Aktenzeichen M 10 K 16.4342
Leitsatz
1 Ist seit Ablauf der letzten Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 2, Abs. 1 AufenthG mehr als ein Jahr vergangen, hat der ausländische Ehegatte keinen Rechtsanspruch auf Verlängerung mehr, sondern ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Verlängerungsermessens. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege müssen die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2, Abs. 1 AufenthG vorliegen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine besondere Härte liegt unter anderem vor, wenn dem ausländischen Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Zu den schutzwürdigen Belangen gehört auch das Wohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid vom 19. August 2016 des Landratsamts … wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerinnen auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
II. Die Klägerinnen und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässigen Klagen (zur Klägerin zu 1 unter 1., zur Klägerin zu 2 unter 2.) haben jeweils mit dem Hilfsantrag Erfolg. Die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnisse vom 19. August 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerinnen haben einen Anspruch auf eine erneute Entscheidung durch den Beklagten. Einen Anspruch auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse haben sie nicht, so dass die jeweiligen Hauptanträge erfolglos bleiben.
1. Die Klage der Klägerin zu 1 ist zulässig und im Hilfsantrag begründet.
a. Anspruchsgrundlage für die Neuverbescheidung ist § 31 Abs. 2, Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Ein Rechtsanspruch nach § 31 Abs. 2, 1 AufenthG kommt dagegen nicht in Betracht. Denn seit der letzten Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 1 (befristet bis 18. September 2014) ist bereits mehr als ein Jahr vergangen, so dass ein Rechtsanspruch auf Verlängerung nach § 31 Abs. 2, 1 AufenthG weder zum Zeitpunkt der behördlichen noch der gerichtlichen Entscheidung in Betracht kommt. Vielmehr besteht nach Ablauf des Jahres ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Verlängerungsermessens. Dieses bezieht sich auf den Rechtsanspruch nach § 31 Abs. 2, 1 AufenthG, so dass dessen Voraussetzungen auch bei der Verlängerung im Ermessenswege vorliegen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 5/10 – juris Rn. 13 m.w.N.). Somit muss auch für ein subjektiv-öffentliches Recht auf eine erneute Entscheidung erforderlich sein, dem Ehegatten zur Vermeidung einer besonderen Härte den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Eine besondere Härte liegt unter anderem vor, wenn dem ausländischen Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Zu den schutzwürdigen Belangen gehört auch das Wohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes. Das Ermessen ergibt sich aus § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG.
b. Die Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt. Der Klägerin zu 1 war die Fortführung der Ehe nicht zumutbar, so dass eine besondere Härte vorliegt. Zwar kann nicht genügen, dass sich die Eheleute nicht verstanden haben und der Ehemann sich als unfreundlicher und weniger zugewandt gezeigt hat als die Klägerin bei der Hochzeit erwartet hatte. Jedoch war der Klägerin nicht zumutbar, an einer Ehe festzuhalten, in der ihr Ehemann ihre Tochter körperlich angriff, schlug und bedrohte.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Schilderungen der Klägerin zu 1 über die Vorfälle am 26. und 27. März 2014 der Wahrheit entsprechen. Die Klägerin zu 1 hat detailreich, widerspruchsfrei und überzeugend geschildert, wie sich der Konflikt vom 26. März 2014 gesteigert hat bis hin zu den Schlägen am 27. März 2014. Sie hat dabei keinerlei Belastungstendenzen erkennen lassen und selbst ausdrücklich klargestellt, dass sie oder die Tochter von ihrem früheren Ehemann sonst nicht geschlagen wurden. Ihre Beschreibung ihres früheren Ehemannes sowie des Verlaufs der gemeinsamen Zeit deckt sich mit den Schilderungen der glaubwürdigen Zeugin M. Diese kannte die Verhältnisse in der Familie gut, da sie sich häufig in deren Haus aufhielt, und sie war sowohl mit der Klägerin zu 1 als auch mit ihrem früheren Ehemann befreundet und somit – jedenfalls zunächst – neutral im Streit zwischen den beiden. Auch sie konnte detailreich und überzeugend schildern, wie sich die Ehe der Klägerin zu 1 negativ entwickelte. Sie war zwar ebenso wie die Klägerin zu 1 nicht anwesend, als der Ehemann die Klägerin zu 2 geschlagen hat. Ihre Aussagen, der Ehemann habe die Klägerinnen schlecht behandelt, stützen aber die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin zu 1, mit denen sie übereinstimmen.
Die Klägerin zu 1 kann ihren Lebensunterhalt und den ihrer Tochter selbst bestreiten, so dass die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt. Es ist außerdem nicht ersichtlich, dass sie in missbräuchlicher Weise im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 4 AufenthG staatliche Leistungen in Anspruch nimmt oder nehmen wird.
c. Einen Anspruch aus § 31 Abs. 2, 1 AufenthG auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis hat die Klägerin zu 1 nicht. Sie kann für den von ihr begehrten künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet allenfalls ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Verlängerungsermessens gem. § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG geltend machen. Denn nach § 31 Abs. 1 AufenthG, auf den § 31 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich der Rechtsfolge verweist, besteht ein Anspruch auf Aufenthalt nur für ein weiteres Jahr unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 5/10 – juris Rn. 13 m.w.N.), so dass die Klägerin zu 1 einen Anspruch auf eine Verlängerung nach § 31 Abs. 2, 1 AufenthG nur bis zum 18. September 2015 gehabt hätte. Nach diesem Zeitpunkt, also auch bei Erlass des Bescheids am 19. August 2016, bestand Ermessen der Behörde. Der Hauptantrag hat daher keinen Erfolg, wohl aber der Hilfsantrag.
2. Die Klage der Klägerin zu 2 ist zulässig und im Hilfsantrag begründet.
a. Anspruchsgrundlage ist § 32 Abs. 1 AufenthG.
b. Danach ist einem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Nach einer erneuten Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 1 ist auch über die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 2 erneut zu entscheiden. Zwar besitzt die Klägerin zu 1 momentan keine Aufenthaltserlaubnis, doch ist auch eine gleichzeitige Erteilung im Rahmen des § 32 Abs. 1 AufenthG möglich (vgl. Tewocht in Beck’scher Kommentar Ausländerrecht, 12. Edition Stand 1.11.2016, § 32 Rn. 7). Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 2 beruht somit auf der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin zu 1.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.