Aktenzeichen 11 ZB 18.32313
VwGO § 86 Abs. 2, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1 Die Rüge der Gehörsverletzung setzt voraus, dass der Rechtsuchende zuvor die nach der jeweiligen prozessualen Lage des Ausgangsverfahrens gegebenen und zumutbaren Anstrengungen ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Lehnt das Gericht einen Beweisantrag aus mehreren, selbstständig tragenden Gründen ab, genügt die Rüge einer Gehörsverletzung nur dann den Anforderungen des § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG, wenn dargelegt wird, dass sämtliche Ablehnungsgründe vom Prozessrecht nicht gedeckt sind. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 9 K 18.30399 2018-06-20 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Kläger machen zum einen geltend, das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es einen Verfahrensbeteiligten, das jüngste Kind der Kläger zu 1 und 2 und den Bruder des Klägers zu 3, bei der Aktenanlage und im weiteren Verlauf des Verfahrens übersehen habe. Diesen Umstand hätten die Kläger nicht bereits während des Verfahrens geltend machen können, da es keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass das Gericht lediglich von einer dreiköpfigen Familie ausgegangen sei.
Zutreffend ist, dass das Verwaltungsgericht während des gesamten Verfahrens offenbar nicht berücksichtigt hat, dass die Klage auch für den am 16. März 2015 geborenen Sohn der Kläger zu 1 und 2 erhoben wurde. Dies ergibt sich zum einen aus dem nach Zustellung des angefochtenen Urteils versandten Schreiben an die Klägerbevollmächtigten vom 12. Juli 2018, wonach „im Nachgang“ erstmals aufgefallen sei, dass das Kind A … bei der Ersterfassung der Klage „versehentlich nicht als Kläger zu 4. eingepflegt worden“ sei. Zum anderen ergibt sich dies auch daraus, dass das Verwaltungsgericht daraufhin für diesen zunächst nicht berücksichtigten Kläger ein weiteres Verfahren mit dem Aktenzeichen RO 9 K 18.32045 angelegt und mit Urteil vom 31. August 2018 in dieser Sache entschieden hat.
Gleichwohl ist die Berufung unter diesem Gesichtspunkt nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die Rüge der Gehörsverletzung setzt voraus, dass der Rechtsuchende zuvor die nach der jeweiligen prozessualen Lage des Ausgangsverfahrens gegebenen und zumutbaren Anstrengungen ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, z.B. BVerfG, B.v. 10.2.1987 – 2 BvR 314.86 – BVerfGE 74, 220/225; Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 138 Rn. 35). Entgegen der Darstellung der Klägerbevollmächtigten, deren Verschulden sich die bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretenen Kläger zurechnen lassen müssen, hätte ihnen jedoch auffallen können, dass das Verwaltungsgericht das Klageverfahren zunächst nur für die Kläger zu 1 bis 3 angelegt und durchgeführt hat. Dies ergab sich bereits aus der Eingangsmitteilung des Gerichts vom 9. Februar 2018, wonach die Verwaltungsstreitsache für den namentlich genannten Kläger zu 1 „und 2 andere“, also insgesamt für lediglich drei Kläger angelegt wurde. Gleiches gilt für das Schreiben des Gerichts vom 22. Februar 2018 zur Übersendung der Behördenakte gemäß § 100 VwGO. Des Weiteren ist der jüngste Sohn der Kläger zu 1 und 2 weder im Beschluss vom 9. Mai 2018, mit dem die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen hat, noch im Beschluss vom 15. Mai 2018, mit dem das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt hat, genannt. Auch in der Ladung vom 17. Mai 2018 für die mündliche Verhandlung ist der jüngste Sohn der Kläger zu 1 und 2 nicht aufgeführt. Dessen Nichtberücksichtigung beruht damit nicht nur auf einem Versehen des Gerichts. Zumindest mitursächlich hierfür ist auch der Umstand, dass die Klägerbevollmächtigten die gerichtlichen Mitteilungen nicht hinreichend daraufhin überprüft haben, ob das Verwaltungsgericht das Verfahren zutreffend erfasst hat, und dass sie das gerichtliche Versäumnis nicht spätestens in der mündlichen Verhandlung gerügt haben. Dies steht der Geltendmachung eines verfahrensfehlerhaften Gehörsverstoßes wegen „Übersehens“ eines Verfahrensbeteiligten entgegen.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung (bedingt) gestellten Beweisantrags zuzulassen.
Die Ablehnung von Beweisanträgen i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO verletzt dann den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn.10 m.w.N.). Lehnt das Gericht einen Beweisantrag aus mehreren, selbständig tragenden Gründen ab, genügt die Rüge einer Gehörsverletzung jedoch nur dann den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, wenn dargelegt wird, dass sämtliche Ablehnungsgründe vom Prozessrecht nicht gedeckt sind (OVG NW, B.v. 16.5.2018 – 13 A 1190/18.A – juris Rn. 7).
Gemessen daran haben die Klägerbevollmächtigten eine Gehörsverletzung durch die Ablehnung des Beweisantrags nicht hinreichend dargelegt. In der mündlichen Verhandlung am 20. Juni 2018 haben sie bedingt beantragt, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber zu erheben, dass die tatsächlich notwendigen Kosten für eine Opioid-Substitutionstherapie in der Ukraine, die der Kläger zu 1 benötige, deutlich höher lägen als das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 15. Mai 2018 (Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe) angenommen habe. Zur Begründung des Beweisantrags haben sie der Sitzungsniederschrift zufolge auf eine zuvor vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 7. Juni 2018 verwiesen, in der die monatlichen Therapiekosten mit ca. 400,- Euro angegeben werden. Das von der ukrainischen Regierung zur Verfügung gestellte Budget reiche für eine ordnungsgemäße Behandlung des Klägers zu 1 nicht aus.
Das Verwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in seinen Entscheidungsgründen zum einen mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um einen unzulässigen, weil unsubstantiierten Ausforschungsbeweis, dem das Gericht nicht nachzugehen brauche. Die Höhe der monatlichen Aufwendungen im Bundesgebiet könne nicht mit den Bedingungen in der Ukraine verglichen werden. Der Beweisantrag stelle ohne jeglichen in der Ukraine wurzelnden konkreten Anknüpfungspunkt die These in den Raum, die Behandlungskosten in der Ukraine müssten höher sein als in der im Prozesskostenhilfebeschluss angegebenen Quelle ausgeführt. Unabhängig davon wären aber selbst dann nicht die Erkenntnisse des österreichischen Bundesamts für Asyl und Fremdenwesen entkräftet, dass ein Opioid-Substitutionstherapieprogramm in der Ukraine vollständig vom Staat finanziert werde und die Diagnose- und Behandlungskosten von Drogenabhängigen in den staatlichen Gesundheitseinrichtungen aus dem Staatshaushalt gedeckt würden.
Mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung stellen die Klägerbevollmächtigten den ersten, selbständig tragenden Ablehnungsgrund des Verwaltungsgerichts, sie hätten ihre Behauptung höherer Behandlungskosten nicht durch Angabe ukrainischer Erkenntnismittel untermauert, nicht in Frage. Das wäre jedoch für die Darlegung einer Gehörsverletzung erforderlich gewesen. Die Klägerbevollmächtigten wenden sich lediglich gegen den zweiten Ablehnungsgrund des Verwaltungsgerichts (staatlich finanzierte Diagnose- und Behandlungskosten) und führen aus, sie hätten in der Klagebegründung auf einen Bericht des österreichischen Bundesamts verwiesen, wonach die kostenfreie medizinische Behandlung in der Ukraine quasi nur auf dem Papier existiere. Allerdings war diese Thematik nicht Gegenstand ihres Beweisantrags. Dieser bezog sich vielmehr ausschließlich auf die Höhe der Kosten für eine Opioid-Substitutionstherapie in der Ukraine. Der für die Ablehnung des Beweisantrags allein tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts, die Klägerbevollmächtigten hätten für ihre Behauptung zur Höhe der Behandlungskosten keine auf die Ukraine bezogenen Quellen angegeben, sind sie auch in der Begründung ihres Zulassungsantrags nicht entgegengetreten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
4. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).