Aktenzeichen M 17 K 17.32225
Leitsatz
Für ein im System angelegtes Vollzugsdefizit staatlicher Schutzgewährung bestehen keine Anhaltspunkte, da von einer allgemein mangelnden Schutzfähigkeit oder -willigkeit des serbischen Staates nicht ausgegangen werden kann. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurden, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Unter Berücksichtigung des Klageantrags aus dem Schriftsatz vom 7. Februar 2017 sind die Ziffern 1, 5, 6 und 7 des angefochtenen Bescheids vom 30. Januar 2017 Gegenstand der Klage, da der Kläger unter Abänderung des Bescheides lediglich die „Anordnung“ der Flüchtlingseigenschaft beantragte. Zieht man die Begründung der Klageschrift vom 7. Februar 2017 heran, erstreckt sich die Klage allerdings auch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes (Ziffer 3 des Bescheides). Die Anerkennung als Asylberechtigter würde aber auch bereits deswegen ausscheiden, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
3. Die Klage ist offensichtlich unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat offensichtlich weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung und die Befristung der Einreise- und Aufenthaltsverbote sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (§ 78 Abs. 1 AsylG) – voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3; B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18).
So liegt der Fall hier.
Die Ablehnung der Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung des internationalen Schutzes als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i.S.v. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
Das Heimatland des Klägers, Serbien, ist ein sicherer Herkunftsstaat in diesem Sinne (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich diese als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Gegen die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat bestehen aber weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung der deutschen Verwaltungsgerichte, der sich das Gericht anschließt (vgl. z.B. VG Regensburg, B.v. 24.2.2015 – RN 6 S. 15.30120 – juris Rn. 18; VG Bayreuth, B.v. 13.2.2015 – B 3 S. 15.30041 – juris Rn 17; VG Berlin U.v. 28.01.2015 – 7 K 546.15 A – juris Rn. 19-32; B.v. 9.12.2014, 7 L 603.14 A – juris; VG Hamburg B.v. 6.3.2015 – 5 AE 270/15 – juris Rn. 4; VG Gelsenkirchen, B.v. 29.1.2015 – 19a L 94/15.A; VG Oldenburg B.v. 9.4.2015 – 7 B 1548/15 – juris Rn. 22; VG Aachen, B.v. 3.2.2015 – 9 L 680/14.A – juris Rn 9).
3.1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar.
Der Kläger hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können.
Soweit sich der Kläger auf Bedrohungen durch nicht näher bezeichnete Personen sowie auf Folgeerscheinungen seiner im Jahr 2011 erlittenen Verletzungen beruft, begründet dies bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG). Hinzu kommt, dass der Kläger seit dem auf ihn vermeintlich verübten Anschlag im August 2011 in Serbien unbehelligt bis zu seiner Ausreise am … Juni 2014 – mithin knapp drei Jahre – leben konnte. Daher ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die asylrelevante Intensität einer hinreichend gravierenden Bedrohungslage zum Zeitpunkt der Ausreise vorlag und dieser Vorfall den Kläger überhaupt veranlasst hat, sein Heimatland zu verlassen, sondern vielmehr der Grund seiner Ausreise und Asylantragstellung in Deutschland in einem bislang verborgenen Motiv des Klägers zu finden ist. Ferner konnte der Kläger seit August 2011 bis zu seiner Ausreise am … Juni 2014 ohne weitere Bedrohung in seinem Heimatland leben.
3.2. Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
3.2.1. Es besteht offensichtlich kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Dass dem Kläger in Serbien die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, ist nicht ersichtlich. Ferner hat der Kläger auch nicht vorgetragen, dass er mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten muss, dass ihm bei einer Rückkehr nach Serbien von staatlichen bzw. nichtstaatlichen Stellen eine unmenschliche Behandlung droht. Abgesehen davon, dass der diesbezügliche Vortrag sehr pauschal und unsubstantiiert ist (vgl. hierzu die Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 30.1.2017, S. 5), hätte der Kläger bei einer Rückkehr die Möglichkeit, die Hilfe – gegebenenfalls übergeordneter – staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen. Insbesondere kann von einer allgemein mangelnden Schutzfähigkeit oder -willigkeit des serbischen Staates nicht ausgegangen werden (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1 und 2 AsylG). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 1. November 2016 (S. 11f.) eingeräumt wird, dass die Polizei nicht in allen Fällen mit der gebotenen Konsequenz gegen Übergriffe (insbesondere auf Minderheiten) vorgeht und die Polizei Übergriffe in manchen Fällen nur zögerlich verfolgt. Nach dem Bericht ist jedoch auch davon auszugehen, dass Anzeigen wegen Körperverletzung zu Gerichtsprozessen führen. Für ein im System angelegtes Vollzugsdefizit staatlicher Schutzgewährung sieht das Gericht jedenfalls keine Anhaltspunkte (VG München, GB v. 22.2.2017 – M 17 K 17.31929 – juris Rn. 30). Dies zeigt im Übrigen auch der Umstand, dass ihm nach seinem eigenen Vortrag die Polizei nach seinen Schussverletzungen zu Hilfe kam und die Ermittlungen aufnahm.
Im Übrigen besteht in derartigen Fällen eine inländische Fluchtalternative (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG). Der Kläger könnte zumindest durch die Verlegung seines Wohnsitzes in andere Landesteile Serbiens, wo ihn nichtstaatliche Dritte mit asylrechtlich hinreichender Sicherheit nicht ausfindig machen können, eine etwaige Gefahr für Leib oder Leben abwenden. Der Hinweis des Klägers, dass Serbien ein kleines Land und die Gendarmerie gut vernetzt sei, ist im Hinblick darauf, dass der Kläger die Täter weder kennt noch eine Vermutung habe, weshalb auf ihn geschossen worden ist, zu allgemein.
3.2.2. Die vorgetragenen Folgen seiner im Jahr 2011 erlittenen Verletzungen des Klägers können kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Abgesehen davon, dass keine Atteste o.ä. vorgelegt wurden, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich beim Kläger eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern würde, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen könnte. Zudem können Erkrankungen in Serbien grundsätzlich behandelt werden. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 1. November 2016 (S. 15ff.) ist die Gesundheitsversorgung in Serbien grundsätzlich gesichert. Dafür spricht auch, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben in Serbien mehrfach operiert und lange behandelt worden sei.
4. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
5. Schließlich sind auch die auf § 11 Abs. 7 AufenthG (Nr. 6 des Bescheides) und § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG (Nr. 7 des Bescheides) gestützte befristete Einreise- und Aufenthaltsverbote rechtmäßig. Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger gegen die Einreise- und Aufenthaltsverbote keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 AsylG).