Verwaltungsrecht

Verfolgung wegen exilpolitischer Tätigkeiten in Äthiopien

Aktenzeichen  AN 3 K 16.30240

Datum:
31.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 125399
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 – 3, § 3b, § 3c, § 3d, § 3e, § 4 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 3, § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1, § 77 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 3, § 60 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 5, Abs. 7 S. 1, Abs. 8 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktionierung sexueller Beziehungen zwischen Verwandten in Äthiopien ist kein Verfolgungsgrund iSd § 3b Asyl, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpft. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die äthiopische Regierung beobachtet die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen. Es ist davon auszugehen, dass jedenfalls Personen, die sich exponiert politisch betätigen, mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Dagegen ist eine Verfolgung von nicht herausgehoben exilpolitischen tätigen Personen nicht beachtlich wahrscheinlich. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch wenn sich die politische Situation in Äthiopien seit 2015 verschärft hat, führt allein die bloße Mitgliedschaft in der EPPF-G und die Teilnahme an ihren Veranstaltungen nicht zu einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 16. Februar 2016 ist im Umfange des Klagebegehrens rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Ihm steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG (Hauptantrag) zu noch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsanträge) zu.
1. Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG und damit wegen der Identität der Schutzgüter auch kein Anspruch nach Art. 16 a GG gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Ver-folgung, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, des-sen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vor-herigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen die-ser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3 a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3 b AsylG die Ver-folgungsgründe, § 3 c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3 d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3 e AsylG den internen Schutz.
§ 3 a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. den in § 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3 a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss.
Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des AufenthG.
Der Kläger hat schon nicht geltend gemacht, dass er unmittelbar vor seiner Ausreise Maßnahmen staatlicher Stellen in Anknüpfung an in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründen ausgesetzt war. Seine Schilderungen sind nicht geeignet, eine staatliche Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes zu begründen.
Er gab an, sich in Äthiopien nicht politisch betätigt zu haben.
Vielmehr beschrieb er ausschließlich innerfamiliäre Probleme als Grund für die Ausreise aus dem Heimatstaat, da die Familie die Beziehung zwischen ihm und seiner Nichte missbilligt habe. Er macht nicht geltend, deswegen in Konflikt mit staatlichen Stellen gewesen zu sein. Auch seine damalige Inhaftierung ist nach eigenem Vorbringen auf eine Schlägerei zwischen ihm und dem Bruder seiner jetzigen Ehefrau zurückzuführen gewesen. Anknüpfungspunkt der Inhaftierung war damit wohl eine strafbare Handlung.
Auch die Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktionierung sexueller Beziehungen zwischen Verwandten in Äthiopien ist kein Verfolgungsgrund i.S. des § 3b Asyl, da nicht an asylerhebliche Merkmale angeknüpft wird.
Nachdem der Kläger nicht vorverfolgt aus Äthiopien ausgereist ist, steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Insbesondere ist sein (geringes) exilpolitisches Engagement nicht geeignet, eine derartige Gefahrenlage zu begründen. Nur sehr allgemein machte der Kläger Ausführungen zu Art und Umfang seiner exilpolitischen Betätigung. Zwar legte er eine Bescheinigung vor, wonach er Mitglied der EPPF-G seit 1. September 2015 sei und erklärte, einmal monatlich an Versammlungen und an Demonstrationen teilzunehmen. Sehr allgemein blieben seine Einlassungen zum Inhalt des exilpolitischen Engagements, weshalb nicht der Eindruck entstand, dass es sich beim Kläger um einen besonders politisch interessierten Menschen handelt.
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Insgesamt ist den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslands-vertretungen beobachten lässt. Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei der Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen und welche Art exilpoliti-scher Aktivität festgestellt wird (führende Position, Organisationen gewaltsame Aktionen). Auf-grund der vorliegenden Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass jedenfalls Personen, die sich exponiert politisch betätigt haben, mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Dagegen ist eine Verfolgung von nicht herausgehobenen exilpolitischen tätigen Personen – wie dem Kläger – nicht beachtlich wahrscheinlich.
Nach Überzeugung der Einzelrichterin handelt es sich bei dem exilpolitischen Engagement des Klägers nicht um eines, das von einem ernsthaften politischen Willen getragen ist. Nach eigener Einlassung hat er sich erst circa fünf Monate nach seiner Einreise in das Bundesgebiet der EPPF-G angeschlossen. In Äthiopien selbst war er nicht politisch aktiv und ist es auch während des langjährigen Aufenthaltes im Sudan und in Israel nicht gewesen. Die Einzelrichterin ist deshalb nicht davon überzeugt, dass der Kläger aus politischer Überzeugung Mitglied der EPPG wurde. Hinzu kommt, dass sich das Engagement des Klägers in einem zeitlichen Rahmen abspielt, der als untergeordnet angesehen werden muss. Vielmehr scheint sein Lebensschwerpunkt seine Berufstätigkeit und die Familie zu sein. Er gab die Beziehung zu seiner Frau als einziges Motiv für die Ausreise aus Äthiopien an. Anhaltspunkte dafür, wieso er kurz nach seiner Einreise nach Deutschland eine politische Haltung entwickelt haben will, die ihn zu ernsthafter politischer Oppositionsarbeit veranlasst, ist vor dem persönlichen Hintergrund des Klägers nicht zu erklären.
Die Einzelrichterin verkennt nicht, dass sich die politische Situation seit 2015 in Äthiopien noch einmal verschärft hat (siehe auch VG Würzburg, U.v. 24.7.2017 – W 3 K 16.30710 – juris; GIGA, Auskunft an das VG Gießen vom 30. Januar 2017; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Gießen vom 9. Dezember 2016). Daraus kann aber nicht der Rückschluss zu ziehen sein, dass nunmehr auch die bloße Mitgliedschaft des Klägers bei der EPPF-G und die Teilnahme an ihren Veranstaltungen für ihn schon die Gefahr begründet, in den Fokus staatlicher Stellen zu geraten. Er gab auch nicht an, sich hier in Deutschland regierungskritisch geäußert zu haben.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ( § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). In diesem Rahmen sind gemäß § 4 Abs. 3 AsylG die §§ 3 c bis 3 e AsylG entsprechend anzuwenden.
Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
Soweit vom Klägervertreter im Verfahren auf die unwürdigen Bedingungen im Strafvollzug in Äthiopien hingewiesen wurde, ist nicht ersichtlich geworden, inwiefern ein staatliches Verfolgungsinteresse hinsichtlich der Verbindung zu seiner Nichte überhaupt im Raum steht. Weder der Kläger noch seine Ehefrau (Klägerin zu 1) im Verfahren AN 3 K 16.30048) haben entsprechende Befürchtungen geäußert; Schwerpunkt des Vorbringens waren stets die innerfamiliären Schwierigkeiten. Auch die vorgetragene Verhaftung des Klägers erfolgte nicht wegen der (den Behörden also bereits bekannten) Verbindung von Onkel und Nichte, sondern wegen der Schlägerei mit dem Bruder seiner jetzigen Ehefrau. Nach alldem stellt sich die pauschale Behauptung des Klägervertreters zu den Haftbedingungen in Äthiopien als so vage dar, dass nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass dem Kläger für den Fall seiner Rückkehr ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG droht.
3. Auch nationale Abschiebungsverbote sind nicht gegeben.
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Mangels Erkennbarkeit diesbezüglicher Anhaltspunkte ist festzustellen, dass diese Vorausset-zungen vorliegend nicht erfüllt sind.
b. Ebenso wenig besteht im Falle des Klägers ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für den Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Äthio-pien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Vielmehr kann der der Kläger zusammen mit seiner Familie zurückkehren. Ihnen war es auch bisher im Auslandmöglich, ihr Existenzminimum sicherzustellen.
4. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreisesaufforderung unter Abschie-bungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
5. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das ihr im Rahmen des § 11 Abs. 1 und 3 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, bestehen nicht und wurden vom Kläger nicht vorgetragen.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Klage war demnach abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

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