Aktenzeichen Au 6 S 18.750, Au 6 K 18.749
BayVwZVG Art. 21a
Leitsatz
1 Widerspruch und Klage lassen unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit eines ablehnenden Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Betroffenen beendet, unberührt; die Klage dagegen hat keine aufschiebende Wirkung. Dasselbe gilt für die Klage gegen die Abschiebungsandrohung. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen in einer gemeinsamen Lebensführung dokumentiert, besteht nicht mehr, wenn die Eheleute sich endgültig getrennt und die häusliche Gemeinschaft aufgegeben haben. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Härtefall liegt insbesondere nicht vor, wenn der Betroffene im Falle des Abbruchs des Aufenthalts seinen Arbeitsplatz im Bundesgebiet verliert und dadurch ein Neubeginn im Heimatstaat erforderlich wird, denn dies trifft grundsätzlich alle Rückkehrer gleichermaßen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Au 6 K 18.749) gegen Ziffer 1 und Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids des Antragsgegners vom 16. Februar 2018 sowie auf vorläufige Erteilung einer Duldung werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für die Antragsverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
IV. Die Anträge auf Prozesskostenhilfe für die Antrags- und für das Klageverfahren werden abgelehnt.
Gründe
I.
Der am * 1990 in Algerien geborene Antragsteller und Kläger ist algerischer Staatsangehöriger und begehrt im Klageverfahren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (zum Familiennachzug) zu seiner am * 1980 in Deutschland geborenen und am 10. März 2017 in Tunesien vor dem Bezirksgericht geheirateten Ehefrau (Behördenakte des Beklagten Bl. 42 ff.). Sie ist deutsche Staatsangehörige durch Geburt (Behördenakte des Beklagten Bl. 39). Im Antragsverfahren begehrt er die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie gegen die Abschiebungsandrohung und hilfsweise die Erteilung einer Duldung. Für beide Verfahren begehrt er Prozesskostenhilfe.
Der Kläger reiste am 26. Juli 2017 mit einem mit Zustimmung der Ausländerbehörde zum Ehegattennachzug erteilten Visum der Deutschen Botschaft (Gültigkeit: 25. Juli 2017 bis 22. Oktober 2017) in das Bundesgebiet ein, zog zu seiner Ehefrau und deren Kindern und beantragte am 28. August 2017 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug (ebenda Bl. 79 ff., 82). Er erhielt zunächst eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt, aber wegen des Getrenntlebens zunächst nicht mehr ausgehändigt (ebenda Bl. 119 f.).
Die Ehegatten zerstritten sich, die Ehefrau teilte dies erstmals mit Schreiben vom 4. August 2017, sodann mit Email vom 4. September 2017, widerrufen mit Schreiben vom 6. September 2017 (ebenda Bl. 101 ff.), mit. Der Kläger teilte am 5. Oktober 2017 die Trennung mit, seine Frau habe ihn am 30. September 2017 vor die Türe gesetzt (ebenda Bl. 112, 118, 123).
Auf eine schriftliche Anhörung zur Trennung hin beantragte sein Bevollmächtigter für den Kläger eine Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise eine Fiktionsbescheinigung bzw. Duldung. Am 19. Oktober 2017 erhielt der Kläger eine zunächst bis zum 18. Januar 2018 und zuletzt bis zum 7. Mai 2018 befristete Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG ausgestellt (ebenda Bl. 137, 191) und zog in eine Obdachlosenunterkunft. Seine Ehefrau bekundete keine Bereitschaft, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen.
Nach weiterer Anhörung des Klägers, zu der sich sein Bevollmächtigter nicht mehr äußerte, lehnte der Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. Februar 2018, dem Klägerbevollmächtigten am 5. April 2018 zugestellt, den Antrag des Klägers auf Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1 des Bescheids), forderte ihn zur Ausreise innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids auf und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Algerien oder jeden anderen übernahmebereiten Staat an (Ziffer 2) und untersagte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise oder Abschiebung die Wiedereinreise und den Aufenthalt für sechs Monate (Ziffer 3). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 AufenthG nicht erfülle, weil keine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet (mehr) geführt werde. Die Eheleute hätten sich getrennt; aus Sicht der Ehefrau jedenfalls endgültig, auch wenn der Kläger auf eine Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft hoffe. Ein eigenständiges, vom Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft unabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 2 AufenthG habe der Kläger mangels dreijährigen Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erlangt. Eine besondere Härte nach § 31 Abs. 2 AufenthG liege nicht vor; vielmehr sei dem Kläger die Rückkehr nach Algerien, wo er seit seiner Geburt gelebt habe, Familie und Freunde habe, zuletzt auch noch gearbeitet habe, zumutbar. Besondere Integrationsleistungen im Bundesgebiet lägen nicht vor; der Kläger sei zwar erwerbstätig, komme jedoch nicht einmal für die Kosten seiner Obdachlosenunterkunft auf. Auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG liege mangels eines nicht absehbar entfallenden Ausreisehindernisses nicht vor; soweit der Kläger eine Erkrankung behauptet habe, habe er diese nicht durch aussagekräftige Atteste belegt.
Dagegen ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 4. Mai 2017 Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist (Au 6 K 18.749) und neben der Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragen [Antragsnummerierung des Bevollmächtigten]:
1. Der Bescheid des Landratsamts * vom 16. Februar 2018 wird aufgehoben.
2. Die Ausländerbehörde wird verpflichtet, dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis nach Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
5. Die Ausländerbehörde wird verpflichtet, dem Kläger vorläufig eine Fiktionsbescheinigung, hilfsweise eine Duldung zu erteilen.
Daneben ließ er beantragen,
3. die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
4. Hilfsweise den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zur endgültigen Entscheidung über die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen und der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis, weil die Ehegatten nur vorübergehend getrennt lebten, der Kläger auf eine Versöhnung hoffe und durch eine Abschiebung vollendete Tatsachen geschaffen würden. Daher müsse er bis zur rechtskräftigen Scheidung geduldet werden. Der Kläger sei erwerbstätig. Ihm drohe die erhebliche Beeinträchtigung seiner Interessen im Fall einer Rückkehrverpflichtung. Er könne in Algerien kein eigenständiges menschenwürdiges Leben führen, werde in seinen Freiheiten beschnitten, sei auf den Familienverband angewiesen und nicht in der Lage, sich selbst zu verwirklichen, ihm drohe Diskriminierung auf Grund der gescheiterten Ehe. Er habe sein Leben und seinen Arbeitsplatz dort aufgegeben, seinen Pkw verkauft und für die Eheschließung mehr als 8.000 Euro ausgegeben. Kehrte er zurück, stehe er in seiner Familie als Versager da und könne seiner Familie nicht von seinen aufenthaltsrechtlichen Problemen erzählen. Er habe Angstzustände und Depressionen. Der Ex-Freund seiner Ehefrau im Bundesgebiet habe ihn massiv beschimpft und mit Gewalt bedroht.
Der Beklagte und Antragsgegner beantragt,
die Klage abzuweisen und die Anträge abzulehnen.
Unter Bezugnahme auf die Begründung seines Bescheids betont er, die Ehefrau habe die Scheidung einreichen lassen, so dass von einer endgültigen Trennung auszugehen sei. Zu Scheidungsterminen könne dem Kläger eine kurzfristige Einreise gestattet werden. Seine Angstzustände würden sich erledigen, wäre er wieder in Algerien außer Reichweite des Ex-Freunds.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässig erhobene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist erfolglos, denn die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis unter Wegfall der Fiktionswirkung ist derzeit rechtmäßig, da dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zukommt. Ebenso ist die Abschiebungsandrohung rechtmäßig, da der Kläger ausreisepflichtig ist. Er hat daher auch keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Fiktionsbescheinigung oder auf Erteilung einer Duldung.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig.
Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO sind die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sowohl gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 1 des Bescheids als auch gegen die nach Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (BayVwZVG) als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 des Bescheids.
Gemäß § 84 Abs. 2 AufenthG lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit des ablehnenden Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Betroffenen beendet, unberührt. Eine hiergegen gerichtete Klage hat gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung; dasselbe gilt für die Klage gegen die Abschiebungsandrohung gemäß Art. 21 a BayVwZVG. Diese gesetzliche Konstellation bedeutet im vorliegenden Fall konkret, dass der Aufenthalt des Klägers derzeit rechtswidrig und die Ausreisepflicht – nach Ablauf der Ausreisefrist – vollziehbar ist (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, die ihrerseits Voraussetzung für die Durchsetzung der Abschiebung ist (§ 58 Abs. 1 AufenthG), kann nur durch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ausgesetzt werden. Die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Vollziehung bewirkt aber nicht ein Wiederaufleben der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG); vielmehr wird durch die behördliche Antragsablehnung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts unterbrochen (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), wobei die Ausreiseverpflichtung fortbesteht (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Die gerichtliche Anordnung setzt lediglich die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus, d.h. die Ausreisefrist wird unterbrochen. Diese Unterbrechung entbindet den Betroffenen zwar nicht von seiner Ausreiseverpflichtung, hindert indes aber, dass die zur Abschiebung berechtigenden und verpflichtenden Wirkungen des § 50 Abs. 2 AufenthG eintreten. Überdies eröffnet sie dem Betroffenen den weiteren Vorteil, dass die Ausreisefrist nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht erneut zu laufen beginnt. Die Wiederherstellung der früheren aufenthaltsrechtlichen Position kann dagegen erst im Hauptsacheverfahren erreicht werden (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
Mit seinem noch vor Ablauf der Geltungsdauer seines Visums gestellten Antrag vom 28. August 2017 erreichte der Kläger zunächst eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG, da er zu diesem Zeitpunkt noch einen Aufenthaltstitel im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG innehatte. Mit der Ablehnung des Antrags im angefochtenen Bescheid entfiel die Fiktionswirkung; die Rechtmäßigkeit von deren Wirkungen kann der Betroffene durch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO überprüfen lassen. Damit erweist sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als statthaft.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Dabei hat das Gericht die widerstreitenden öffentlichen und privaten Vollzugsinteressen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und die Erfolgsaussichten der Klage mit zu berücksichtigen, soweit sich diese bereits übersehen lassen. Lässt sich bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen bzw. wiederherzustellen, weil aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich dagegen die angefochtene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aufschubinteresse überwiegt. Lässt sich die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Verfügung bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung nicht feststellen, nimmt das Verwaltungsgericht eine Folgenabwägung vor unter Berücksichtigung der Folgen, die einträten, würde die Verfügung sofort vollzogen, aber im Nachhinein im Klageverfahren aufgehoben, gegenüber den Folgen, bliebe die Verfügung zunächst außer Vollzug, würde aber später im Klageverfahren bestätigt.
Diese Entscheidung fällt vorliegend zu Lasten des Klägers aus, da sein Interesse, noch bis zur Entscheidung über die Klage im Bundesgebiet bleiben zu können, gegenüber dem öffentlichen Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung derzeit zurücktritt, denn in der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung erweist sich die Versagung der Aufenthaltserlaubnis als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; auch die Nebenentscheidungen des Beklagten sind nicht zu beanstanden.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 27 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil keine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet (mehr) geführt wird.
Nach § 27 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zur Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Hier fehlt es bereits an der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft, da die Ehegatten getrennt leben und die Ehefrau die Scheidung eingereicht hat, also keine Versöhnung mehr anstrebt.
Für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft, die aufenthaltsrechtlichen Schutz nach Art. 6 GG genießt, kommt es auf den nachweisbar betätigten Willen beider Eheleute an, ein gemeinsames Leben zu führen. Bei der im jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Bewertung, ob eine aufenthaltsrechtlich beachtliche tatsächliche Lebensgemeinschaft vorliegt oder lediglich eine Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, verbietet sich eine schematisierende Betrachtung (BVerwG, B.v. 22.05.2013 – 1 B 25.12 – BayVBl 2014, 56, Ls. 1). Eine eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen dokumentiert, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen, dreht sich im Idealfall um einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt und wird daher regelmäßig in einer von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Wohnung gelebt (HessVGH, B.v. 9.8.2004 – 9 TG 1179/04 – FamRZ 2005, 982). Eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht indes nicht mehr, wenn die persönlichen Beziehungen erkennbar und ohne Aussicht auf Versöhnung beendet werden (Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 27 AufenthG Rn. 23). Vorliegend besteht die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner Ehefrau jedenfalls seit seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung nicht mehr, da die Eheleute seit diesem Zeitpunkt und – nach Einreichung des Scheidungsantrags auch auf Dauer – voneinander getrennt leben. Trotz des formellen Bestehens einer Ehe ist die eheliche Lebensgemeinschaft beendet, wenn sich die Eheleute endgültig getrennt haben; die tatsächliche Trennung besteht in der Regel in der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2007 – 24 CS 07.2053 – juris); dies ist vorliegend erfolgt. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für die zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 27 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entfallen. Dass der Kläger noch auf eine Versöhnung der Eheleute hofft, ändert als einseitiger Wunsch nichts an der Notwendigkeit einer beidseits gewollten und geführten Lebensgemeinschaft.
b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer nachehelichen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG, weil keine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet über drei Jahre geführt wurde und eine nacheheliche Aufenthaltserlaubnis nicht zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist.
aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuerteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren im Bundesgebiet bestanden hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Kläger hat zwar am 10. März 2017 mit seiner Ehefrau die Ehe geschlossen, reiste jedoch erst am 26. Juli 2017 in das Bundesgebiet ein. Jedenfalls am 30. September 2017 zog er aus der gemeinsamen Ehewohnung aus. Damit ist die erforderliche dreijährige Ehebestandszeit im Bundesgebiet nicht erfüllt.
bb) Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ergibt sich auch nicht aus § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ist gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ab-zusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Eine besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist (§ 31 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG). Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. VG München, U.v. 21.2.2013 – M 12 K 12.4701 – juris Rn. 33).
Häusliche Gewalt ist nicht geltend gemacht; etwaige Einflussnahmen Dritter wie des Ex-Freunds der Ehefrau des Klägers sind dieser auch nach dem Vortrag des Klägers sachlich und zeitlich nicht zurechenbar.
Auch eine besondere Härte i.S. des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist nicht gegeben. Von dieser Regelung sind nur ehebezogene Nachteile erfasst, also Beeinträchtigungen, die mit der ehelichen Lebensgemeinschaft oder ihrer Auflösung zumindest in mittelbarem Zusammenhang stehen, nicht aber sämtliche sonstigen, unabhängig davon bestehenden Rückkehrgefahren (s. dazu ausführlich BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – NVwZ 2009, 1432).
Derartige ehebezogene Nachteile hat der Kläger bei seiner Rückkehr nach Algerien nicht zu befürchten. Diese ergeben sich insbesondere nicht allein daraus, dass der Betroffene im Fall des Abbruchs des Aufenthalts einen Arbeitsplatz im Bundesgebiet verliert und dadurch ein Neubeginn im Heimatstaat erforderlich ist; denn dies trifft grundsätzlich alle Rückkehrer gleichermaßen und ist daher im Regelfall nicht geeignet, die Ausreisepflicht zu suspendieren (vgl. BayVGH B.v. 26.7.2010 – 10 ZB 10.75 – juris Rn. 15; B.v. 15.2.2010 – 19 CS 09.3105 – juris). Befürchteten Diskriminierungen wegen einer in Deutschland gescheiterten Ehe – so diese in einer patriarchalischen Herkunftsgesellschaft bezogen auf einen Mann überhaupt glaubhaft geltend gemacht würden – kann er durch Ortswechsel ausweichen; der Kläger ist in Algerien nicht ortsgebunden. Der Kläger ist erst mit 27 Jahren erstmals in die Bundesrepublik eingereist, hat vorher nach Aktenlage in Algerien gelebt und ist dort aufgewachsen, mithin kulturell, sprachlich und sozial sowie wirtschaftlich verwurzelt und als erwachsener Mann alleine lebensfähig. Er hat dort auch seine Familie. Der Kläger hat den Großteil seines Lebens in Algerien verbracht und spricht die Heimatsprache. Anhaltspunkte dafür, dass er den Lebensverhältnissen in seiner Heimat in einer Weise entfremdet wäre, die eine Rückkehr unzumutbar machen würden, sind daher weder vorgetragen noch ersichtlich.
c) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, weil kein Ausreisehindernis ersichtlich oder geltend gemacht ist.
Das Scheidungsverfahren in Deutschland kann aus Algerien heraus betrieben werden. Die Eheleute müssen ohnehin mindestens das Trennungsjahr abwarten. Zu etwaigen gerichtlichen Terminen kann dem Kläger kurzfristig eine Betretenserlaubnis erteilt werden. Auf dies Dauer eines Verfahrens zur Visumserteilung zwecks Teilnahme an familiengerichtlichen Terminen kommt es daher nicht an.
Krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse sind weder dauerhaft, noch in einer den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG genügenden Weise geltend gemacht, zumal der Kläger offenbar weiterhin erwerbsfähig und erwerbstätig ist.
d) Der Kläger ist nach Versagung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 50 AufenthG ausreisepflichtig geworden; die Ausreisefrist ist abgelaufen und die an die Vollziehbarkeit des streitgegenständlichen Bescheides anknüpfende, nach Art. 21a Satz 1 BayVwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Androhung der Abschiebung nach Algerien ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 59 AufenthG), so dass auch hiergegen keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Betracht kommt. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nicht zu beanstanden (§ 11 AufenthG).
Die Abschiebung ist nach § 59 Abs. 1 AufenthG anzudrohen; ihrem Erlass stehen nach § 59 Abs. 3 AufenthG das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. Die Abschiebung setzt als Maßnahme der Zwangsvollstreckung allerdings nach § 58 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG voraus, dass die Ausreisepflicht vollziehbar ist. Dies ist hier nach Ablauf des befristeten Visums und Wegfalls des nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitels, nach Versagung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Wegfalls der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG sowie nach der Ablehnung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hiergegen der Fall.
3. Der Antrag auf vorläufige Verlängerung seiner Fiktionsbescheinigung oder auf Erteilung einer Duldung ist zulässig, aber unbegründet, da dem Kläger nach Wegfall der Fiktionswirkung kein Anspruch auf Verlängerung seiner Fiktionsbescheinigung mehr zusteht und auch keine Duldungsgründe im Sinne des § 60a AufenthG substantiiert geltend gemacht sind (vgl. oben).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es erfolgt keine Erhöhung durch den zusätzlichen Antrag nach § 123 VwGO, da sich dieser der Sache nach auf eine Duldung, mithin die Aussetzung der Abschiebung richtet, die bereits vom streitgegenständlichen Hauptantrag umfasst ist und nach Nr. 8.1 keine Erhöhung des Streitwerts rechtfertigt.
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für das Klage- und für das Antragsverfahren ist unbegründet, weil die Erfolgsaussichten des Klage- und des Antragsverfahrens nach Vorstehendem nicht gegeben sind.
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Ausgehend von obigen Erwägungen ist Prozesskostenhilfe zu versagen. Es kommt nicht mehr darauf an, ob der erwerbstätige Kläger leistungsfähig und deswegen nicht bedürftig im Sinne der Prozesskostenhilfe ist. Da seine Ehefrau im Wesentlichen von Sozialhilfe lebt, ist ein innerehelicher Anspruch auf Prozesskostenvorschuss ebenfalls nicht realisierbar.