Verwaltungsrecht

Versagung eines Aufenthaltstitels wegen Unterstützung des islamistischen Terrorismus

Aktenzeichen  M 25 S 18.1335

Datum:
20.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3781
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 4, § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
VwGO § 80 Abs. 5
StPO § 170 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ein „Verbrauch“ der im Ermittlungsverfahren festgestellten Erkenntnisse tritt durch die Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO nicht ein. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Todesstrafe wird in Tunesien de facto seit 1991 nicht vollstreckt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3 In Tunesien droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder eine andere gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung oder Bestrafung. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 E 18.1341 2018-03-20 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller beantragt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsteller reiste nach Aktenlage erstmals am 30. Oktober 2007 in das Bundesgebiet ein und erhielt am 8. November 2007 eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken bis zum 30. Oktober 2008. Nach erfolgreichem Abschluss des Studienkollegs studierte er ab dem 1. Oktober 2008 an der Technischen Universität München Luft-und Raumfahrttechnik. Er war für diesen Studiengang in der Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 immatrikuliert. Seit 1. Oktober 2009 studierte der Antragsteller an der Universität Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, seit dem Sommersemester 2012 studierte er parallel dazu auch das Fach Erneuerbare Energien. Dieses Doppelstudium wurde dem Antragsteller durch die Universität Stuttgart am 13. September 2011 gewährt. Einen Studienabschluss hat er bis zum jetzigen Zeitpunkt nach Aktenlage nicht erworben. Die zu Studienzwecken erteilte Aufenthaltserlaubnis wurde zuletzt durch die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Stuttgart am 31. Januar 2013 mit Gültigkeit bis 30. März 2015 verlängert.
Am 23. Februar 2008 ist der Antragsteller nach München umgezogen, unterhielt in der Folge jedoch sowohl in München einen Wohnsitz bei seiner jetzigen Ehefrau, die in München bereits damals gemeldet war, als auch in Stuttgart. Aktuell ist der Antragsteller mit Wohnsitz in München gemeldet.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellte mit Verfügung vom 6. Juni 2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ein, da der Tatvorwurf nicht mit der zur Anklageerhebung erforderlichen überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit bestätigt habe werden können; der Tatverdacht gegen den Antragsteller und die anderen Beschuldigten habe aber durch die Ermittlungen auch nicht ausgeräumt werden können.
Der Tatverdacht war gestützt auf größere Geldüberweisungen im Zeitraum 2012/2013, die mit den finanziellen Verhältnissen des Antragstellers als Student und auch im Hinblick auf die von ihm angegebenen Geschäftsbeziehungen nicht hinreichend erklärt werden konnten, den Verkehr des Antragstellers in radikal islamistischen Kreisen und dem Interesse des Antragstellers für den Kampf terroristischer Gruppen gegen das Regime in Syrien, das u.a. bei einer abgehörten Unterhaltung mit einem weiteren Beschuldigten erkennbar war, in der sich der Antragsteller und dieser darüber austauschten, wie man unerkannt in Syrien eindringen könne.
Bei in diesem Zusammenhang durchgeführten Hausdurchsuchungen der Wohnungen des Antragstellers in München und in Stuttgart wurde ein jihadistisches Standardwerk, ein Luftdruckgewehr KW 50, eine Pistole Walther P 99 mit elf Reizgaspatronen sowie diverse CDs und DVDs mit Video- und Audioaufnahmen von radikalen Predigern aufgefunden. Sichergestellt wurde weiter ein vom Antragsteller persönlich verfasster Brief an eine …, die der Antragsteller bittet, seine Zweitfrau zu werden. Nach dem Ergebnis islamwissenschaftlicher Auswertungen zeigt dieser Brief, dass der Antragsteller eine Grundhaltung verinnerlicht habe, die dem jihadistischen Salafismus zuzuordnen ist.
Der Antragsteller schloss die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen zunächst nach islamischen Recht am 21. März 2010 (vgl. Aussage des Antragstellers in der Vernehmung am 25. Juni 2013 durch das Polizeipräsidium München) und am 13. Februar 2015 nach deutschem Recht. Aus dieser Ehe gingen zwei 2015 und 2017 geborene Kinder hervor, die die deutsche und tunesische Staatsangehörigkeit besitzen und mit den Eltern in München wohnen.
Der Antragsteller beantragte am 31. März 2015 die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, kreuzte hierbei als Aufenthaltszweck „Familiennachzug“ und „Studium“ und zur beabsichtigten Dauer „dauerhaft“ an.
Der Antragsteller und seine Ehefrau wurden zur beabsichtigten Ablehnung des Antrages mit Schreiben vom 20. Juni 2017 und 10. Juli 2017 angehört. Die damals Bevollmächtigte legte eine umfangreiche Liste mit Personen vor, die bezeugen könnten, dass die Lebensführung und Einstellung des Antragstellers nicht extremistisch, islamistisch oder terroristisch sei und fügte entsprechende schriftliche Äußerungen dieser Personen bei. Zudem setzt sie sich im Einzelnen mit den Ergebnissen im Ermittlungsverfahren auseinander.
Mit Bescheid vom 16. August 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 31. März 2015 ab (Ziffer 1), setzte dem Antragsteller eine Ausreisefrist bis zum 15. September 2017 (Ziffer 2), wies darauf hin, dass bei einer schuldhaften und erheblichen Überschreitung der Ausreisefrist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von bis zu einem Jahr angeordnet werden könne (Ziffer 4) und forderte den Antragsteller auf, die ihm ausgestellte Fiktionsbescheinigung (Gültigkeit bis 1.10.2017) unverzüglich bzw. spätestens am 2. Werktag nach Zustellung des Bescheides bei der Ausländerbehörde abzugeben (Ziffer 5).
Der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken bzw. zum Familiennachzug sei abzulehnen gewesen, da ein zwingender Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorliege, da beim Antragsteller ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliege, da er die freiheitlich demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und Tatsachen vorlägen, die die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass der Antragsteller den internationalen islamistischen Terrorismus unterstütze. Im umfangreichen Bescheid wurden hierfür zahlreiche Verdachtsmomente aufgelistet, unter anderem das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Zwar habe die Staatsanwaltschaft Stuttgart dieses Verfahren mit Verfügung vom 6. Juni 2014 gemäß 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da der Tatvorwurf nicht mit der zur Anklageerhebung erforderlichen überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit bestätigt werden konnte; durch die Ermittlungen habe der Tatverdacht gegen den Antragsteller und die weiteren Beschuldigten aber auch nicht ausgeräumt werden können. Weiter seien die Reisen des Antragstellers nach China, Dubai und regelmäßig nach Tunesien mit den vom Antragsteller angegebenen finanziellen Verhältnissen nicht vereinbar. Zudem habe der Antragsteller umfangreiche Kontakte in projihadistische Kreise. Er habe engen Kontakt zu den Mitbeschuldigten im oben genannten Strafverfahren gepflegt, hinsichtlich derer ihrerseits zahlreiche Verdachtsmomente darauf hindeuten, dass sie radikal islamistischen Kreisen zuzuordnen sind. Zudem wurde einer seiner Mitbewohner (…) in der Wohngemeinschaft …straße … in Stuttgart wegen Unterstützung terroristischer Organisationen aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Weitere Kontaktpersonen des Antragstellers in München seien inzwischen in Jihadgebiete ausgereist (…, …, …, …). Zudem zeige auch der Vorfall vom 2. September 2014, bei dem der Antragsteller einer offensichtlich betrunkenen Person, die die Ehefrau des Antragstellers beleidigte, mit dem Fuß gegen den Oberkörper getreten war, dass der Antragsteller zur Gewaltanwendung bereit sei; dieses Verfahren war gemäß § 154a StPO gegen eine Geldauflage von 500,- Euro eingestellt worden.
Die sich aus diesen Indizien ergebenden sicherheitsrechtlichen Bedenken hätten durch das Sicherheitsgespräch und durch die weiteren Äußerungen im Verwaltungsverfahren nicht ausgeräumt werden können. Eine umfassende Würdigung sämtlicher zur Person des Antragstellers vorliegenden sicherheitsrechtlichen Erkenntnisse ergäbe in der Gesamtschau, dass Tatsachen vorlägen, die die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass der Antragsteller das Netzwerk des internationalen islamistischen Terrorismus unterstütze und deshalb eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Es sei aufgrund der vorzunehmenden Prognoseentscheidung unter Gesamtwürdigung aller vorliegenden Umstände zugleich damit zu rechnen, dass der Antragsteller sich entweder dem bewaffneten Dschihad im Ausland anschließen werde oder im Bundesgebiet selbst einen islamistisch motivierten Terroranschlag mit dem Ziel, den Märtyrertod zu erleiden, verüben werde oder Dritte bei der Ausübung eines solchen Anschlags bestärken und auch unterstützen werde. In Anbetracht der hohen Schäden, die durch terroristische Anschläge drohten und des damit geltenden abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes liege auch deshalb eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Der Antragsteller habe sich gegenüber den zuständigen Behörden nicht offenbart und nicht glaubhaft von dem sicherheitsgefährdenden Handeln distanziert. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis liege hinsichtlich Tunesiens nicht vor. Unabhängig davon könne der Antragsteller behauptete negative Folgen in Tunesien bei einer Abschiebung durch seine freiwillige Ausreise vermeiden.
Der Antragsteller ließ hiergegen durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 18. September 2017 Klage erheben und beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2017, zugegangen am 18. August 2017, aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 31. März 2015 stattzugeben (Verfahren M 25 K 17.4453).
Zur Begründung wurde angeführt, die Voraussetzungen einer Ausweisung lägen nicht vor. Der Antragsteller sei ein fleißiger Student. Er sei mit einer Deutschen verheiratet und Vater zweier deutscher Kinder.
Der Verwertung des beschlagnahmten Liebesbriefes als Anknüpfungstatsache werde widersprochen, da dieser den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffe; es bestehe daher insoweit ein absolutes Verwertungsverbot. Aufgrund der Unschuldsvermutung dürfe nach der Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO beim Antragsteller nichts Belastendes hängen bleiben; es gebe keine Einstellung „2. Klasse“.
Beigefügt war eine ausführliche Stellungnahme des Antragstellers vom 13. September 2017, in der er sich mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen auseinandersetzt.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 26. September 2017, die Klage abzuweisen. Eine Ausweisung sei nicht verfügt worden. Das Vorbringen des Antragstellers sei bereits im Bescheid bereits ausführlich gewürdigt worden.
Mit Schutzschrift vom 15. März 2018 beantragte die Antragsgegnerin, einen künftigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bzw. einen möglichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die drohende Abschiebung abzuweisen.
Die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wurden nochmals wiederholt und insbesondere hinsichtlich der Erkenntnisse der Geldübergabe an die „Zweitfrau“ Ruznic ergänzt. Nach sicherheitsrechtlichen Erkenntnissen österreichischer Behörden sei diese inzwischen nach Syrien in die Provinz Idlib ausgereist.
Mit Schriftsatz vom 9. März 2018, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am gleichen Tag eingegangen, beantragte der (nunmehrige) Bevollmächtigte des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, sowie im Wege der sog. Hängeanordnung die Antragsgegnerin anzuweisen, vor der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, den angefochtenen Bescheid nicht zu vollziehen bzw. zwangsweise durchzusetzen oder gar aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen.
Zur Begründung wurde angeführt, der Bescheid berücksichtige nicht ausreichend den Schutz der Ehe und Familie des Antragstellers. Des Weiteren drohe dem Antragsteller Folter und unmenschliche Behandlung bei einer Abschiebung als Terrorverdächtigter. Insoweit wurde auf die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers über die bisherige Behandlung durch tunesische Sicherheitsbehörden Bezug genommen. Auch nach Aussage eines sachverständigen Politikwissenschaftlers werde in Tunesien weiterhin gefoltert. Schließlich gehe der Bescheid von einem wissenschaftlich unhaltbaren Konstrukt eines radikalen Salafismus aus.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig; insbesondere ist er statthaft, da die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Zwar wurde der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis einen Tag verspätet gestellt; da die Behörde Fiktionsbescheinigungen erteilte, ist davon auszugehen, dass sie rechtsbegründende Fiktionsbescheidungen nach § 81 Abs. 3 AufenthG ausstellen wollte.
Der Antrag bleibt in der Sache jedoch erfolglos.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt anordnen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen, von Vollziehungsmaßnahmen zunächst verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme überwiegt. Bei dieser Interessenabwägung ist insbesondere die aufgrund einer summarischen Prüfung zu beurteilende Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts zu berücksichtigen. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzuführenden summarischen Prüfung hat die Klage des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken bzw. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu seiner deutschen Ehefrau und seinen beiden deutschen Kindern keine Aussicht auf Erfolg.
Im vorliegenden Verfahren kann offen bleiben, ob der Antragsteller einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken hat. Nach Aktenlage ist dies jedoch wohl schon deshalb nicht der Fall, da der Antragsteller bereits im November 2007 eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken erhalten hat, also vor mehr als 10 Jahren. Das Studium ist bislang nicht abgeschlossen. Aktuelle Unterlagen, die einen Studienerfolg in absehbarer Zeit belegen könnten, liegen dem Gericht nicht vor.
Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu seiner deutschen Ehefrau und seinen deutschen Kindern nach § 28 AufenthG zu, da der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs ein zwingender Versagungsgrund entgegensteht. Gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besteht.
Nach Aktenlage besteht ein derartiges besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. Der Kläger gefährdet die freiheitlich demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland; der Antragsteller hat auch nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen. Auch das Gericht kommt zu der Auffassung, dass die umfassende Würdigung sämtlicher zur Person des Antragstellers vorliegenden sicherheitsrechtlichen Erkenntnisse in der Gesamtschau ergibt, dass Tatsachen vorliegen, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Antragsteller das Netzwerk des internationalen islamistischen Terrorismus unterstützt und deshalb eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Aufgrund der vorzunehmenden Prognoseentscheidung unter Gesamtwürdigung aller vorliegenden Umstände ist zugleich damit zu rechnen, dass die vom Antragsteller ausgehende Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auch künftig fortbestehen wird.
Diese tatsachengestützte Annahme beruht auf den Beziehungen des Antragstellers zu Personen, die dem jihadistischen salafistischen Umkreis zugeordnet werden (…, …, …, …, …) sowie den umfangreichen vom Antragsteller in den Jahren 2012/2013 getätigten Finanztransaktionen, welche mit seiner Tätigkeit im Bundesgebiet (Student) nicht erklärbar sind. Entgegen der Auffassung der Antragstellerseite können in diesem Zusammenhang die Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart verwertet werden. Dies ergibt sich aus den insoweit unterschiedlich geltenden Maßstäben für die Gefahrenprognose. Denn das Risiko, dass die vom Antragsteller ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren kann, kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt. Ein „Verbrauch“ der in diesem Verfahren festgestellten Erkenntnisse tritt durch die Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO nicht ein.
Der Antragsteller hat auch nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen, § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Die Erklärungen des Antragstellers im Verwaltungs- und Klageverfahren lassen letztendlich nicht erkennen, dass der Antragsteller auf Distanz zu seinem sicherheitsgefährdenden Handeln gegangen wäre. Zudem hat der Antragsteller im weiteren Verlauf nach Aussagen der Zeugin E. R. mit dieser nach islamischen Recht eine Zweitehe geschlossen und damit gezeigt, dass er nach wie vor an den Lebensvorstellungen, die er im Brief an … gezeigt hat, festhält. Auch zeigt der durch die polizeilichen Ermittlungen bestätigte Vorwurf der Freiheitsberaubung (Januar 2017), dass der Antragsteller zur Erreichung seiner Ziele vor Gewalt nicht zurückschreckt. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren ist abgeschlossen, staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren laufen. Eine Erklärung des Antragstellers zu den Vorwürfen im Zusammenhang mit der geschädigten E. R. steht bislang aus. Ein Abwenden des Antragstellers liegt daher zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht vor.
Liegt wie vorliegend ein Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, ist die Erteilung des Aufenthaltstitels zwingend zu versagen. Eine Abwägung mit den Belangen des Antragstellers (Beziehung zur Ehefrau sowie den Kindern, Unzumutbarkeit der Eheführung in Tunesien) erfolgt nicht.
Auch die Abschiebungsandrohung ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Da der Antragsteller ausreisepflichtig ist, konnte ihm auch die Abschiebung angedroht werden (§§ 50 Abs. 1, 58, 59 AufenthG). Die gesetzte Ausreisefrist von rund einem Monat ist angemessen.
Dem Vollzug der Abschiebungsandrohung steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG entgegen; insbesondere droht dem Antragsteller bei einer Abschiebung nach Tunesien keine menschenrechtswidrige Behandlung.
Dem Antragsteller drohen in Tunesien weder die Todesstrafe noch Folter oder anderweitige Menschenrechtsverletzungen.
Dem Antragsteller droht aufgrund des in Tunesien seit Jahren bestehenden Moratoriums nicht die Vollstreckung der Todesstrafe. Denn die Todesstrafe wird in Tunesien de facto seit 1991 nicht vollstreckt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017, S. 17; siehe auch BVerwG v. 19.9.2017 – 1 VR 8.17, Rn. 49).
Die vom Antragsteller geltend gemachte Gefahr der Folter oder einer anderen gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung oder Bestrafung im Falle seiner Abschiebung des Antragstellers droht ihm nach den im vorliegenden Verfahren verfügbaren Erkenntnissen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Tunesien befindet sich in einem allgemeinen Transitionsprozess, der in vielen Bereichen, u.a. auch im Justizbereich, noch nicht abgeschlossen ist. Mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung am 26. Januar 2014 gelang Tunesien ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer demokratischen Staatsordnung. Art. 23 der tunesischen Verfassung garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit, verbietet seelische und körperliche Folter und schließt eine Verjährung des Verbrechens der Folter aus. Den Reformwillen stellt die tunesische Regierung auch dadurch unter Beweis, dass das tunesische Justizministerium mit zahlreichen nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen Vereinbarungen getroffen hat, die ihnen Besuche in Haftanstalten etc. ermöglichen (hierzu auch BVerwG v. 19.9.2017 – 1 VR 8.17, Rn. 54 ff.).
Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Ausführungen des im Antragsschriftsatz benannten Politikwissenschaftlers infrage gestellt, zumal der Hinweis auf die vorgebrachte systematische Folter in Tunesien auf einem Bericht von Amnesty vom Januar 2016 beruht.
Die deutschen Behörden teilen – nach der Stellungnahme der Antragsgegnerin in der Schutzschrift – den tunesischen Behörden nur mit, dass der Antragsteller Kontakte in die islamistische Szene hat. Insoweit erhalten die tunesischen Sicherheitsbehörden keine Informationen, die über ihre Erkenntnisse, die sie bereits anlässlich des damals laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Stuttgart hatten, hinausgehen.
Die vom Antragssteller geschilderten Maßnahmen der tunesischen Sicherheitsbehörden anlässlich seiner früheren Einreisen nach Tunesien (Festhalten am Flughafen für längere Zeit, intensives Befragen u.a.) stellen keine unzulässige, unmenschliche Behandlung dar. Des Weiteren zeigt der Umstand, dass der Antragsteller ansonsten seinen vorgebrachten Geschäften nachgehen und weitgehend ungehindert ausreisen konnte, dass die Informationen deutscher Behörden für den Antragsteller in Tunesien keine spürbaren Nachteile zeitigten.
Eventuell bestehende Duldungsgründe gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG berühren die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht.
Zur Ergänzung wird auf die Ausführungen des Bescheids Bezug genommen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens als unterliegender Teil des Rechtsstreits zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5., 8.1. des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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