Verwaltungsrecht

Unzulässigkeit eines Berufungszulassungsantrags

Aktenzeichen  8 ZB 16.2059

Datum:
23.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 111592
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60, § 67 Abs. 4, § 124a Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1. Der Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 S. 1, S. 2 VwGO gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Höhere Gewalt iSd § 60 Abs. 3 VwGO ist als außergewöhnliches, unvorhersehbares Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (wie BayVGH BeckRS 2013, 53448 Rn. 17). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 12.619 2012-09-05 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Widmung einer im Eigentum des Klägers stehenden Wegfläche nichtig ist.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung H* … Seine Klage auf Feststellung, dass die Widmung des auf diesem Grundstück verlaufenden Wegs mit Widmungsakt vom 24. Juni 2009 nichtig sei, hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 5. September 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Widmungsverfügung der beklagten Gemeinde nicht nichtig sei. Der Kläger müsse die von seinem Rechtsvorgänger erteilte Zustimmung zur Widmung gegen sich gelten lassen. Das Urteil war mit einer Rechtsmittelbelehrungversehen, wonach den Beteiligten die Berufung zusteht, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Unter anderem wurde auch darauf hingewiesen, dass sich die Beteiligten vor dem bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen müssen. Laut Empfangsbekenntnis haben die Klägerbevollmächtigten das Urteil vom 5. September 2012 am 19. September 2012 empfangen.
Mit Schreiben vom 2. September 2016 wandte sich der Kläger an das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg. Er machte geltend, dass er gegen das damalige Urteil mit Schreiben vom 30. September 2012 fristgemäß „Berufung“ eingelegt habe, das er per Einwurfeinschreiben an das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg versandt habe. Zum Nachweis legte er eine Ablichtung dieses Schreibens vor, das von ihm verfasst und unterschrieben war, sowie Ablichtungen des Briefumschlags und des Einlieferungsbelegs vom 1. Oktober 2012. Zudem führte er aus, warum die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach seiner Auffassung unzutreffend und die streitgegenständliche Widmung nichtig sei, und beantragte Wiedereinsetzung.
Der Kläger wurde mit Schreiben des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Oktober 2016 darauf hingewiesen, dass das Urteil seinem damaligen Prozessbevollmächtigten zugestellt worden sei und dass dieser keinen Rechtsmittelantrag gestellt habe. Zudem wurde ausdrücklich klargestellt, dass beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Anwaltszwang herrschte und dass ein ohne Anwalt gestellter Berufungszulassungsantrag unzulässig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Akten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen. Er ist unzulässig, weil er nicht innerhalb der Monatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO durch einen vertretungsbefugten Prozessbevollmächtigten gestellt wurde (1.). Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren. Er hat die versäumte Rechtshandlung nicht fristgerecht nachgeholt und seinen Antrag auch nicht innerhalb der Frist des § 60 Abs. 3 VwGO gestellt (2.).
1. Der Kläger hat nicht binnen der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO durch einen hierfür befähigten Prozessbevollmächtigten die Zulassung der Berufung beantragt.
Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Urteil des Verwaltungsgerichts (vgl. § 58 Abs. 1 VwGO) wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. September 2012 gemäß § 56 Abs. 2 VwGO, § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Die Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO endete damit am 19. Oktober 2012 (§ 57 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB).
Ob der Antrag des Klägers vom 30. September 2012, mit dem er sinngemäß die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. September 2012 beantragt, innerhalb dieser Zulassungsfrist beim Verwaltungsgericht eingegangen ist, kann dahinstehen. Darauf kommt es nicht an, weil es jedenfalls an der erforderlichen Prozessvertretung (§ 67 Abs. 4 Sätze 1, 2 und 7 VwGO) fehlt. Der Kläger hat sich nicht anwaltlich vertreten lassen, obwohl in der Rechtsbehelfsbelehrung:zutreffend auf den Vertretungszwang hingewiesen wurde.
2. Dem Kläger kann auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO gewährt werden. Voraussetzung hierfür wäre gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO, dass die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt wird, vorliegend also die Beantragung der Zulassung der Berufung durch einen Prozessbevollmächtigten (2.1). Daran fehlt es. Hinzu kommt, dass gemäß § 60 Abs. 3 VwGO nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist eine Wiedereinsetzung nicht mehr zulässig ist, es sei denn der Antrag war vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich. Diese Voraussetzung hätte der Kläger darlegen müssen, woran es ebenfalls fehlt (2.2).
2.1 Nach § 60 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO). Dabei ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Die versäumte Rechtshandlung wurde bisher nicht nachgeholt. Der Kläger hat – trotz nochmaligen ausdrücklichen Hinweises – die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Form des § 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO nicht gewahrt. Nach dieser Regelung müssen sich die Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht, also auch vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird (vgl. etwa W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 67 Rn. 29, m.w.N.). Der am 7. September 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg eingegangene Antrag des Klägers, der einen Antrag auf Zulassung der Berufung enthielt, wurde jedoch nicht durch einen hierfür befähigten Prozessbevollmächtigten gestellt (vgl. § 67 Abs. 4 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 VwGO).
2.2 Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass höhere Gewalt im Sinn des § 60 Abs. 3 VwGO gegeben war, die ihn gehindert hat, den Antrag auf Wiedereinsetzung binnen Jahresfrist zu stellen. Höhere Gewalt im Sinn dieser Regelung ist als außergewöhnliches, unvorhersehbares Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 1.7.2013 – 7 ZB 13.305 – BayVBl 2013, 734, Rn. 17). Obwohl er auf die Notwendigkeit eines solchen Vortrages (und auf die notwendige Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten) ausdrücklich hingewiesen wurde, fehlt es an einem hinreichenden Vorbringen dazu.
3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG, unter Heranziehung von Ziffer II.43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ Beilage 2013, 57).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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