Aktenzeichen M 19 K 16.33362
Leitsatz
1. Nach den zum Irak vorliegenden Erkenntnismittel besteht für Personen, die sich offen zu ihren atheistischen Anschauungen bekennen, eine besondere Gefahr, Opfer gewaltsamer Übergriffe durch religiöse Fundamentalisten zu werden (so auch VG Hannover, U. v. 26.2.2018 – 6 A 5109/16, BeckRS 2018, 21935 und U. v. 29.10.2018 – 6 A 5521/17, BeckRS 2018, 29741). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der irakische Staat sowie die in § 3c Nr. 2 AsylG genannten Akteure sind nicht in der Lage oder nicht willens, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung durch religiöse Extremisten zu bieten. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ist gerade im kurdischen Norden erheblich verbreitet.Außerhalb der Autonomen Region Kurdistan gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung dieser Praktiken. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die schlechte humanitäre Lage im Irak ist nicht auf einen Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG zurückzuführen, da der irakische Staat oder die autonome Region Kurdistan-Irak als staatliche Akteure kein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigen und diese auf ihre Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist (vgl. NdsOVG, U. v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19. BeckRS 2019, 26594). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
5. In Kurdistan-Irak findet zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt statt (vgl. auch VG Köln, U. v. 10.9.2019 – 17 K 7760/17.A, BeckRS 2019, 27782; VG Bayreuth, U. v. 12.07.2019 – B 3 K 18.30379, BeckRS 2019, 21869). (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 3) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid der Beklagten vom 21. September 2016 wird hinsichtlich des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 3) in den Nummern 1, 3 bis 6 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt zwei Drittel ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 3). Die Klägerin zu 2) trägt ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst sowie ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Beklagten.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 3) haben einen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Klägerin zu 2) hat hingegen keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu ihren Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch die Abschiebungsandrohung und die Befristungsentscheidung sind insoweit rechtmäßig.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Ein Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz besteht für den Kläger zu 1) und für die Klägerin zu 3). Der Bescheid der Beklagten verletzt diese Kläger daher in ihren Rechten und ist aufzuheben, soweit er dem Anspruch entgegensteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AslyG zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a) AsylG) und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.
b) Weitere Einzelheiten regeln die §§ 3a – d AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 20. Dezember 2011 (sog. Qualifikationsrichtlinie). Erforderlich ist demnach eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1, 2 AsylG, die an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG anknüpft und von einem Akteur i.S.v. § 3c AsylG ausgeht. Weiter muss es an einem effektiven Schutz vor Verfolgung im Herkunftsstaat fehlen (§§ 3d, 3e AsylG). Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
c) Maßgeblich für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32). Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32; BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 21).
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22). Bei einer Vorverfolgung gilt kein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Vorverfolgten kommt jedoch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, der keine nationale Entsprechung hat, zugute (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 1 B 123.17 u. a. – juris Rn. 8; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 u. a. – juris Rn. 8). Danach ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von einer solchen Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt (VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 20).
d) Gemessen an den vorstehend geschilderten Anforderungen rechtfertigen die vom Kläger zu 1) im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe, die er im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2020 ergänzt hat, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht geht aufgrund der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere unter Berücksichtigung der glaubhaften und substantiierten Ausführungen zu seiner Weltanschauung, davon aus, dass dem Kläger zu 1) im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Religion von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG bedroht ist.
Nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG umfasst der Begriff der Religion auch atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Als Verfolgungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall in Ansehung des Klägers zu 1) im Falle einer Rückkehr in den Irak erfüllt.
Ausweislich der dem Gericht zum Irak vorliegenden Erkenntnismittel besteht für Personen, die sich – wie der Kläger zu 1) – offen zu ihren atheistischen Anschauungen bekennen, eine besondere Gefahr, Opfer gewaltsamer Übergriffe durch religiöse Fundamentalisten zu werden. Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des VG Hannover, U.v. 26.2.2018 – 6 A 5109/16 – juris 50 ff. und U.v. 29.10.2018 – 6 A 5521/17 – juris Rn. 27 ff. an.
Zwar ist auch der irakischen Gesellschaft der Atheismus nicht vollkommen fremd und nehmen dort säkulare und atheistische Anschauungen an Häufigkeit zu (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Berichte über Verfolgungshandlungen gegen Atheisten und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen [a-10329-1], 18. September 2017 m.w.N.). Auch besteht nach irakischem Recht keine ausdrückliche Strafandrohung für Menschen, die vom islamischen Glauben abfallen. Jedoch wird ein vom Islam abkehrender Religionswechsel rechtlich nicht anerkannt und garantiert die irakische Verfassung Atheisten gerade nicht die freie Ausübung seiner Weltanschauung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 20. November 2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 30. Oktober 2019), S. 84; Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Mai 2016 zu Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 1). Gefahren für Atheisten gehen von einzelnen Behördenvertretern (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Mai 2016 zu Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3), aber auch und gerade von privaten Dritten aus (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Berichte über Verfolgungshandlungen gegen Atheisten und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen [a-10329-1], 18. September 2017, S. 5 der Druckversion). Apostaten haben daher nicht mit unerheblichen Repressalien zu rechnen. Iraks Muslime sind nach wie vor der Scharia, dem islamischen Recht, das den Abfall vom islamischen Glauben verbietet, untergeordnet. Menschen, die den islamischen Glauben ablegen wollen, sind deshalb oft ernsthafter Verfolgung durch die Gesellschaft ausgesetzt, oftmals durch Familienangehörige oder Bekannte, welche bis hin zu tödlicher Gewalt reichen kann. Feindseligkeiten gegenüber Atheisten sind im Irak weit verbreitet (vgl. VG Saarlouis, U.v. 12.3.2019 – 6 K 766/18 – juris Rn. 31; vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Berichte über Verfolgungshandlungen gegen Atheisten und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen [a-10329-1], 18. September 2017, S. 3 der Druckversion: „Die vorherrschende gesellschaftliche Meinung sei, dass es sich bei ihnen um moralisch verdorbene Personen oder Agenten ausländischer Gruppen (…). [Es] sei es angesichts der vorherrschenden Atmosphäre religiöser Auseinandersetzungen und religiösen Fundamentalismus dringend notwendig, Atheisten, Agnostiker und Säkularisten zu schützen. Sie seien als Gruppe nicht anerkannt und es gebe keine irakischen oder internationalen Einrichtungen, die sie schützen oder verteidigen würden“). Die Lage für Atheisten ist auch in der kurdischen Autonomieregion nicht fundamental besser. Auch dort sind jedenfalls Personen wie der Kläger zu 1), die ihre atheistischen Ansichten offen und aus einer intrinsischen Motivation kommunizieren, vor Verfolgung nicht sicher (vgl. https://hpd.de/artikel/wagnis-atheismus-im-irak-13999).
Die Gefahren, die mit atheistischen Äußerungen im Irak verbunden sind, hat der Kläger zu 1) auch nachdrücklich dargestellt und mit seinem persönlichen Erleben bestätigt. Das Gericht ist aufgrund der insgesamt glaubhaften und substantiierten Ausführungen des Klägers zu 1) zu der Überzeugung gelangt, dass er aufgrund seiner öffentlichen religionskritischen und atheistischen Äußerungen im Falle einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen ausgesetzt sein wird. Dabei steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die religionskritischen Äußerungen des Klägers zu 1) einer atheistischen Weltanschauung entspringen, die er für sich als unbedingt innerlich verpflichtend ansieht. Er hat, überwiegend auf Deutsch, detailliert und substantiiert geschildert, wie er sich, schon seit Jugendtagen an kritisch mit Religion befasst hat. Seien kritischen Fragen zur Religion habe niemand beantworten können. Er hat in emotionaler Weise in der mündlichen Verhandlung seinen Weg zum Atheismus plausibel dargelegt. Auch sein Unverständnis gegenüber der im Irak verbreiteten, religiös motivierten Geringschätzung von Jesiden hat er überzeugend geschildert. Es wurde erkennbar, dass die atheistische Weltanschauung die Identität des Klägers zu 1) prägt. Sein Sendungsbewusstsein und sein Bedürfnis, seine Meinung und Auffassung zur Religion deutlich und auch öffentlich zu äußern, waren in der mündlichen Verhandlung unverkennbar. Auch die nähere Darlegung, dass er seinen Kindern keine religiös geprägten Vornamen gegeben hat, unterstreicht seine kritische Einstellung und seine persönliche Überzeugung. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung überdies glaubhaft dargelegt, dass er bereits in seinem näheren Umfeld im Irak negative Reaktionen – einschließlich erheblicher körperlicher An- und Übergriffe – wegen seiner atheistischen Ansichten erlebt habe.
Die dem Kläger zu 1) drohende Verfolgung durch private Dritte ist auch flüchtlingsrechtlich beachtlich im Sinne des § 3c AsylG. Hiernach kann die Verfolgung ausgehen von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die in Nummer 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger zu 1) kann sich nicht auf wirksamen staatlichen Schutz vor der drohenden Verfolgung durch religiöse Extremisten berufen. Der irakische Staat sowie die in § 3c Nr. 2 AsylG genannten Akteure sind nicht in der Lage oder nicht willens, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3d Abs. 2 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 AsylG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Letzteres setzt voraus, dass die Betroffenen einen realistischen Zugang zu den Schutzmaßnahmen haben, was insbesondere erfordert, dass sie den Schutz gefahrenfrei in Anspruch nehmen können.
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers zu 1) nicht gegeben. Ihm ist es nicht möglich, im Falle seiner Rückkehr auf eine für ihn zumutbare Weise wirksamen Schutz vor der Bedrohung durch religiöse Extremisten zu erlangen. Dies gilt auch, obwohl der Kläger zu 1) aus der Autonomen Region Kurdistan stammt, in der sowohl weltanschauliche Angelegenheiten häufig liberaler gehandhabt werden als auch die staatlichen Strukturen besser funktionieren. Die Sicherheitsbehörden können nach wie vor nicht die Anwendung bestehender Gesetze sichern (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand Dezember 2018, S. 8) und damit auch die körperliche Unversehrtheit von Atheisten nicht effektiv schützen.
Dem Kläger zu 2) steht vor der drohenden Verfolgungsgefahr überdies kein interner Schutz nach § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Der beschriebene Umgang mit Atheisten ist im gesamten Irak verbreitet.
Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG bestehen nicht.
e) Gemessen an den vorstehend geschilderten Anforderungen rechtfertigen die von der Klägerin zu 3) vorgetragenen Gründe die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehrt.
Der Klägerin zu 3) droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Genitalverstümmelung. Diese ist als geschlechtsspezifische Verfolgung anzusehen, weil es sich um einen an das Geschlecht anknüpfenden gravierenden Eingriff in ihre körperliche Integrität mit ganz erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen handelt (vgl. BVerwG NVwZ 2018, 1408 Rn. 38; VG Münster, U.v. 24.1.2020 – 4 K 534/18.A – juris Rn. 25). Die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ist gerade im kurdischen Norden erheblich verbreitet. Zwar stellt seit 2011 ein Gesetz in der Autonomen Region Kurdistan die Genitalverstümmelung unter Strafe; gleichwohl wird die Praxis weiterhin betrieben. Außerhalb der Autonomen Region Kurdistan gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung dieser Praktiken (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 20. November 2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 30. Oktober 2019), S. 107).
Die Klägerin zu 3) ist im Falle der Rückkehr durch die Familien der Eltern vor der Beschneidung bedroht. Zwar lehnen die Klägerin zu 2), die selbst beschnitten wurde, und der Kläger zu 1) – als Eltern – die Beschneidung nach den glaubhaften Aussagen in der mündlichen Verhandlung strikt ab. Ob sie sich allerdings im Falle einer Rückkehr den von beiden Familien zu erwartende Druck dauerhaft widersetzen können, erscheint zweifelhaft. Bis zur Ausreise war die Klägerin zu 3) noch nicht in einem Alter, in dem Beschneidung üblicherweise durchgeführt wird. Es bestünde daher im Falle der Rückkehr noch für einige Jahre die Gefahr der Beschneidung und ist nicht zu erwarten, dass die Eltern – für die Rückkehrprognose ist insoweit auch hier anzunehmen, dass der Kläger zu 1) ungeachtet seiner eigenen Rechtsposition mitzurückkehrt – auf Dauer einen gegebenenfalls auch gewalthaften Zugriff der Familie, die nach den glaubhaften Einlassungen in der mündlichen Verhandlung ein erhebliches, in der Tradition wurzelndes Interesse an einer Beschneidung haben, auf die Klägerin zu 3) verhindern können. Gerade weil irakische Rückkehrer in der Regel auf ein familiäres Netzwerk angewiesen sind, wird die Bejahung einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Kläger auf eine Niederlassung außerhalb der räumlichen Verbreitung und des Umgriffs der Familie verwiesen werden könnten.
f) Gemessen an den einleitend geschilderten Anforderungen rechtfertigen die von der Klägerin zu 2) im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe hingegen nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie ist nicht vorverfolgt ausgereist und es droht ihr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehrt. Sie hat keine Vorfälle geschildert, aus denen sich eine Verfolgung „wegen“ ihrer „Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ ergibt. Da die Klägerin zu 2) bereits das Schicksal der Beschneidung erlitten hat, kann auch unter diesem Aspekt keine Schutzgewährung erfolgen.
2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte hinsichtlich der Klägerin zu 2) zutreffend verneint.
a) Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Es darf auch keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Voraussetzung ist nach § 4 Abs. 3 AsylG zudem, dass der Schaden von einem Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 und § 3c AsylG auszugehen droht. Hinsichtlich Wahrscheinlichkeitsmaßstab und Beweiserleichterung im Falle einer Vorverfolgung gelten die Ausführungen zu § 3 AsylG entsprechend (vgl. Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 53).
b) Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt die Klägerin zu 2) nicht.
aa) Sie hat keinen Sachverhalt vorgetragen, wonach ihr im Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht.
bb) Ebenso fehlen konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Formulierung „Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wird weder im Asylgesetz noch in der dadurch umgesetzten Richtlinie 2011/95/EU definiert. Bei der Auslegung der Norm, die die Vorgaben des – an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) orientierten – Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht umsetzt, ist die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 59 f.; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 137 ff.). Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die vorsätzliche Zufügung entweder körperlicher Verletzungen oder intensiven physischen oder psychischen Leids zu verstehen. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie geeignet ist, das Opfer zu demütigen, zu erniedrigen oder zu entwürdigen (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 142).
(a) Die schlechte humanitäre Lage im Irak rechtfertigt nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Denn diese ist nicht auf einen Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG zurückzuführen. Es ist den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen, dass der irakische Staat oder die autonome Region Kurdistan-Irak als staatliche Akteure ein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigen und diese auf ihre Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 68 ff. m.w.N.). Die in weiten Teilen des Iraks bestehende allgemein schwierige Lage hat vielfältige Ursachen, wird aber nicht zielgerichtet vom irakischen Staat, von herrschenden Parteien oder Organisationen oder von nichtstaatlichen Dritten herbeigeführt.
Schlechte humanitäre Bedingungen, die nicht auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführen sind, können daher allenfalls nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ein nationales Abschiebungsverbot nach sich ziehen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 64 ff.).
(b) Der Klägerin zu 2) droht auch wegen der derzeitigen allgemeinen Sicherheitslage im Irak keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Eine solche Gefahr kann sich grundsätzlich auch aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem. Allerdings begründet nicht schon jede allgemeine Situation der Gewalt eine solche Gefahr. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nur in äußerst extremen Fällen anzunehmen; es setzt voraus, dass die Situation allgemeiner Gewalt so intensiv ist, dass die betreffende Person dieser Gewalt bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich ausgesetzt ist. Erforderlich ist danach eine Gefahrverdichtung, die zu einer individuellen Betroffenheit des Ausländers führt (vgl. OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 146 ff.). Eine solche allgemeine Situation der Gewalt, die zur Folge hätte, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit im Nordirak (Kurdistan-Irak) der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, ist hier jedoch nicht anzunehmen. Eine besondere Bedrohungslage durch den IS besteht nach der Erkenntnislage des Gerichts in der autonomen Region Kurdistan-Irak nicht mehr. Der IS ist lediglich im Sommer 2014 kurzzeitig dorthin vorgedrungen. Allerdings konnte der Vormarsch des IS durch die kurdischen Sicherheitskräfte und Luftangriffe der internationalen Koalition gestoppt und der IS aus den kurdischen Gebieten zurückgedrängt werden. Schließlich konnte der IS in den Jahren 2016 und 2017 im gesamten Land territorial eingedämmt werden; das sogenannte „Kalifat“ des IS im Irak wurde in der Fläche besiegt. Seit Dezember 2017 gilt der IS im Irak als militärisch besiegt. In der Region Kurdistan-Irak können Kurden unter zumutbaren Bedingungen leben und sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Dort befinden sich auch viele Flüchtlingslager (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand Dezember 2018, S. 4, 12 und 16; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and Humanitarian Situation, Version 5.0, 11/2018, S. 37; VG Köln, U.v. 10.9.2019 – 17 K 7760/17.A – juris Rn. 36 ff.).
cc) Ferner ist die Klägerin zu 2) auch nicht subsidiär schutzberechtigt i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Ihr droht keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in ihrer Heimatregion. Mit der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass in Kurdistan-Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt stattfindet (vgl. VG Köln, U.v. 10.9.2019 – 17 K 7760/17.A – juris Rn. 100 ff.; VG Bayreuth, Urteil vom 12. Juli 2019 – B 3 K 18.30379 – juris Rn. 64).
3. Die Klägerin zu 2) hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr, sondern auch dann anwendbar, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 66 und 105). Für die Beurteilung, ob eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht kommt, ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob entsprechende Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 118; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 175). Der gebotenen Gefahrenprognose ist überdies eine gemeinsame Rückkehr der Klägerin zusammen mit ihren Kindern und ihrem Ehemann als Familie zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.21019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 15 ff.; U.v. 4.7.2019 – 1 C 49/18 – juris Rn. 11 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 22 ff. und U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 18 ff.),
b) Die Verbürgungen der EMRK begründen im vorliegenden Fall der Klägerin zu 2) kein Abschiebungsverbot, insbesondere nicht wegen der derzeitigen Sicherheitslage oder wegen den bestehenden humanitären Verhältnissen.
aa) Wie bereits im Rahmen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ausgeführt, ist zunächst nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin zu 2) bei einer Rückkehr in den Irak unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der allgemeinen Sicherheitslage im Irak droht.
bb) Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.
(a) Auch wenn die humanitäre Lage im Irak insgesamt und in der Region Kurdistan-Irak im Besonderen nach wie vor äußerst angespannt ist und die Lebensumstände insbesondere bei Binnenvertriebenen oder bei nur geringem Einkommen nach europäischen Standards als schwer erträglich erscheinen, ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage mit der überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass am Zielort einer Abschiebung im Nord-Irak keine derart prekäre humanitäre Situation und insbesondere keine derart unzureichende allgemeine Versorgungslage besteht, dass eine Rückführung in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen im Zielort einer Abschiebung, die nicht ganz oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien beruhen (vgl. VG Aachen, U.v. 3.4.2019 – 4 K 1853/16.A – juris Rn. 25; VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 24 f.), sind für den Kläger nicht derart ernst, dass er Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
(b) Es bestehen auch keine gefahrerhöhenden individuellen Umstände (vgl. zu dieser Anforderung VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 149; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 47; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 53), die im Fall der Klägerin zu 2) zu einer anderen Bewertung führen könnten. Die Klägerin hat eine Ausbildung und in ihrem Beruf auch gearbeitet. Sie hat zahlreiche Verwandte im Nord-Irak und kann insoweit auch auf eine familiäres Netzwerk zurückgreifen. Außerdem besteht für sie – insbesondere im Fall der freiwilligen Ausreise – die Möglichkeit, in nicht unerheblichem Umfang Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms sowie weitere Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch zu nehmen, die ihr die Rückkehr erheblich vereinfachen und auch Startschwierigkeiten vermeiden helfen können (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin; s. a. VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 25 f.; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 65).
4. Die Klägerin zu 2) hat schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Konkret ist die Gefahr, wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Tatbestandsmerkmalen der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer ergibt sich zudem das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefahrensituation. Diese Gefahrensituation muss landesweit drohen. Unerheblich ist allerdings, ob die Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 224).
b) Die allgemeine humanitäre oder die Sicherheitslage im Irak begründet kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Annahme eines Abschiebungsverbotes wegen allgemeiner Gefahren steht schon die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG entgegen (vgl. VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 69). Zwar dürfen die Gerichte ausnahmsweise und im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die kein Abschiebestopp besteht, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke wegen einer im Zielstaat bestehenden extremen Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60). Jedoch kann eine solche Gefahr wegen der weiten Auslegung von § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 264; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 50). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG besteht daher kein Bedarf mehr.
Darüber hinaus fehlt es ohnehin an einer verfassungswidrigen Schutzlücke, da die gegenwärtige ausländerrechtliche Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris Rn. 13 ff.; VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in den Fassungen vom 3. März 2014 und vom 22. Oktober 2018 verfügt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter und sog. „Gefährder“ aus den Autonomiegebieten oder dem Zentralirak – soweit ersichtlich fällt Klägerin zu 2) nicht hierunter) nicht erfolgt und ihr Aufenthalt wie bisher weiter im Bundesgebiet geduldet wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30809 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 70).
c) Individuelle Anhaltspunkte in der Person der Klägerin zu 2), die zu einer konkreten Gefahr führen und einer Abschiebung entgegenstehen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Dass die Klägerin zu 2) aus Sicht der Familie zu Unrecht zu ihrem „ungläubigen“ Ehemann gehalten und diesen nicht verlassen hat, begründet nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für sie. Denn die Einstellung des Ehemanns war bereits vor der Ausreise der Familie der Klägerin zu 2) bekannt und hätte diese, wäre ihr ernsthaft daran gelegen, der Klägerin zu 2) bereits Verfolgungshandlungen antun können. Dies war jedoch nicht, jedenfalls nicht in ausreichend gewichtiger Weise der Fall.
5. Ein Anspruch der Klägerin zu 2) auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörige gemäß § 26 AsylG scheidet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren aus, da eine Verpflichtung der Beklagten, Familienangehörige schon vor der Unanfechtbarkeit der Anerkennung des Stammberechtigten – entsprechend aufschiebend bedingt tenoriert – als Flüchtlinge gemäß § 26 AsylG anzuerkennen, nicht in Betracht kommt (vgl. SächsOVG, U.v. 7.2.2018 – 6 A 696/16.A – BeckRS 2018, 2127 Rn. 47 f.).
6. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage der § 11 Abs. 1 AufenthG begegnen hinsichtlich der Klägerin zu 2) keinen rechtlichen Bedenken. Im Übrigen sind sie aufzuheben.
7. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und trägt dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten Rechnung. Die Norm ist anwendbar, wenn von mehreren Streitgenossen (Klägern) die einen (vollständig) obsiegen und ein anderer (vollständig) unterliegt. Die Beklagte obsiegt und unterliegt dann teils (jeweils im Verhältnis zu den jeweiligen Klägern). Es ist daher erforderlich zwischen den außergerichtlichen Kosten in den einzelnen Prozessrechtverhältnissen zu unterscheiden (vgl. Neumann/Schaks, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 42 ff.; zur Quotelung der Anträge vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 83b AsylG Rn. 9). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).