Aktenzeichen S 11 AY 120/18 ER
Leitsatz
Eine Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG setzt ein pflichtwidriges Verhalten des Leistungsberechtigten voraus. (Rn. 31 – 34)
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 25.05.2018 bis zum 31.10.2018 in Höhe von insgesamt 320,14 Euro monatlich, für Mai 2018 anteilig, zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
III. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …-…, … in … gewährt. Ratenzahlungen sind nicht zu erbringen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihr vorläufig weiterhin Leistungen nach § 3 AsylbLG ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren. Umstritten ist insoweit eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG.
Die Antragstellerin ist afghanische Staatsangehörige und reiste am 28.05.2016 in die Bundesrepublik ein. Der Antrag auf Gewährung von Asyl vom 22.06.2016 wurde mit Bescheid vom 19.03.2018 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt. Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 05.04.2018 Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg. Eine Entscheidung steht noch aus.
Die Antragstellerin hatte nach Mitteilung der zuständigen Stelle in Griechenland vom 11.06.2017 bereits am 29.03.2016 einen Asylantrag in Griechenland gestellt. Der Antragstellerin wurde am 18.04.2016 von Griechenland der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Diese Entscheidung und die Aufenthaltsgenehmigung seien der Antragstellerin jedoch nicht zugegangen.
Seit dem 06.12.2016 ist die Antragstellerin der Stadt S… zur Unterbringung zugewiesen.
Zuletzt bezog der Antragsteller Leistungen nach § 3 AsylbLG, die bis 30.04.2018 in ungeminderter Höhe ausgezahlt wurden (vgl. Bescheid vom 03.04.2018).
Am 10.04.2018 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur beabsichtigten Leistungskürzung persönlich an. Als Dolmetscher fungierte eine 1992 geborene Person mit Aufenthaltsgestattung. Aus dem Protokoll ist keine Stellungnahme der Antragstellerin zu erkennen.
Mit Bescheid vom 26.04.2018 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin ab dem 01.05.2018 bis 31.10.2018 vorläufig Leistungen nach dem AsylbLG nur noch eingeschränkt. Die Antragstellerin erhielt nunmehr monatliche Leistungen in Höhe von 165,84 EUR zzgl. Unterkunft, Energie und Wohnungsinstandhaltung, Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände durch Sachleistung.
Nachdem bereits durch Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, werde der Antragstellerin schon internationaler Schutz zuteil. Nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG seien die Leistungen gem. § 1a Abs. 2 AsylbLG einzuschränken.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17.05.2018 legte die Antragstellerin Widerspruch ein.
Gründe für die Kürzung der Leistungen gemäß § 1a AsylbLG bestünden nicht. § 1a Abs. 2 AsylbLG sei nicht anwendbar, da kein Ausreisetermin feststehe. Wegen der eingereichten Klage beim Verwaltungsgericht habe die Klägerin ein Aufenthaltsrecht. Die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sei rechtswidrig. Die Lebensbedingungen in Griechenland entsprächen nicht den Anforderungen der Art. 20 ff. der Anerkennungsrichtlinie.
Über den Widerspruch wurde bisher, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden.
Mit ihrem Antrag vom 25.05.2018 auf einstweiligen Rechtsschutz hat sich die Antragstellerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, zunächst an das Sozialgericht München gewandt. Mit Beschluss vom 13.06.2018 hat das Sozialgericht München den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Landshut verwiesen.
Zur Begründung des Antrags verweist die Antragstellerin auf die Begründung des Widerspruchs und ergänzt, dass die Eltern und die körperlich und geistig behinderte Schwester der Antragstellerin in Deutschland lebten. Die Eltern seien im fortgeschrittenen Alter und könnten sich nur mit Hilfe der Antragstellerin um die Schwester der Antragstellerin kümmern.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt,
1.Die Antragsgegnerin wird vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen nach dem AsylbLG in Höhe von 320,14 EUR monatlich zu bewilligen.
2.Der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin verkenne, dass die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für die Frage des Leistungsrechts nicht relevant sei. Daher komme es hier auch nicht auf die Frage der Trennung von der Kernfamilie an. Im Übrigen handele es in § 1a Abs. 4 AsylbLG sich um eine Rechtsfolgenverweisung auf § 1a Abs. 2 AsylbLG.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie dem weiteren Vortrag der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft und überwiegend begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.04.2018.
Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Richtige Klageart im Hauptsacheverfahren wäre eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Antragstellerin strebt eine Erweiterung ihrer Rechtspositionen an; daher ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG statthaft.
Der Eilantrag ist statthaft als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, weil kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt. Die Antragstellerin kann ihr Rechtsschutzziel – die (vorläufige) Gewährung höherer Leistungen – nicht mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26.04.2018 gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erreichen. Ein Widerspruch gegen die Feststellung einer Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG hat zwar keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG). Aus der Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde sich aber nur dann die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Gewährung höherer Leistungen ergeben, wenn und soweit für den streitigen Zeitraum zuvor höhere Leistungen bewilligt worden wären. Mit dem Bescheid vom 26.04.2018 sind der Antragstellerin jedoch erstmals Leistungen für die Zeit von ab Mai 2018 bewilligt worden, die zuvor ergangenen Bewilligungsbescheide waren jeweils – zuletzt bis April 2018 – befristet.
Der zulässige Antrag auf einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung ist ab dem 25.05.2018 begründet.
Einstweilige Anordnungen nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (das materielle Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsachverfahren nicht zumutbar ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgegebenen Umfang (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005, a. a. O, Nichtannahmebeschluss vom 15. Januar 2007 – 1 BvR 2971/06 -).
Der Eilantrag ist auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung liegen vor. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie gehört, da sie sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhält und wegen des anhängigen Asylverfahrens über eine Aufenthaltsgestattung verfügt, zum Kreis der Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, die Anspruch auf Grundleistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG haben.
In Betracht kommt allein eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG.
Nach dieser mit dem Integrationsgesetz vom 31.07.2016 eingefügten und zum 06.08.2016 in Kraft getretenen Regelung gilt § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 internationaler Schutz oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden ist, wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht. Der Zweck der Regelung besteht in der Begrenzung der Sekundärmigration insbesondere aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Deutschland. Nach dem Gesetzentwurf vom 31. Mai 2016 dient sie der Vervollständigung der Regelung nach § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG (BT-Drucksache 18/8615, Seite 35), wonach eine Anspruchseinschränkung für bestimmte Fälle vorgesehen ist, in denen ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zu § 1a Abs. 4 AsylbLG in der ab dem 24. Oktober 2015 geltenden Fassung war gefordert worden, dass eine Leistungseinschränkung auch („erst recht“) bei Personen erfolgt, deren Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat durch Gewährung eines Schutzstatus bereits positiv abgeschlossen worden sind (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07. Februar 2018 – L 8 AY 23/17 B ER -, m. w. N.).
Unter Berücksichtigung des dargestellten Normzwecks und des Regelungszusammenhangs hält die Kammer eine teleologische Reduktion von § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG für geboten. Eine teleologische Reduktion ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle nicht zur Anwendung kommt, weil der Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 18/13 R -, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RE 2/16 R -).
§ 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG war zum Zeitpunkt der Einreise der Antragstellerin in die Bundesrepublik am 28.05.2016 noch nicht in Kraft. Daher konnte der Zweck der Regelung – Begrenzung der Sekundärmigration – nach der Einreise der Antragstellerin schon nicht mehr erreicht werden. Nur diese Auslegung der Norm und die Heranziehung des Zeitpunktes der Einreise ermöglicht eine verfassungskonforme Auslegung. Eine verfassungskonforme Auslegung erfordert nicht bereits die Annahme, der zu erfüllende Bedarf sei allein das uneingeschränkte soziokulturelle Existenzminimum. Die generelle Verfassungswidrigkeit des § 1a AsylbLG würde im Ergebnis bedeuten, dass sämtliche den Einzelfall betreffenden Sanktionsregelungen, die ein Zurückbleiben des Gesamtleistungsanspruches hinter dem allgemeinen soziokulturellen Existenzminimum zur Folge hätten, als verfassungswidrig einzustufen wären. Eine derartige allgemeine Privilegierung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, insbesondere gegenüber dem Adressatenkreis der Sanktionen nach dem SGB II, ist zudem nicht zu begründen (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. Juni 2014 – L 8 AY 15/13 B ER -). Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 18.07.2012 (Az.: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) zur Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG aF nicht verhalten. Die Entscheidung bezieht sich auf die Regelungen in § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 2 und 3 und Abs. 2 Satz 3 AsylbLG aF und verpflichtet den Gesetzgeber, unverzüglich für den Anwendungsbereich des AsylbLG eine Neuregelung – die sodann zum 01.01.2015 in Kraft getreten ist – zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu treffen. Soweit das Bundesverfassungsgericht einfordert, dass die in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierte Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren sei, können migrationspolitische Erwägungen, Leistungen an Asylbewerber niedrig zu halten, um Anreize für Wanderbewegungen durch ein zu hohes Leistungsniveau zu vermeiden, in zulässiger Weise nicht weiter erwogen werden.
Hieraus folgt aber nicht, dass gegen einreisende Leistungsempfänger keine leistungsrechtlichen Konsequenzen möglich sind. Kernaussage des Urteils des BVerfG vom 18.07.2012 ist, dass nicht zu geringe Leistungen gewährt werden dürfen, die das vollständige Existenzminimum der Einreisenden nicht zu sichern vermögen, um mögliche Nachahmer abzuschrecken.
Es ist jedoch durch diese Vorgabe nicht ausgeschlossen, ein – nach Auffassung des Gesetzgebers – pflichtwidriges Verhalten der Antragsteller einzudämmen. Bei einer irregulären Sekundärmigration innerhalb der EU gilt, dass die Ausreise in den zuständigen Dublin-Staat jederzeit möglich ist, weil im Schengenraum eine Bewegungsfreiheit herrscht, die die Bedeutung des staatlichen Territoriums zwar nicht aufhebt, aber dennoch relativiert (Thym in NVwZ 2015, 1625).
Erforderlich ist demnach ein pflichtwidriges Verhalten. Dieses könnte vorliegend nur darin zu sehen sein, dass eine Einreise und eine Asylantragstellung erfolgten, obwohl bereits die Gewährung eines Aufenthaltsrechts (Schutzstatus) in einem anderen EU-Mitgliedstaat bestand. Zum Zeitpunkt der Einreise und damit der (möglichen) Pflichtverletzung war jedoch das Verhalten der Antragstellerin gesetzlich noch nicht sanktioniert. Die leistungsrechtliche Konsequenz bzw. deren Androhung konnte daher das Ziel der Verhinderung der Pflichtverletzung nicht erreichen.
Hinzu kommt vorliegend, dass der Antragstellerin zum Zeitpunkt der möglichen Pflichtverletzung (Einreise) die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Griechenland nach Mitteilung der dort zuständigen Stelle noch nicht bekannt war. Ein Verschulden der Antragstellerin ist daher nicht zu erkennen.
Es kann hier somit dahinstehen, ob für das Beispiel Griechenland im einstweiligen Rechtsschutz existenzsichernde Leistungen in vollem Umfang bereits deshalb zu gewähren sind, weil die Abschiebung in einen anderen EU-Staat wegen einer dort drohenden unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht möglich ist (so für Italien SG Lüneburg, Beschluss vom 06. Juni 2017 – S 26 AY 10/17 ER -).
Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. An diesen sind bereits wegen des oben geschilderten funktionalen Zusammenhangs von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund keine hohen Anforderungen zu stellen, da eine große Erfolgsaussicht in der Hauptsache besteht. Im Übrigen ergibt sich die Eilbedürftigkeit auch aus der Tatsache, dass die Antragstellerin sonst längere Zeit unterhalb des (soziokulturellen) Existenzminimums leben müsste.
Die Antragsgegnerin war daher vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin für die Zeit ab 25.05.2018 (Tag der Antragstellung) Leistungen zu gewähren.
Dauer und Höhe der zuzusprechenden Leistungen liegen gemäß § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts.
Die Dauer der vorläufigen Bewilligung lässt allen Beteiligten Raum, die Angelegenheit endgültig zu klären. Der Antragstellerin steht für den Folgezeitraum offen, zu gegebener Zeit erneut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu stellen. Das Gericht spricht vorläufige Leistungen in beantragter Höhe nach § 3 AsylbLG zu. Dabei wird berücksichtigt, dass Unterkunft, Energie und Wohnungsinstandhaltung, Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände zusätzlich durch Sachleistung gewährt werden. Die Zahlung kann grundsätzlich, soweit möglich, auch durch Warengutscheine erfolgen. Unverständlich ist, weshalb seit Januar 2017 die Leistungen von der Antragsgegnerin nur vorläufig erbracht wurden.
Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, dass Leistungen, die mittels einstweiligen Rechtsschutzes erlangt werden, lediglich vorläufig gewährt werden. Wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass die Leistungen tatsächlich nicht zustehen, sind die erlangten Leistungen zurückzuzahlen.
Das einstweilige Rechtsschutzbegehren ist in Bezug auf den vor der Beantragung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bei Gericht liegenden Zeitraum (vorliegend vor dem 25.05.2018) ausgeschlossen (vgl. etwa Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 07. Mai 2009 – L 9 AS 763/08 ER -), weil Grundleistungen nach § 3 AsylbLG im Wege einer einstweiligen Anordnung in der Regel nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu erfolgen hat und nicht rückwirkend zu bewilligen ist, wenn nicht ein Nachholbedarf plausibel und glaubhaft gemacht ist (vgl. hierzu bereits Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2003 – 4 B 39/03 -). Aus dem Tatbestandsmerkmal der „Abwendung eines wesentlichen Nachteils“ im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist zu schließen, dass die Beeinträchtigung noch nicht eingetreten sein darf, sondern zukünftig noch bevorstehen muss. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Eilantrags bei Gericht. Für Leistungen für die Vergangenheit sind Antragsteller daher grundsätzlich auf den Rechtsweg in der Hauptsache zu verweisen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 06. März 2007 – L 7 B 884/06 AS ER -).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Sie berücksichtigt das nahezu vollständige Obsiegen der Antragstellerin.
Der Antragstellerin war Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten ab Antragstellung zu bewilligen (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114ff ZPO), da die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen aus derzeitiger Sicht nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig erschien. Der Antragstellerin wird aufgegeben, jede Änderung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich und ohne weitere Aufforderung durch das Gericht mitzuteilen.