in Italien weder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (i.V. mit § 60 Abs. 5 AufenthG) noch eine sonstige konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn Artikel 3 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (VG Düsseldorf, U. v. 14.11.2016 – 12 K 5984/16.A – juris m.w.N.; EGMR, U.v. 30.6.2015 – 39350/13 – (A. S. ./. Schweiz) – juris Rn. 27; U.v. 21.1.2011 – 30696/09 (M. S. S. ./. Belgien und Griechenland) – EuGrZ 2011, 243 Rn. 249 m.w.N.; B.v. 2.4.2013 – 27725/10 (Mohammed Hussein u.a. ./. Niederlande und Italien) – ZAR 2013, 336 Rn. 70; vgl. auch OVG NRW, U.v. 19.5.2016 – 13 A 1490/13. A – juris Rn. 91; B.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12 A – juris Rn. 119).
Für die hier maßgebliche Fallgruppe anerkannter Flüchtlinge stellen sich die Lebensverhältnisse in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinn von Art. 3 EMRK dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfe in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie – wie auch Italiener, die arbeitslos sind – die Hilfe caritativer Organisationen erhalten (vgl. dazu ausführlich OVG NRW, U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16 A – juris Rn. 51; VG München, B.v. 13.2.2017 – M 21 S 16.33951 – juris Rn. 20). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Situation von Asylsuchenden mit offenen Asylverfahren für die vorliegende Fallkonstellation anerkannter Flüchtlinge nicht einschlägig ist.
Individuelle Umstände, die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufentG begründen könnten, bestehen nicht. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen – Beschwerden am Fuß – begründen im Hinblick auf die Art der Beschwerden und das funktionierende Gesundheitssystem in Italien, das auch anerkannten Flüchtlingen offensteht (vgl. OVG NRW, U.v. 24.8.2016 – a.a.O. – juris Rn. 90) offensichtlich kein Abschiebungsverbot im Sinn von § 60 Abs. 7 AufenthG.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig beruhende Abschiebungsandrohung mit der Zielstaatsbestimmung Italien und der einwöchigen Ausreisefrist nach § 35, § 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist nach alledem nicht zu beanstanden.
Ergänzend ist auszuführen, dass eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Durchführung eines Asylverfahrens sich nicht aus der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 – Dublin III-VO – ergibt. Diese Verordnung findet keine Anwendung, wenn einem Ausländer, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, bereits in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union – hier in Italien – subsidiärer Schutz zuerkannt wurde (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – juris; OVG NRW, U.v. 19.5.2016 – a.a.O. – juris).
Auch hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes ergeben sich keine Bedenken.
Da somit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes bestehen, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. März 2017 mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

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