Aktenzeichen RN 14 K 19.30212 ; RN 14 K 19.31492 ; RN 14 K 20.30560
Leitsatz
Insbesondere in größeren Städten Sierra Leones – etwa in Freetown, Waterloo, Makeni, Bo, Kenema oder Port Loko – ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dort von nichtstaatlichen Akteuren aufgespürt zu werden. (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über die Klage konnte gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher angehört wurden.
Die zulässige – insbesondere fristgemäß erhobene (§§ 74 Abs. 1 Hs. 2, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) – Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es besteht kein Anspruch auf die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Schließlich ist auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten nicht ersichtlich. Die Klage war daher sowohl im Haupt- als auch in den Hilfsanträgen abzuweisen.
Die zutreffend begründete Entscheidung des Bundesamtes ist nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG vollumfänglich auf die zutreffenden Feststellungen und die Begründung im angegriffenen Bescheid und sieht von einer erneuten Darstellung in den Entscheidungsgründen ab. Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren inhaltlich nichts dazu vorgetragen, weshalb die Entscheidung des Bundesamts zu beanstanden wäre.
Ergänzend hierzu weist das Gericht auf folgende entscheidungserhebliche Gesichtspunkte hin:
1. Die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin ist schon davon überzeugt, dass die vom Kläger geschilderten Geschehnisse in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden haben. Die Angaben, die der Kläger beim Bundesamt gemacht hat, sind vage, oberflächlich und unsubstantiiert. Der Kläger war nicht in der Lage, konkrete Fragen des Bundesamtes zufriedenstellend zu beantworten. Er konnte weder angeben, wie viele Leute zu ihm kamen noch diese detailreich beschreiben. Zunächst gab er an, seinen Träger mit einem Stock, den er diesem abgenommen habe, geschlagen, dann, ihn mit einem abgebrochenen Ast in den Hals gestochen zu haben. Wie ihm bei der behaupteten Überzahl der Entführer die Flucht gelungen sein soll, noch dazu in unbekanntem Terrain, konnte er nicht erklären. Auch die von der Mutter übermittelte Warnung erscheint unglaubhaft. Er schilderte keinerlei Einzelheiten, wie sie selbstverständlich wären, wenn jemand über etwas tatsächlich Erlebtes berichtet. Die Beantwortung der Fragen des Bundesamtes war ausweichend und die Angaben beschränkten sich auf in Sierra Leones sicher vorhandenes Allgemeinwissen über Geheimgesellschaften oder auf unkonkrete Antworten, die immer passen. Das Gericht ist deshalb davon überzeugt, dass der Kläger tatsächlich gar nicht von Mitgliedern einer Geheimgesellschaft bedroht worden ist. Zur Überzeugung des Gerichts steht daher bereits fest, dass der Kläger Sierra Leone verlassen hat, ohne dass er bereits eine Vorverfolgung erlitten hat oder dass ihm eine solche unmittelbar drohte. Schon eine konkrete Verfolgungshandlung vor seiner Ausreise wurde nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Deshalb ist es auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland staatliche oder nichtstaatliche Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss.
2. Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass der Kläger von nichtstaatlichen Akteuren – der PoroSociety – verfolgt worden ist, so muss er sich auf internen Schutz verweisen lassen.
Nach den §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr besteht, dass er einen ernsthaften Schaden erleidet oder er dort Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach den §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3d AsylG hat (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
Nach den dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist dies dann der Fall, wenn sich der Kläger nicht am Ort der geschilderten Verfolgung niederlässt. Insbesondere in größeren Städten – etwa in Freetown, Waterloo, Makeni, Bo, Kenema oder Port Loko – ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger dort von nichtstaatlichen Akteuren aufgespürt werden könnte. Insbesondere in den größeren Städten Sierra Leones ist es nach der Überzeugung des Gerichts möglich, unbehelligt von nichtstaatlichen Akteuren zu leben. In der Verfassung von Sierra Leone sind uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr verankert. Auch wenn es Berichte gibt, wonach Sicherheitskräfte bei Straßensperren außerhalb der Hauptstadt Bestechungsgelder von Fahrzeuglenkern verlangen, ist doch festzustellen, dass die Regierung diese Rechte respektiert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Sierra Leone, Wien am 4.7.2018). Angesichts der in Sierra Leone bestehenden infrastrukturellen Mängel ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger den Kläger auffinden sollten, wenn er sich in einer größeren Stadt niederließe. In Sierra Leone existiert kein ordnungsgemäßes Zivilregister (AA, Auskunft an das Bundesamt vom 17.10.2017), so dass es selbst für staatliche Stellen schwierig sein dürfte, eine bestimmte Person in einer Großstadt ausfindig zu machen. So führt das Auswärtige Amt in einer Auskunft an das Verwaltungsgericht Regensburg vom 4.11.2019 (Gz.: 508-9-516.80/52992) aus, dass sich selbst Straftäter, die wegen eines Tötungsdelikts gesucht werden, durch einen Aufenthaltswechsel oder Fernhalten von der ermittelnden Polizeibehörde innerhalb Sierra Leones einer Strafverfolgung entziehen können. Sierra Leone verfüge nicht über ein funktionierendes zentrales Fahndungsbuch, weshalb nur die Polizeidienststelle, welche wegen des Delikts ermittele, Informationen über vermeintliche Straftäter habe. Wenn man sich aber staatlichen Ermittlungsbehörden und somit einem Strafverfahren durch einen Aufenthaltswechsel relativ einfach entziehen kann, so dürfte es für nichtstaatliche Akteure nahezu unmöglich sein, eine Person ausfindig zu machen, die sich bereits längere Zeit im Ausland aufgehalten hat und dann nach Sierra Leone zurückkehrt, wenn sie sich nicht erneut an ihrem Herkunftsort niederlässt. Eine konkrete Bedrohung des Klägers durch nichtstaatliche Akteure ist deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich. Das Gericht ist vielmehr nach alledem davon überzeugt, dass die Poro-Society eine Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone nicht einmal bemerken würden, wenn er sich in einer größeren Stadt in gewisser Entfernung seines Heimatortes niederlassen würde. Der von dem Kläger geschilderte Vorfall ereignete sich in Konta, etwa 300 km von Freetown entfernt. Schon an seinem vor der Ausreise gewöhnlichen Aufenthaltsort Freetown könnte sich der Kläger nach einer Rückkehr nach Sierra Leone nach der Überzeugung des Gerichts gefahrlos aufhalten, so dass auch aus diesem Grund die Zuerkennung eines Schutzstatus nach den §§ 3 e, 4 Abs. 3 AsylG ausscheidet. Dabei ist auch zu bedenken, dass der Kläger eigenen Angaben zufolge sein Heimatland bereits im Jahr 2015 – also vor über 5 Jahren – verlassen hat. Nach alledem besteht nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers eine inländische Fluchtalternative.
Zudem bestätige die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 9. Januar 2017 an das Verwaltungsgericht Augsburg, dass es in Sierra Leone viele Menschen gebe, die keine Mitglieder in einer Geheimgesellschaft seien. Sie könnten insbesondere in größeren Städten ohne Probleme leben. Diese Einschätzung treffe auf das ganze Land zu. Zudem gewähre die Verfassung von Sierra Leone Religionsfreiheit. Über Zwangsmaßnahmen sei nur sehr selten etwas bekannt geworden. Eine Verfolgung wegen Weigerung, einer Geheimgesellschaft beitreten zu wollen, diese als wahr unterstellt, sei daher nicht anzunehmen (vgl. AA, Anfrage an VG Augsburg vom 9.1.2017).
Ferner wäre es dem Kläger auch zuzumuten, in einen anderen Landesteil zu gehen. Im Fall des Klägers ist zu berücksichtigen: Bei der anzustellenden Rückkehrprognose, im Rahmen derer zu prüfen ist, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine – zwar notwendig hypothetische aber doch – realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris = BVerwGE 90, 364; BVerwG, U.v. 16.8.1993 – 9 C 7.93 – juris). Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen.
Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage muss davon ausgegangen werden, dass es ihm möglich ist, sich und seiner Familie in jedem Teil Sierra Leones die Existenz durch Gelegenheitsarbeiten sicherzustellen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Der Kläger ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er konnte seinen Lebensunterhalt bereits vor seiner Ausreise erwirtschaften und sogar die Ausreise nach Europa damit finanzieren. Der Kläger hat 4 Jahre die Schule besucht, danach hat er Arbeitserfahrung gesammelt. Auch während seiner Reise nach Europa konnte er sich offenbar durch Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt finanzieren. Es ist daher davon auszugehen ist, dass der Kläger auch bei einer Rückkehr nach Sierra Leone zusammen mit seiner Frau sich und seiner Familie ein Existenzminimum, notfalls jeweils mit Gelegenheitsjobs, sichern kann. Er unterscheidet sich in keiner Weise von einer Vielzahl anderer junger Asylbewerber, die nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland mit Frau und Kind in ihr Heimatland zurückkehren müssen.
3. Auch die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 S. 1
AufenthG scheidet aus.
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung der Klagepartei in ihr Heimatland nicht angenommen werden. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Wirtschaft wird mit etwa 51,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 26,6% und der Industriesektor mit 22,1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 19 ff.).
Die Lebensumstände in Sierra Leone sind damit zwar äußerst schwierig. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger in Sierra Leone ein Existenzminimum erarbeiten kann (so im Ergebnis auch: VG München, B.v. 26.9.2017 – M 21 S 17.47358 – juris), und zwar selbst dann, wenn er und seine Familie auf sich alleine gestellt sind und keine Unterstützung durch in Sierra Leone lebende Verwandte erhalten. Bei der anzustellenden Rückkehrprognose, im Rahmen derer zu prüfen ist, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine – zwar notwendig hypothetische aber doch – realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris = BVerwGE 90, 364; BVerwG, U.v. 16.8.1993 – 9 C 7.93 – juris). Im vorliegenden Fall ist nach einer diesen Anforderungen entsprechenden Rückkehrprognose davon auszugehen, dass der Kläger zusammen mit Frau und Kind in sein Heimatland zurückkehren wird. Der Kläger ist jung und arbeitsfähig. Er hat einige Jahre die Schule besucht und konnte offensichtlich auch vor seiner Ausreise den Lebensunterhalt für sich erwirtschaften und damit sogar die Ausreise aus Sierra Leone finanzieren. Auch seine Frau ist jung und gesund. Sie hat 4 Jahre die Schule besucht und bereits Essen am Markt verkauft. Zwar ist jetzt ein Kind zu betreuen, doch es ist anzunehmen, dass sie trotzdem in geringem Umfang zum Unterhalt beitragen kann. Es ist nicht ersichtlich, warum die beiden nicht in der Lage sein sollten, sich und ihrem Kind den Lebensunterhalt nach Rückkehr zu sichern.
Auch wurden keine ärztlichen Atteste hinsichtlich bei dem Kläger bestehender Erkrankungen vorgelegt. Es wird daher gemäß § 60 a Abs. 2 c AufenthG vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
Ein nationales Abschiebungsverbot ergibt sich auch nicht aufgrund der sich ausbreitenden weltweiten Corona-Pandemie, die auch Sierra Leone erfasst hat.
Auch insoweit gilt es grundsätzlich die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Sierra Leone i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger in Sierra Leone gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwerster Gesundheitsschäden ausgeliefert wären. Die Regierung hat strenge Regeln zur Pandemieprävention bei Einund Ausreise erlassen. Flugreisende müssen sich vor Reiseantritt über das Reiseportal von Sierra Leone registrieren. Dafür ist neben den persönlichen – und Reisedaten ein negatives PCR-Testergebnis nachzuweisen, dass bei Abflug nach Sierra Leone nicht älter als 7 Tage sein darf. Das negative Testergebnis sowie der Nachweis der Registrierung durch einen Registrierungscode sind bereits am Ausgangsflughafen vorzulegen. Bei Einreise ist die Durchführung eines weiteren PCR-Tests und eines RDT-Schnelltests verpflichtend. Die Gebühr für diese Tests ist bei der Registrierung über das oben genannte Reiseportal zu entrichten. Die Einwanderungsbehörde behält die Pässe am Flughafen ein, bis die Testergebnisse vorliegen. Der internationale Flughafen in Lungi ist geöffnet. Der Flugverkehr findet in reduziertem Umfang statt. Die Landund Seegrenzen sind geschlossen. Ausnahmen gelten für Notfälle und Warenverkehr. Die Bevölkerung in Sierra Leone bleibt aufgefordert, die grundlegenden Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten, größere Menschenansammlungen zu vermeiden und in der Öffentlichkeit Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Von 23:00 Uhr bis 5:00 Uhr gilt eine nächtliche Ausgangssperre. Personenverkehr in und aus der Western Area (Freetown und Umland) wird auf das absolut notwendigste beschränkt und muss über einen elektronischen E-Pass beantragt und genehmigt werden. Personen, denen eine Fahrt gestattet wird, müssen einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als 72 Stunden sein darf. (vgl. dazu die aktuell geltenden Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, die auf dessen Homepage abrufbar sind: https://www…de/de/). Die Zahl der Infizierten sowie der an COVID-19 Verstorbenen ist darüber hinaus nach den von der WHO veröffentlichten Zahlen vergleichsweise niedrig. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Infektionszahlen in Sierra Leone wesentlich höher sind, als dies die Zahlen der WHO ausweisen, weil dort nur wenige Corona-Tests durchgeführt werden, ist den Zahlen zu entnehmen, dass das Infektionsrisiko in Sierra Leone kaum größer sein dürfte als in Deutschland.
Im Ergebnis ist jedenfalls festzustellen, dass die Regierung von Sierra Leone Maßnahmen ergriffen hat, um die Ausbreitung des Virus zu unterbinden bzw. zu verlangsamen. Jeder Einzelne hat es darüber hinaus selbst in der Hand, sich und andere vor allem durch die Einhaltung der Abstandsregelungen – insbesondere Meidung von Menschenmassen – zu schützen, sodass nach derzeitigem Stand nicht davon ausgegangen werden muss, dass sich der Kläger in seinem Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus infizieren wird.
Selbst bei unterstellter Infektion besteht jedenfalls keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs der Erkrankung. Nach den bisherigen Erkenntnissen zu COVID-19 kommt es beim ganz überwiegenden Teil der Erkrankten zu einem milden bis moderaten Verlauf und nur ein geringer Teil entwickelt eine schwere Erkrankung. Das größte Risiko für einen schweren Verlauf besteht bei älteren Personen ab etwa 50 bis 60 Jahren und bei Personen mit Vorerkrankungen. Bei Kindern sind Erkrankungen seltener und verlaufen in aller Regel mild (vgl. Robert Koch Institut [RKI], SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html).
Außerdem fehlen belastbare Anhaltspunkte dafür, dass sich die Wirtschafts- und Versorgungslage der Bevölkerung im Zuge der Pandemie in Sierra Leone derart verschlechtert, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Das Gericht geht davon aus, dass gerade der für Viele als Einnahmequelle bedeutende informelle Sektor nach den bereits wieder gelockerten und nur nachts geltenden Ausgangsbeschränkungen auch dem Kläger zur Verfügung steht. Bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung kommt es zudem zu keinem Mangel, der über das übliche Maß hinausgehen würde (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 10.6.2020, Seite 13). Das Gericht verkennt – auch unter Berücksichtigung der COVID- 19 – Pandemie nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Sierra Leone. Diese betreffen jedoch sierra-leonische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise. Ein Abschiebungsverbot ist deshalb nicht festzustellen.
Die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG schied nach alledem aus.
4. Die in Ziffer 5 der streitgegenständlichen Bescheide enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
5. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist ebenfalls rechtmäßig. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG – in der zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) geltenden Fassung – ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Ermessen entschieden. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf sie außer in den Fällen der Abs. 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten. Die getroffene Ermessensentscheidung erweist sich als rechtmäßig. Hier wurde die maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.