Verwaltungsrecht

Voraussetzungen der Asylantragsrücknahmefiktion bei Nichterscheinen zum Anhörungstermin

Aktenzeichen  M 13 K 16.32206

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 139004
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 32, § 33 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4

 

Leitsatz

1. Gemäß § 32 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme nach § 33 Abs. 1 AsylG fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Der Ausländer ist auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Fehlt eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens, tritt die Rücknahmefiktion nicht ein. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erhält das Bundesamt bereits vor Erlass des Bescheides Kenntnis von einem Entschuldigungsgrund nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG hat es die Einstellung zu unterlassen bzw. den Einstellungsbescheid von Amt wegen aufzuheben. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Das Gericht kann mit Einverständnis der Prozessparteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache bezüglich des Hauptantrages Erfolg, da die Kläger Anspruch auf die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 26. Juli 2016 haben. Auf die Eventualanträge kommt es demnach nicht mehr an.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Gemäß § 32 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Der Ausländer ist auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Fehlt eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens, tritt die Rücknahmefiktion nicht ein (Prof. Dr. R. F. und J. V., GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2016, § 33 Rn. 58).
Im hier zu entscheidenden Fall enthielt das Schreiben vom 8. Juli 2016, mit dem die Kläger zur persönlichen Anhörung geladen wurden, lediglich den Hinweis, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben könne (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn sie zu diesem Termin ohne vorherige Mitteilung der Hinderungsgründe nicht erschienen. Eine Belehrung des Inhalts, dass bei Untätigkeit die Asylanträge als zurückgenommen gelten können, enthielt weder dieses Schriftstück noch sonst ein an die Kläger gerichtetes Schriftstück. Schon deshalb kann entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheids die Rücknahmefiktion nach § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 (2. Alternative) AsylG nicht eingetreten sein. Mangels Antragsrücknahme(fiktion) trifft auch die in Ziffer 1 Satz 2 des angefochtenen Bescheids enthaltene Feststellung nicht zu, dass die Asylverfahren eingestellt sind. Die Beklagte hat deshalb nach derzeitiger Sach- und Rechtslage eine Sachentscheidung über die am 21. März 2016 gestellten Asylanträge der Kläger zu treffen.
Es sei darauf hingewiesen, dass selbst bei ordnungsgemäßer Belehrung die Beklagte das Verfahren hätte fortführen müssen, da ein ausreichender Entschuldigungsgrund nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG vorliegt und dieser auch nachgewiesen wurde (§ 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG). Zwar enthalten die Behördenakten das Schreiben der Kläger vom 18. Juli 2016 nicht, jedoch wird die Versendung durch den von den Klägern vorgelegten Übertragungsbericht belegt. Auch ist bei einer zugestellten Ladung am 13. Juli 2016 für einen Termin am 14. Juli 2016 um 8.00 Uhr, der nicht vor Ort stattfinden soll, sondern für die Kläger eine nicht unerhebliche Anreise beinhaltet, der vorgetragene Sachverhalt als Entschuldigungsgrund ausreichend. Das Bundesamt erhielt daher bereits vor Erlass des Bescheides Kenntnis vom Entschuldigungsgrund und hätte daher auch aus diesem Grund die Einstellung zu unterlassen gehabt bzw. den Einstellungsbescheid von Amt wegen aufheben müssen (Dr. R. F. und J. V., GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2016, § 33 Rn. 84).
Für ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts, also für eine Sachentscheidung über die teilweise in den Hilfsanträgen gestellten Verpflichtungsanträge der Klageschrift, ist kein Raum. Das Gericht darf mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entscheiden, vielmehr ist diese Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten (Dr. R. F. und J. V., GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2016, § 33 Rn. 91; BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13 – NVwZ 2014, 158 ff. und juris Rn. 14).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen