Verwaltungsrecht

Versammlung im Bereich öffentlicher Verkehrsmittel

Aktenzeichen  AN 4 S 17.01195

Datum:
30.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VersG VersG Art. 25
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. In Fahrzeugen der U-Bahnen, Straßenbahnen und öffentlichen Busse sowie im Bereich von Betriebsanlagen öffentlicher Verkehrsmittel, für deren Betreten ein gültiger Fahrschein benötigt wird, ist kein Ort der allgemeinen Kommunikation eröffnet. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fahrgästen in öffentlichen Verkehrsmitteln ist ein Ausweichen vor einer in dem Verkehrsmittel stattfindenden Versammlung nur schwer möglich. Diese drohen daher gleichsam zum Objekt der Freiheitsausübung der Versammlungsteilnehmer zu werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Mit E-Mail vom 27. Juni 2017 zeigte der Antragsteller bei der Stadt … die Durchführung einer öffentlichen Versammlung bzw. „eines Aufzugs mit Kunstcharakter unter freiem Himmel und öffentlichen Verkehrsmitteln“ vom 30. Juni bis 2. Juli 2017 unter dem Motto „Revolution statt Staatswillkür und Krieg“ an. Geplant sei die Aufführung des Kunstwerkes „Das Begräbnis oder DIE HIMMLISCHEN VIER – Revolution statt Krieg“ in der Form des politischen Straßentheaters.
Der Anzeige wurde eine „Abfolge der Örtlichkeiten bzw. Route“ beigefügt. Daraus sind die einzelnen Stationen im Stadtgebiet der Antragsgegnerin unter Angabe der voraussichtlichen Uhrzeiten ersichtlich. Zwischen den geplanten Aufenthalten wurde (größtenteils) vermerkt: „Weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln“ sowie vereinzelt: „Weiter mit U-Bahn bis Haltestelle …“.
Ein für Mittwoch, den 28. Juni 2017 um 14.00 Uhr seitens der Antragsgegnerin vorgesehenes Kooperationsgespräch kam nicht zustande.
Mit E-Mail vom 29. Juni 2017 teilte die Verkehrsaktiengesellschaft … (VAG) dem Ordnungsamt der Stadt … mit, dass das Musizieren in allen Verkehrsmitteln der VAG aus Gründen der Verkehrssicherheit verboten sei und dass das Hausrecht der VAG ab dem jeweiligen Zugang zum U-Bahnhof gültig sei (Bl. 18 der Behördenakte).
Eine telefonische Auskunft der VAG ergab zudem, dass bei Benutzung von Musikinstrumenten die Sicherheit insbesondere Seh- und Hörgeschädigter Fahrgäste nicht mehr gewährleistet werden könne. Eine Kontaktaufnahme des Antragstellers mit der VAG sei nicht erfolgt. Als Inhaber des Hausrechts erklärte der Mitarbeiter zudem, dass mit der Durchführung einer Versammlung in den Fahrzeugen und Betriebsanlagen der VAG kein Einverständnis bestehe (Bl. 20 der Behördenakte).
Mit Bescheid vom 29. Juni 2017 bestätigte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung gemäß der Anzeige vom 28. Juni 2017 und erließ unter anderem folgende Auflagen:
„1.2.2 Während der Versammlungspausen muss der Lautsprecherbetrieb abgestellt werden. Hinweis: Im Übrigen werden Anweisungen zur Laustärkenregulierung zum Schutze von unbeteiligten Anwohnern und Beschäftigten im Umfeld der Versammlung sowie zur Sicherstellung der unbehelligten Religionsausübung erforderlichenfalls am Versammlungstag von der Polizei getroffen.
1.3 Die öffentlichen Verkehrsmittel dürfen nur zum Zwecke der An- und Weiterreise und nur im Rahmen der Beförderungsbedingungen und der Hausordnung (insbesondere also nur mit gültigem Fahrschein) benutzt werden; dies gilt sowohl für die Fahrzeuge der U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse als auch für die Betriebsanlagen, für die ein gültiger Fahrschein benötigt wird (z.B. Bahnsteige der U-Bahnhöfe).“
Mit beim Verwaltungsgericht Ansbach am 30. Juni 2017 um 9.54 Uhr eingegangenem Telefax ließ der Antragsteller unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 4 K 17.01197 Klage erheben und gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 1.2.2 sowie Ziffer 1.3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 29. Juli 2017 verfügten Auflagen anzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier Art. 25 BayVersG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
Denn an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Auflagen bestehen, vor allem unter Berücksichtigung der in der Antragsschrift aufgeführten Argumente im Hinblick auf die Versammlungs-, Kunst- und Meinungsfreiheit des Antragstellers keine durchgreifenden Zweifel.
Außer Betracht gelassen wird, dass sich der Rechtsbehelf durch Zeitablauf bereits teilweise erledigt hat, da die Versammlung am heutigen Tage schon um 5.15 Uhr begonnen haben soll. Allerdings ergibt sich für die verbleibenden Stunden des heutigen Tages und für die angezeigten Versammlungstage am 1. und 2. Juli 2017 durchaus noch ein Rechtsschutzinteresse.
Im Einzelnen gilt zu den angefochtenen Auflagen:
Ziffer 1.2.2 des Bescheides vom 29. Juni 2017
Die in der Antragsschrift genannten Argumente gehen letztlich am Regelungsgehalt der Auflage vorbei. Denn diese verfügt ausdrücklich nur, dass während den Versammlungspausen der Lautsprecherbetrieb abzustellen ist. Auch ausweislich der Begründung hat die Antragsgegnerin davon abgesehen, Beschränkungen hinsichtlich der Lautstärke der eingesetzten Kundgebungsmittel anzuordnen. Der – ausdrücklich als solcher bezeichnete – Hinweis auf die Zuständigkeit der Polizei als Versammlungsbehörde im Rahmen der Versammlung und auf etwaige „Anweisungen zur Lautstärkeregulierung zum Schutze von unbeteiligten Anwohnern und Beschäftigten“ entfaltet keine Regelungswirkung, so dass dem Antrag insoweit schon die Möglichkeit einer Beschwer fehlt und die Antragsbefugnis zu verneinen ist.
Der von der Bevollmächtigten als grundrechtswidrig kritisierte „Duktus“ des Bescheides führt ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Auflage. Maßgeblich kann insoweit allein sein, ob dieser angebliche Duktus einen grundrechtswidrigen Niederschlag im regelnden Teil des Bescheids gefunden hat. Dies ist im Rahmen der angefochtenen Auflage 1.2.2 nicht der Fall.
Was das Abstellen der Lautsprecher außerhalb der Versammlung angeht, handelt es sich dabei zwar um den regelnden und möglicherweise grundrechtsbeschränkenden Teil der angefochtenen Auflage. Allerdings ist dem Antragsteller insoweit entgegenzuhalten, dass er sich auf die Versammlungs-, Kunst- und Meinungsfreiheit natürlich nur im Rahmen seiner angezeigten Versammlung berufen kann. Außerhalb der Versammlung kann ein Lautsprechereinsatz untersagt werden. Aufgrund der Einheitlichkeit der Veranstaltung kommt insoweit auch keine selbständige Beeinträchtigung der Kunstfreiheit in Betracht.
Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass nach dem Konzept des Antragstellers zwischen den einzelnen Stationen keine Versammlungspausen im Sinne der Auflage 1.2.2 eintreten dürften, da sich die Versammlung bzw. das Straßentheater zwischen den Stationen fortbewegt und die jeweiligen Ab- und Anreisen ausdrücklich Teil der Versammlung sein sollen.
In dem so verstandenen Sinne kann sich die Auflage 1.2.2 nur auf „echte“ Pausen, in denen keine Darbietung bzw. Kundgebung erfolgt, also etwaige Ruhepausen der Darsteller, beziehen. Insoweit begegnen der Auflage aber auch keine Bedenken im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit.
Ziffer 1.3 des Bescheides vom 30. Juni 2017
Auch an der Rechtmäßigkeit der Ziffer 1.3 des Bescheides vom 30. Juni 2017 bestehen nach Auffassung des Gerichts keine maßgeblichen Zweifel.
Aus der sowohl von der Bevollmächtigten des Antragstellers als auch von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid in Bezug genommenen sog. „Fraport-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2017 (1 BVR 699/06) ergibt sich gerade nicht, wie die Antragstellervertreterin wohl meint, dass es für den – quasi örtlichen – Schutzbereich der Versammlungsfreiheit allein auf das Stattfinden „öffentlichen Verkehrs“ ankommt. Vielmehr ist nach der Urteilsbegründung – außerhalb des öffentlichen Straßenraumes – erforderlich, dass „in ähnlicher Weise öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen“. Zwar handelt es sich bei den öffentlichen Verkehrsmitteln der VAG um Orte, an denen öffentlicher Verkehr eröffnet ist, allerdings fehlt es, jedenfalls an den von der Auflage allein erfassten Orten, an einer „allgemeinen Kommunikation“, wie sie das Bundesverfassungsgericht im Falle des Frankfurter Flughafens – jedenfalls teilweise – angenommen hat.
Die Antragsgegnerin hat den Geltungsbereich ihrer in Ziffer 1.3 getroffenen Regelung ausdrücklich auf die „Fahrzeuge der U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse als auch für die Betriebsanlagen, für die endgültiger Fahrschein benötigt wird (z.B. Bahnsteige der U-Bahnhöfe)“ beschränkt. In diesen Bereichen ist aus Sicht des erkennenden Gerichts kein Ort der allgemeinen Kommunikation eröffnet. Diese hat das Bundesverfassungsgericht nämlich dann bejaht, wenn sie nicht „nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind“. Vorliegend sind die von der Regelung betroffenen Bereiche allein auf die Beförderung der Fahrgäste abgestimmt. Anderes mag für sog. Zwischenebenen, wie z.B. am … Hauptbahnhof die mit Geschäften und Schnellrestaurants ausgestatteten Passagen, gelten. Insoweit beansprucht die angefochtene Regelung jedoch gar keine Geltung (s.o.).
Selbst wenn jedoch der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit eröffnet sein sollte, erweist sich die getroffene Regelung nicht als abwägungsfehlerhaft. Vielmehr hatte die Antragsgegnerin die widerstreitenden Grundrechtspositionen, die Versammlungs-, Kunst- und Meinungsfreit des Veranstalters auf der einen Seite sowie die Grundrechte der davon betroffenen Fahrgäste und auch der Hausrechtsinhaberin (VAG) auf der anderen Seite, gegeneinander abzuwägen und im Wege der praktischen Konkordanz in einen gerechten Ausgleich zu bringen.
Ausschlaggebend dürfte sein, dass die VAG die Sicherheit und Leichtigkeit der von ihr betriebenen Verkehrsmittel sicherzustellen hat. Dass dies bei einer Darbietung von Theater und Musik unter Einsatz von Lautsprechern insbesondere für besonders schutzbedürftige Personengruppen nicht ausreichend gewährleistet werden kann, erscheint schlüssig und wurde im Rahmen der Antragstellung nicht hinreichend konkret und substantiiert erschüttert. Insoweit steht der Versammlungs-, Kunst- und Meinungsfreiheit die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Fahrgäste entgegen.
Hinzu kommt, dass manche Fahrgäste auch in ihrem Recht auf negative Versammlungsfreiheit bzw. Meinungs- und Kunstfreiheit betroffen sein könnten. Anders, als an Orten, an denen eine öffentliche Kommunikation eröffnet ist, ist ein Ausweichen, etwa in einem U-Bahnwaggon, nur schwer möglich. Unbeteiligte werden daher unter Umständen – anders als etwa auf der Straße – zwischen den Haltestellen gezwungen, die Versammlungs- bzw. Kunstdarbietung zu dulden, und drohen daher gleichsam zum Objekt der Freiheitsausübung der Versammlungsteilnehmer zu werden.
Im Ergebnis fällt die Abwägung daher zu Lasten des Antragstellers aus. Über die erläuterten negativen Erfolgsaussichten der Hauptsache hinaus ist dabei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller die Kurzfristigkeit der gerichtlichen Entscheidung durch seine unnötigerweise verhältnismäßig späte Anmeldung der Versammlung selbst herbeigeführt hat.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 45.4 des Streitwertkataloges in der Fassung vom 18. Juli 2013.

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